Ein Foto zeigt: So hat sich Netanjahu selbst ausgetrickst
Benjamin «Bibi» Netanjahu gilt als Überlebenskünstler. Seine Amtszeit als israelischer Ministerpräsident dauert mit Unterbrechungen fast 20 Jahre, obwohl er wiederholt mit Vorwürfen wegen Korruption konfrontiert wurde und derzeit sogar vor Gericht steht. Sein Machtinstinkt hat ihm das Image eines Magiers oder Tricksers eingebracht.
Mit dem Hamas-Terror vor zwei Jahren schien Netanjahu erledigt zu sein. Er trug die politische Verantwortung für das Versagen Israels. Und doch hält er sich bis heute im Amt. Mit der weitgehenden Zerschlagung der Hisbollah im Libanon und dem «Zwölf-Tage-Krieg» gegen Iran konnte er Israels Ruf als dominierende Militärmacht in der Region zementieren.
Freilassung der Geiseln in Gaza
Den Gaza-Krieg hätte der 75-Jährige wohl weitergeführt, trotz der humanitären Katastrophe für die Zivilbevölkerung und die Geiseln, und obwohl er sein Land isolierte. Hauptsache, er konnte sich und seine Koalition mit Ultraorthodoxen und rechtsextremen Siedlern an der Macht halten. Dann aber machte er den entscheidenden Fehler.
Der Coup wird zum Fehlschlag
Am 9. September ordnete er einen Luftangriff auf Doha an, die Hauptstadt des Emirats Katar. Netanjahu wollte damit die Auslandsführung der Hamas «eliminieren», die sich zu einem Treffen versammelt hatte. Der Geheimdienst Mossad hatte sich zuvor geweigert, die Hamas-Führer mit Agenten zu töten, weil Katar ein wichtiger Vermittler war.
Anfangs schien der «Coup» geglückt zu sein, erste Reaktionen in Israel waren euphorisch. Sogar Oppositionsführer Yair Lapid gratulierte. Als sich der Staub gelegt hatte, zeigte sich jedoch: Die Hamas-Führer hatten überlebt, während ein katarischer Wachmann starb. Vor allem aber hatte Netanjahu seinen wichtigsten Verbündeten brüskiert: Donald Trump.
Trump war «sehr unglücklich»
Der US-Präsident wurde offenbar erst kurz vor dem Angriff informiert, oder als er bereits im Gang war. Jedenfalls gelang es dem Weissen Haus laut Medienberichten nicht, die Regierung von Katar rechtzeitig zu warnen. Der Sondergesandte Steve Witkoff soll in dem Moment in Doha angerufen haben, als die Explosionen bereits zu hören waren.
Trump selbst sagte in einer ersten Reaktion, er sei «sehr unglücklich» über den Angriff. Mit Benjamin Netanjahu kam es offenbar zu einem hitzigen Telefonat, und den Katarern versprach der Präsident, ein solcher Vorfall werde sich nicht wiederholen. Er unterzeichnete ein Dekret, mit dem er dem Emirat den militärischen Schutz durch die USA garantierte.
Luxus-Jet gegen Brief
Dabei ging es nicht nur um dessen Vermittlerrolle, sondern auch um Eigeninteressen. Der Trump-Clan ist geschäftlich stark in Katar engagiert. Und die Katarer wissen, wie sie den US-Präsidenten um den Finger wickeln können. Bei seinem Besuch im Mai schenkten sie ihm eine luxuriöse Boeing 747 im Wert von 400 Millionen Dollar als Ersatz für die Air Force One.
Benjamin Netanjahu hingegen überreichte Trump bei seinem vorletzten Besuch im Weissen Haus «bloss» einen Brief, mit dem er ihn für den Friedensnobelpreis nominierte. Mit dem Katar-Angriff hatte sich der israelische Regierungschef faktisch selbst ausgetrickst, denn zuvor hatte ihn der US-Präsident im Gaza-Krieg weitgehend gewähren lassen.
Angriff war «Wendepunkt»
Donald Trump rührte keinen Finger, als Netanjahu im Frühjahr ohne Not den Waffenstillstand mit der Hamas «beendete» und die humanitäre Hilfe für die leidende Zivilbevölkerung stoppte. «Israels verpfuschter Angriff auf Katar war der Wendepunkt», sagte eine dem Weissen Haus nahestehende Person gegenüber «Politico». Er habe Trump «ein Druckmittel» verschafft.
Bei einem Treffen mit arabischen Vertretern am Rande der UNO-Generalversammlung versicherte der US-Präsident, er werde eine Annexion des Westjordanlands durch Israel «nicht erlauben». Ausserdem übernahm Trump den 20-Punkte-Plan zur Beendigung des Gaza-Kriegs, den in erster Linie die Araber mit seinem Schwiegersohn Jared Kushner ausgearbeitet hatten.
Katar-«Wachhund» im Oval Office
Beim folgenden Besuch Netanjahus in Washington setzte er diesem die Pistole auf die Brust. Eine Bildstrecke des Weissen Hauses zeigt, wie der Israeli dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman al Thani telefonisch sein Bedauern ausdrückte und ihm versicherte, ein solcher Militärschlag werde sich nicht wiederholen.
Die entsprechende Erklärung war vom Weissen Haus verfasst worden. Ein hoher Vertreter Katars war gemäss «Politico» im Oval Office anwesend, um sicherzustellen, dass Netanjahu nicht vom Skript abwich. Trump hielt derweil mit strengem Blick das Festnetztelefon. Kurz darauf verkündete er, Netanjahu habe dem 20-Punkte-Friedensplan zugestimmt.
«Immer so f...g negativ»
Dennoch versuchte der israelische Premier offenbar weiterhin, diesen zu hintertreiben. Nachdem die Hamas ihn ebenfalls unterstützt hatte, soll er dies in einem weiteren Telefonat mit Trump als bedeutungslos bezeichnet haben. Worauf der Präsident gemäss Axios wütend erwiderte: «Ich weiss nicht, warum du immer so f…g negativ bist. Das ist ein Erfolg. Nimm ihn.»
Letztlich hat Benjamin Netanjahu den Fehler begangen, der ihm niemals hätte unterlaufen dürfen: Er hat seinen letzten mächtigen Verbündeten gegen sich aufgebracht. Nun versucht er, die Freilassung der letzten Geiseln für sich zu instrumentalisieren. Seine Mitarbeiter verbreiten via CNN, dass Netanjahu am 20-Punkte-Plan beteiligt war.
Unangenehme Fragen
Damit wolle er sich auf die nächsten Wahlen in Israel vorbereiten, die in spätestens einem Jahr stattfinden, vielleicht schon früher. Womöglich setzt er auch darauf, dass der Plan scheitern wird, der reich an grossen Worten, aber arm an Details ist. Es wäre wohl in Netanjahus Sinn, denn auf ihn warten einige unangenehme Fragen.
So hat der Ministerpräsident bislang eine unabhängige Untersuchung des 7. Oktober 2023 verhindert. Sie könnte für ihn höchst unerfreuliche Befunde zur Folge haben, etwa zu Geldkoffern für die Hamas aus Katar. Auch steht die Frage im Raum, ob die Freilassung der Geiseln nicht viel früher möglich gewesen wäre, vielleicht schon im Frühjahr 2024.
Bei der israelischen Bevölkerung hat Benjamin Netanjahu schon jetzt einen schweren Stand. Dies zeigte sich am Samstag an einer Kundgebung in Tel Aviv in Anwesenheit von Steve Witkoff, Trumps Tochter Ivanka und ihrem Ehemann Jared Kushner. Als Witkoff Trump erwähnte, gab es lauten Applaus. Beim Namen Netanjahu hagelte es Buh-Rufe und Pfiffe.
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