Island hat das Coronavirus auf beeindruckende Weise unter Kontrolle gebracht. In der letzten Woche gab es nur noch eine Handvoll Neuansteckungen; von den 1800 Erkrankten sind 97 Prozent wieder genesen. Bloss 10 Personen sind an Covid-19 gestorben, und dies ohne harten Lockdown.
Viele Restaurants und Geschäfte blieben offen, ausser solche wie Coiffeure, bei denen Distanzhalten nicht möglich ist. Auch Kindergärten und Grundschulen waren offen, Versammlungen bis 20 Personen erlaubt; seit letztem Montag liegt die Grenze wieder bei 50 Personen, sofern sie Abstand halten können. Seit 4. Mai sind Hochschulen und Museen offen, Schwimmbäder folgen bald, Club-Sport draussen ist möglich. Für den Sommer werden sogar Veranstaltungen mit bis 2000 Leuten erwartet.
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Für diese Entwicklung waren mehrere Faktoren verantwortlich: Ein Pandemieplan, der eine rasche Reaktion erlaubte, enormer Testaufwand sowie rigoroses Nachverfolgen aller Ansteckungen. Insgesamt 19'000 Personen oder mehr als 5 Prozent der Bevölkerung wurden in Quarantäne gesetzt. Bereits im Januar, als die Meldungen aus China bedrohlicher klangen, wurden Personen, die aus Risikogebieten einreisten, getestet. Ausser den Färöer-Inseln hat kein Land proportional zur Bevölkerung mehr getestet als Island. Fast 15 Prozent der 360'000 Einwohner wurden auf Corona untersucht – in der Schweiz sind es 3,4 Prozent.
Möglich wurde das grosse Testvolumen durch das auf Genforschung spezialisierte Medizinalunternehmen DeCode Genetics. Der Gründer, der Neurologe Kari Stefansson, erkannte, dass es breit angelegte Tests brauchte, um die Ausbreitung des Virus zu verstehen. Er überzeugte die Gesundheitsbehörden von einer engen Zusammenarbeit: Sowohl das Unispital in Reykjavik wie auch DeCode Genetics testeten.
Gleichzeitig nahm ein grosses Team aus Beamten, Polizisten und Studierenden die Tracing-Arbeit auf: Bei jeder Erkrankung wurden die Kontakte der betroffenen Person in Quarantäne gesetzt, ein Prozess, der bis heute penibel weitergeführt wird. Bereits seit Anfang April ist zusätzlich eine von heimischen IT-Firmen entwickelte Tracing-App bereit – über die in vielen anderen Ländern nach wie vor diskutiert wird. 40 Prozent der Bevölkerung haben die App bisher aufs Handy geladen.
Dank der Testaktivität fanden die isländischen Forscher bald heraus, woher das Virus eingeschleppt wurde: Die ersten Fälle waren Heimkehrer aus den Skiferien in den Alpen, aus Italien und Österreich. Es waren die Isländer, die Ischgl als Gefahrenherd erkannten und am 5. März zum Hochrisikogebiet erklärten – 2 Tage bevor in Tirol der erste Fall bestätigt wurde.
Trotz des Erfolges bleiben die wirtschaftlichen Probleme: Die Vulkaninsel ist abgeschottet, der wichtige Tourismus zusammengebrochen, Tausende haben ihre Jobs verloren. Zwar ist die Einreise aus dem Schengengebiet noch möglich, doch dann sind zwei Wochen Quarantäne Pflicht – was Besucher natürlich abschreckt. Optimisten hoffen, dass Tourismus im Spätsommer realistisch sein könnte, eventuell in abgesonderten Gruppen. Doch die Behörden wollen ein erneutes Einschleppen des Virus möglichst unterbinden. Er versuche, sagte Aussenminister Gudlaugur Thordarson, bald mit einigen Ländern über Reisen zu sprechen. Mit Ländern, «die erfolgreich waren im Kampf gegen das Virus».