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Zwischen Mexiko und Feuerland tobt ein Krieg, weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit. Er wird geführt zwischen Drogengangs und der Polizei, Paramilitärs und Jugendbanden. In Brasilien und Mexiko sterben mehr Menschen als auf den Schlachtfeldern dieser Welt.
Das neue Jahr ist erst einige Stunden alt, da versinkt El Salvador schon wieder in einer Gewaltorgie. Bei Gefechten zwischen mutmasslichen Mitgliedern der Jugendbande Mara Salvatrucha und der Polizei sterben im Bezirk Valle Nuevo sechs Menschen im Kugelhagel.
Weitere Menschen sterben bei Schiessereien, Raubüberfällen oder Familienstreitigkeiten. Am Ende des Neujahrstags stehen 35 Morde in der Polizeistatistik.
Damit fängt das neue Jahr so blutig an wie das alte endete. 105 Morde pro 100'000 Einwohner wurden 2015 in dem mittelamerikanischen Land registriert. Damit ist El Salvador das weltweit gefährlichste Land ausserhalb von Kriegsgebieten. Bei einem Wert über 10 spricht die Weltgesundheitsorganisation WHO von einer «Gewaltepidemie».
Für den Grossteil der Gewalt in dem mittelamerikanischen Land werden Jugendbanden – die sogenannten Maras – verantwortlich gemacht. Die Gangs kontrollieren ganze Stadtviertel. Sie sind in Drogenhandel und Schutzgelderpressung verwickelt.
Zuletzt gab es aber auch immer wieder Hinweise auf die Todesschwadronen, die willkürlich Jugendliche töten, die sie für Bandenmitglieder halten. Die paramilitärischen Gruppen werden von konservativen Unternehmerkreisen finanziert.
Die Maras wiederum machen gezielt Jagd auf Polizisten und Soldaten. Die Beamten dürfen jetzt auch in ihrer Freizeit Waffen zur Selbstverteidigung tragen, weil Bandenmitglieder sie meist nach Dienstschluss abpassen.
Während sich in Europa die Aufmerksamkeit derzeit vor allem auf den Konfliktherd Nahost richtet, liegen die wahren Todeszonen in Lateinamerika und der Karibik: 33 Prozent aller Morde weltweit geschehen dort, obwohl nur acht Prozent der Weltbevölkerung in der Region leben.
Eins von fünf Mordopfern weltweit ist entweder Brasilianer, Venezolaner oder Kolumbianer. Die venezolanische Hauptstadt Caracas ist mit fast 120 Tötungsdelikten pro 100'000 Einwohner die Mord-Hauptstadt der Welt.
«Die Lage in Lateinamerika ist ein Desaster. Es ist die einzige Region der Welt, in der die Zahl der Tötungsdelikte zwischen 2000 und 2012 angestiegen ist», sagt der Kriminologe Carlos Vilalta vom mexikanischen Forschungsinstitut Cide.
Mit über 56'000 Mordopfern starben 2014 allein in Brasilien mehr Zivilisten durch Gewalt als in den Krisengebieten Afghanistan, Irak, Syrien und der Ukraine zusammen, wie Robert Muggah vom brasilianischen Instituto Igarapé sagt.
Aufgrund des Friedensprozesses mit der linken Guerillaorganisation FARC, eines entschlossenen Vorgehens gegen das organisierte Verbrechen und innovativer städtebaulicher Massnahmen in den Brennpunkten, ist die Zahl der Morden in Kolumbien zuletzt zwar auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten gesunken.
Mit knapp 12'000 Tötungsdelikten im vergangenen Jahr gehört es aber noch immer zu den Ländern mit den meisten Morden weltweit.
Nur ganz selten schafft es die Gewalt in Lateinamerika in die internationalen Schlagzeilen. Dabei haben die Gewaltexzesse abgesehen vom persönlichen Leid durchaus auch politische, wirtschaftliche und soziale Folgen.
«Die extreme Zahl der Morde in El Salvador ist ein Zeichen des sozialen Zerfalls», sagt Jeannette Aguilar von der Universität José Simeón Cañas. «Die psychosozialen Traumata der Angehörigen produzieren ökonomische und soziale Kosten. Das sollte dem Staat Sorgen bereiten.»
Das Institut für Wirtschaft und Frieden (IEP) schätzt die weltweiten Folgekosten von Tötungsdelikten auf jährlich 1.43 Billionen US-Dollar. Die Gewalt zwingt zudem überall in der Region die Menschen zur Flucht.
Der Schlüssel im Kampf gegen die Gewaltepidemie in Lateinamerika ist nach Einschätzung von Experten das Justizwesen. In El Salvador werden beispielsweise nur fünf von 100 Mördern verurteilt.
«In Ländern mit hohen Mordraten sollte die Reform des Rechtswesens Priorität geniessen», schreibt Manuel Eisner von der Universität Cambridge in einer Studie. «Ohne effektive Rechtsstaatlichkeit werden alle anderen Ansätze fragil und wenig nachhaltig sein.»
(sda/dpa)