Vielleicht ist Trump ganz einfach nur gelangweilt
Kürzlich hat Donald Trump an einem Abend 160 Posts auf Truth Social abgesetzt, alle 2 Minuten einen. «Er muss sehr lange auf der Toilette gesessen haben», witzelte der Comedian Jimmy Kimmel. Tags darauf berief der Präsident eine Kabinetts-Sitzung ein, an der er sich wie Kim Jong-un im übelsten Schleimerstil lobpreisen liess. Doch anstatt Freude zu zeigen, schlief Trump dabei mehrmals ein.
Kein Zweifel, das eh schon ungewöhnliche Verhalten des Donald Trump wird immer wirrer. Deshalb schiessen auch die Spekulationen über seinen geistigen und gesundheitlichen Zustand ins Kraut. Die einen wollen bereits Anzeichen von Altersdemenz entdeckt haben, andere wollen wissen, dass sein bösartiger Narzissmus immer krankhafter wird.
Eine neue Deutung bringt der Journalist Michael Wolff ins Spiel. In einem Podcast mit dem Newsportal «Daily Beast» stellte er die These auf, wonach das Verhalten von Trump ganz einfach zu erklären sei: Der Mann ist gelangweilt.
Michael Wolff hat bereits vier Bücher über Trump verfasst. Sie lesen sich flüssig, ihr Wahrheitsgehalt ist jedoch umstritten. Unbestritten ist jedoch, dass er über gute Drähte ins Weisse Haus verfügt.
Vieles spricht für Wolffs These. Trump hat wilde Zeiten hinter sich: Er hat zwei Attentats-Versuche überlebt und danach ist ihm ein spektakuläres Polit-Comeback gelungen. In seiner noch nicht einmal einjährigen zweiten Amtszeit hat er sich im eigenen Land fast täglich mit Universitäten, Medien, Richtern und den Demokraten angelegt. Das hat ihn nicht daran gehindert, mit Strafzöllen den Welthandel neu zu organisieren und sich mit fast allen traditionellen Verbündeten zu überwerfen.
Für Trump geht also ein verrücktes und gleichzeitig aufregendes Jahr zu Ende, ein Jahr, das reichlich Nahrung für seinen unersättlichen Narzissmus geliefert hat. Doch mit dem Narzissmus ist es so eine Sache. Um ihn zu befriedigen, muss man – wie ein Junkie – zu immer härterem Stoff greifen.
Bei Trump geschieht genau das Gegenteil. Er muss sich um immer banalere Dinge kümmern, Dinge, die weder glamourös sind noch ihn auch nur im Geringsten interessieren oder ihm gar Spass machen. Dinge wie:
- Die «Erschwinglichkeits»-Krise: Für die Mehrheit seiner Wähler ist das die dringendste Aufgabe des Präsidenten, schliesslich hat dieser im Wahlkampf versprochen, die Preise für Benzin und Lebensmittel am ersten Tag zu senken. Das ist ihm nicht gelungen, und wenig weist darauf hin, dass es ihm bald gelingen wird. Doch dummerweise zeigt diesmal Trumps Allzweck-Medizin keine Wirkung. Mit den üblichen Ausreden, die «Erschwinglichkeits»-Krise sei Fake News, eine Erfindung der Demokraten oder ein «schlechter Witz», kann er diesmal selbst seine Basis nicht überzeugen. Auch die Maga-Anhänger wissen, wie viel sie für Rindfleisch, Kaffee, Benzin und Miete bezahlen müssen.
- Dasselbe trifft auch auf die Epstein-Krise zu. Obwohl Trump und seine Lakaien im Kongress wirklich alles unternommen haben, um sie aus der Welt zu schaffen, poppt sie in regelmässigen Abständen wieder auf. Bald wird es wieder so weit sein, denn das Justizministerium ist per Gesetz dazu verpflichtet worden, die Epstein-Files noch vor Weihnachten herauszurücken.
- Mit dem Waffenstillstand im Nahen Osten ist Trump zwar ein Erfolg gelungen. Ob dieser Waffenstillstand jedoch zu einem dauerhaften Frieden führen wird, ist fraglich. Im Fall der Ukraine scheitert Trump an Putin, dem Widerstand in seiner eigenen Partei und der Unfähigkeit seines Sondergesandten Steve Witkoff.
- Der als Machtdemonstration geplante Drogenfeldzug gegen Venezuela ist im Begriff, zu einem Schandfleck für das amerikanische Militär zu werden. Das unbedarfte Vorgehen von Verteidigungsminister Pete Hegseth wird zunehmend zu einer Belastung für den Präsidenten.
Selbst das peinliche Schleimergehabe seines Kabinetts reicht nicht mehr aus, den unersättlichen Geltungsdrang des Präsidenten zu befriedigen, zumal er zumindest ahnt, dass viele der lächerlichen Komplimente nicht wirklich ernst gemeint sind. Dazu kommt, dass solch unterwürfiges Verhalten nur von Personen erwartet werden kann, die entweder ein Charakter- oder ein Kompetenzproblem haben. Bei Verteidigungsminister Hegseth, FBI-Direktor Kash Patel und Innenministerin Kristi Noem ist offensichtlich beides der Fall.
Trump sucht daher nach Ablenkung und stösst selbst dabei auf Widerstand. So hat er sich mit dem Architekten seines Ballrooms verkracht, weil dieser das immer monströser werdende Projekt nicht mehr mitverantworten mochte. Das «Institute of Peace» wollte der Präsident zunächst schliessen lassen. Als die Verantwortlichen es jedoch in das «Donald J. Trump United States Institute of Peace» umtauften, war er plötzlich Feuer und Flamme dafür. Für alle anderen jedoch ist dies nur noch «cringe», wie es die heutige Jugend formulieren würde.
Angesichts des Verhaltens seiner Militärs im Karibischen Meer muss sich Trump seinen Wunsch nach dem Friedensnobelpreis wohl abschminken. Dass ihm ausgerechnet die Fifa einen Pseudo-Preis verleiht, dürfte bloss ein schwacher Trost sein.
Alle Ablenkung ändert nichts daran, dass Trump in einer ernsthaften Krise steckt. «Er ist unpopulär, eine lahme Ente, und muss von allen Seiten Prügel einstecken», bringt es die «New York Times»-Kolumnistin Michelle Cottle auf den Punkt. Besserung ist nicht in Sicht: «Wir sind Zeugen des Beginns einer neuen politischen Saison für Mr. Trump», so Cottle. «Sollte es nicht zu einem strategischen Turnaround kommen, dürfte es für ihn sehr unangenehm werden.»
