Benjamin Netanjahu konnte Barack Obama nicht ausstehen (und umgekehrt). Ungeachtet Rekord-Militärhilfen hat der israelische Regierungschef dem US-Präsidenten der letzten acht Jahre zwei Dinge nicht verziehen: Das Atomabkommen mit dem Iran und die dauernde Kritik am Siedlungsbau im besetzten Westjordanland, die in der UN-Resolution 2334 gipfelte. So erstaunt es nicht, dass Netanjahu bei Trumps Wahl die Korken knallen liess, zumal dieser im Wahlkampf Israel viele schöne Dinge versprochen hatte.
Das Atomabkommen mit dem Iran nannte Trump «den schlechtesten Deal aller Zeiten» und kündigte an, «ihn in der Luft zu zerreissen», sollte er die Wahl gewinnen. Die UN-Resolution 2334 hatte er scharf kritisiert und als «Dolchstoss in den Rücken Israels» bezeichnet. Und als besonderes Zückerchen hatte er gelobt, die US-Botschaft aus Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen und damit auch Israels alleinigen Anspruch auf die heilige Stadt anzuerkennen (was ausser Israel selbst kein anderes Land tut). Als seinen Botschafter in Israel berief Trump den Hardliner David Friedman, der Israel rät, die Westbank zu annektieren.
President Trump is right. I built a wall along Israel's southern border. It stopped all illegal immigration. Great success. Great idea 🇮🇱🇺🇸
— Benjamin Netanyahu (@netanyahu) January 28, 2017
Rosh Hashanah, Yom Kippur, Hanukkah, alles zusammen. So gross war die Freude Netanjahus, dass er ohne Not Trumps geplante Mauer lobte und damit Mexiko vor den Kopf stiess. Als einer der ersten ausländischen Regierungschefs erhielt er ausserdem eine Einladung ins Weisse Haus. Nach acht Jahren mehr oder weniger offener Feindseligkeit standen die Zeichen auf Bromance.
Standen – denn inzwischen fragen sich in Israel viele, wie Israel-freundlich dieser neue US-Präsident wirklich ist.
Das Atomabkommen mit dem Iran kritisiert Trump weiter, aber zerrissen hat er es bislang nicht. Die anderen Vertragsstaaten Russland, China, Grossbritannien, Deutschland und Frankreich haben klar gemacht, dass sie keine Neuverhandlungen wünschen. Was Irans provokativen Raketentest anbelangt, so haben die USA diesen verurteilt und stellen neue Sanktionen in Aussicht – genau wie Obama das früher gemacht hat.
Siedlungen seien kein Hindernis für Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, aber ebenso «vermutlich nicht hilfreich für die Friedensbemühungen». So äusserte sich das Weisse Haus gestern zum Siedlungsbau. Das entspricht ziemlich genau der Haltung der Obama-Regierung: Bestehende Siedlungen können im Rahmen einer Friedenslösung mittels Landtausch abgegolten werden. Neue Siedlungen oder der Ausbau bestehender Siedlungen hingegen erschweren dies.
Die neuen (alten) Töne aus dem Weissen Haus haben die israelische Regierung eiskalt erwischt. Netanjahu hatte sich nach der Wahl Trumps derart sicher gefühlt, dass er eben mal 5500 neue Wohneinheiten in den besetzten Gebieten bewilligte. Vermutlich ging er damit auch in den Augen Trumps zu weit, der ihn nun zurückpfeift.
Auch aus dem heiligen Gral, dem US-Botschaftsumzug nach Jerusalem, scheint vorerst nichts zu werden. Pressesprecher Sean Spicer betonte, man spreche noch mit allen Seiten. Die Palästinenser aber auch Jordanien, ein wichtiger US-Verbündeter, haben in den vergangenen Wochen klar gemacht, dass sie den Umzug für keine gute Idee halten. Offenbar teilen auch israelische Sicherheitskreise diese Einschätzung.
Und dann wäre da noch die Aufregung um die Mitteilung des Weissen Hauses zum Holocaust-Gedenktag (27. Januar), in der die jüdischen Opfer nicht explizit erwähnt werden. Stattdessen ist von «unschuldigen Menschen» die Rede. Die Anti-Defamation-League (ADL), die gegen die Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt, bezeichnete das Versäumnis als «seltsam, rätselhaft und beunruhigend». Yad Vashem, die zentrale Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, kritisierte die Wortwahl in einer Stellungnahme indirekt als «historisch inakkurat».
Neben sechs Millionen Juden ermordeten die Nazis auch Homosexuelle, Behinderte, Roma sowie Mitglieder der politischen Opposition. Die Zahl dieser nicht-jüdischen Opfer ihrer Vernichtungspolitik wird auf fünf Millionen geschätzt. Im vergangenen Jahr hatte der damalige US-Präsident Barack Obama in seiner Erklärung ausdrücklich der «sechs Millionen Juden und der Millionen weiteren Ermordeten» gedacht.
Trumps Stabschef versuchte zu retten, was zu retten ist, machte es aber eher noch schlimmer: «Alle litten im Holocaust, einschliesslich, natürlich, alle Juden», sagte Reince Priebus am Fernsehen. Das Nicht-Erwähnen der jüdischen Opfer, die im Einklang mit der NS-Rassenpolitik im Zentrum der «Endlösung» standen, gilt unter Antisemitismus-Experten als «Holocaust-Leugnung light». Alt-Right-Superstar Richard Spencer feierte die Mitteilung auf seinem Blog denn auch als «De-Judifikation des Holocausts».
Die Geschichte ist für das Weisse Haus noch nicht ausgestanden: Am Freitag wurde bekannt, dass der Holocaust-Beauftragte des US-Aussenministeriums eine Mitteilung vorbereitet hatte, welche die jüdischen Holocaust-Opfer explizit erwähnte. Diese sei aber von Weissen Haus kassiert und durch eine eigene ersetzt worden, berichtet Politico.
Gibt es antisemitische Strömungen im Weissen Haus? Kritiker unterstellen Trumps Chef-Berater Steve Bannon, ehemals Chefredaktor der Rechtsaussen-Website Breitbart, eine solche Gesinnung. Andere mögen sich an Episoden aus dem Wahlkampf erinnern, etwa als Trump vor jüdischen Spendern erklärte, er lasse sich nicht von ihnen kaufen. Später sorgte er mit einem Tweet für Kopfschütteln, in dem Hillary Clinton als Marionette des «jüdischen Kapitals» dargestellt wurde. Trump stritt diese Interpretation ab, liess den Stern aber wenig später durch einen Kreis ersetzen.
Israels Benjamin Netanjahu war vielleicht der einzige ausländische Politiker auf der Welt, der den Eindruck machte, sich von Herzen auf die Trump-Präsidentschaft zu freuen. Nun muss auch er einsehen, dass er letztlich nicht weiss, wie der neue Mann im Weissen Haus tickt und was das für ihn und sein Land bedeutet.