«Obama versteht die Realität nicht», soll der israelische Premierminister 2011 nach einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten im Weissen Haus gesagt haben. In der denkwürdigen Unterhaltung hatte Netanjahu seinem Gastgeber direkt widersprochen und ihn belehrt, dass sich Israel nie aus dem Westjordanland zurückziehen werde.
Wenn Obama die Realität des Nahostkonflikts nicht verstand, wie würde Netanjahu dann den Wissensstand Donald Trumps beschreiben? An der gemeinsamen Pressekonferenz wurde der US-Präsident nach seiner Haltung zur Zwei-Staaten-Lösung gefragt. Hier seine Antwort:
Man muss es sehen und hören, um es zu glauben. Man beachte auch Netanjahus Lachen (dazu später mehr):
50 Jahre lang betonte jede US-Regierung, egal ob demokratisch oder republikanisch, ein dauerhafter Friede zwischen Israel und den Palästinensern sei nur im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung möglich. Trump sieht es offenbar nicht so eng. Mehr noch, er scheint in der Frage keine Meinung zu haben.
Beobachter fragen sich, ob Trump den Unterschied zwischen Ein- und Zwei-Staaten-Lösung kennt. Die Eckpunkte der Zwei-Staaten-Lösung sind mehr oder weniger bekannt, was fehlt, ist der politische Wille und das Vertrauen zur Umsetzung. Wie eine Ein-Staaten-Lösung aussieht, ist hingegen völlig offen. Annexion aller palästinensischen Gebiete? Einschliesslich des Gazastreifens? Volle Bürgerrechte für die Palästinenser? Werden die Juden dann zur Minderheit im eigenen Land? Existenziellere Fragen sind für Israel kaum vorstellbar.
Worüber lachte Netanjahu? Der israelische Premier hält nichts von der Zwei-Staaten-Lösung, aber noch mehr fürchtet er die Ein-Staaten-Lösung. Was ihm vorschwebt, ist der Status quo, in dem Israel die Kontrolle über die besetzten Gebiete behält, mit anderen Worten eine Fortführung der Besatzungs- und Siedlungspolitik. So gesehen waren Trumps Worte beim ersten Hinhören ermutigend: Der hat nichts verstanden, ist gleichgültig – also wird er mir auch nicht dreinreden.
Wie widersprüchlich Trumps Haltung im Nahostkonflikt trotz seiner Gleichgültigkeit ist, zeigte er mit seiner Antwort auf eine Frage nach dem Siedlungsbau:
Diese Forderung nach einem «Siedlungsstopp light» ergibt nur Sinn im Kontext einer Zwei-Staaten-Lösung, da diese als Hindernis für eben diese angesehen werden. Wem es hingegen egal ist, ob Israel und die Palästinenser in einem oder in zwei Staaten leben (siehe weiter oben), dem können getrost auch die Siedlungen egal sein.
Netanjahu, der Optimist, könnte von diesem USA-Besuch mit dem Eindruck zurückkehren, dass ihm Trump nicht so viel Kummer bereiten wird wie sein Vorgänger Obama. Oder mit dem unguten Gefühl, dass er Trump nicht einschätzen kann und Israels wichtigster Verbündeter damit unberechenbar wird.
Überhaupt ist Trumps Gleichgültigkeit ein zweischneidiges Schwert für Netanjahu: Wenn seine faschistoiden Koalitionspartner radikale Schritte fordern, zum Beispiel den Siedlungsbau zu eskalieren oder die palästinensische Bevölkerung in andere Länder abzuschieben, hatte der zaudernde Netanjahu bis vor kurzem eine bequeme Ausrede parat: Wenn wir das tun, bekommen wir richtig Ärger mit Obama. Damit müssen sich Naftali Bennett und Avigdor Lieberman nicht mehr länger abspeisen lassen.