«Repeal and replace Obamacare», diese Worte wiederholen die US-Republikaner seit Jahren wie ein Mantra. Dutzende Male haben sie Obamas Gesundheitsreform im Abgeordnetenhaus symbolisch abgeschafft. Jetzt wo sie alle Hebel der Macht in Händen halten, wollen sie es auch durchziehen.
Es gibt da aber ein gewaltiges Problem. Donald Trumps Position in dem wichtigen Thema enthält einen unauflösbaren Widerspruch:
I was asked about healthcare by Anderson Cooper & have been consistent- I will repeal all of #ObamaCare, including the mandate, period.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) February 19, 2016
Wenn keine Versicherungspflicht mehr besteht und Versicherungen gleichzeitig niemanden wegen Vorerkrankungen ablehnen dürfen, dann passiert folgendes: Wer gesund ist, verzichtet auf eine Versicherung. Wer krank wird, besorgt sich eine und wenn er glaubt, er sei wieder gesund, dann kündet er sie wieder. Anders gesagt, die Versicherungen zahlen für alles, nehmen aber massiv weniger Geld ein. Da dies kein nachhaltiges Geschäftsmodell ist, bleibt ihnen kurzfristig nur ein Weg: Die Prämien massiv erhöhen. Irgendwann sind diese so teuer, dass sie sich niemand mehr leisten kann. Das System kollabiert.
Klingt hypothetisch, hat sich aber in den 1990er-Jahren genau so zugetragen, als die Republikaner im US-Bundesstaat Washington ein System mit Aufnahmepflicht aber ohne Versicherungspflicht einführten. Ein gut dokumentierter Fall aus jener Zeit zeigt, dass das nicht funktionieren KANN: Eine Frau wurde schwanger und schloss deshalb eine Krankenversicherung ab. Nachdem das Kind auf der Welt war und alle Rechnungen beglichen waren, kündigte sie. Bei ihrer nächsten Schwangerschaft verfuhr sie gleich.
Resultat: Die Versicherung bezahlte über 7000 Dollar Arzt- und Spitalrechnungen, nahm aber nur 1800 in Prämien von der Frau ein. Auch andere verfuhren verständlicherweise nach diesem Beispiel. Die Versicherung musste die Prämien massiv erhöhen, viele Kunden sprangen ab. Das Phänomen wird auch als «Todesspirale» bezeichnet. Am Schluss stand sie ohne Kunden und mit Verlusten von 120 Millionen Dollar da.
Eigentlich ist es ganz einfach: Versicherungen funktionieren nur, wenn Risiken auf möglichst viele Personen verteilt werden. Wenn junge, gesunde Menschen nicht einzahlen, werden die Prämien für kranke, alte Menschen unbezahlbar. Donald Trump sieht das anders: Sein Plan werde die Prämien UND die Franchisen senken UND die Versorgung verbessern UND den Staat weniger Subventionen kosten. Er hat seine Kritiker schon oft überrascht, aber wie er das schaffen will, weiss niemand.
Auch die Republikaner wissen es nicht. Jahrelang haben sie auf diesen Moment gewartet, wenn sie Obamacare endlich rückgängig machen können, diese aus ihrer Sicht sozialistische Zwangssteuer. Dafür dass sie so lange Zeit hatten, sind sie jetzt erstaunlich schlecht vorbereitet. Eine Alternative zu Obamacare haben sie nicht in der Schublade. 20 Millionen Bürgern, die durch die Reform neu eine Krankenversicherung haben, können sie diese aber nicht einfach wegnehmen. Das wäre politischer Selbstmord.
Viele Amerikaner wissen nicht, dass sie nur wegen Obama zu einer Police gekommen sind. Hingegen werden sie zweifellos registrieren, wer sie ihnen wieder wegnimmt. Schon jetzt macht in Washington D.C. statt «Repeal and Replace» die Losung «Repeal and Delay» die Runde. Abschaffen aber vorläufig beibehalten, bis man sich auf eine Alternative geeinigt hat. Die grossen Versicherungskonzerne haben schon angedeutet, dass die damit verbundene Unsicherheit Gift für den Markt wäre.
Es kann davon ausgegangen werden, dass Trump all dies weiss. So ist seine Warnung an die Republikaner zu verstehen, sie müssten aufpassen, dass am Schluss nicht ihnen das Chaos im Gesundheitssektor angelastet wird. Ebenfalls kennt er die folgende Volksweisheit: «You break it, you own it».