Mit einem Eklat hat der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin begonnen. Laut Medienberichten soll die Türkei von Deutschland die Auslieferung von gesuchten Staatsbürgern fordern.
Kurz nach dem Empfang Erdogans durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Vormittag wurde bekannt, dass Erdogan von Deutschland die Auslieferung von in der Türkei gesuchten Personen verlangt. Es soll sich laut Berichten von Medien in der Türkei und in Deutschland um 69 Personen handeln.
Unter ihnen soll der bekannte Journalist Can Dündar sein. Der in der Türkei wegen Spionage und Verrats verurteilte Journalist verzichtet auf eine Teilnahme an der geplanten Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Erdogan.
«Ich habe entschieden nicht daran teilzunehmen», twitterte Dündar am Freitag. Da Erdogan womöglich die Pressekonferenz boykottieren werde, wenn er komme, habe er sich entschieden, nicht teilzunehmen, teilte der frühere Chefredakteur der Zeitung «Cumhuriyet» mit. Seine Fragen würden von einem deutschen Journalisten gestellt werden.
Dündar war 2016 in der Türkei wegen eines Berichts über geheime Waffenlieferungen an islamistische Rebellen in Syrien zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er lebt im Exil in Deutschland.
Die regierungsnahe türkische Zeitung «Yeni Asir» hatte am Freitag berichtet, Erdogan habe drei Tage vor seinem Besuch in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Liste geschickt. Unter den 69 dort Aufgeführten soll demnach Dündar sein, der frühere «Cumhuriyet»-Chefredakteur.
NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung» melden ihrerseits, am Montag sei eine Verbalnote beim Auswärtigen Amt eingegangen, in der die türkische Botschaft um die Festnahme und Auslieferung von Dündar wegen Spionage, Verrats von Staatsgeheimnissen und Propaganda bitte.
Laut «Yeni Asir» stehen auf der Liste auch die Namen mutmasslicher Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Diese macht Ankara für den gescheiterten Staatsstreich von Juli 2016 verantwortlich.
Nach dem Empfang mit militärischen Ehren und der Ankunft im Schloss Bellevue am Morgen trugen sich Erdogan und seine Ehefrau Emine ins Goldene Buch ein. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach bei seinem ersten Treffen mit Erdogan konkrete Fälle von politischen Gefangenen in der Türkei an. Wie es aus Delegationskreisen hiess, ging es dabei um deutsche und auch um türkische Staatsbürger.
Die Presse- und Meinungsfreiheit sowie Fragen der Rechtsstaatlichkeit hätten im Mittelpunkt des etwa 75-minütigen Gesprächs gestanden, hiess es weiter. Dabei seien die Differenzen zwischen Deutschland und der Türkei und die «unterschiedliche Wahrnehmung» beider Seiten angesprochen worden. Die Atmosphäre des Treffens wurde als «ernst» beschrieben.
Nach dem Gespräch im Schloss Bellevue traf der türkische Präsident mit Kanzlerin Angela Merkel zusammen. Am Abend lud Steinmeier zu einem Staatsbankett. Zahlreiche Oppositionspolitiker sagten ihre Teilnahme aus Protest gegen Erdogan ab.
Nach einem Gespräch mit Steinmeier traf Erdogan mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Im Vorfeld des Besuchs hatte Merkel angekündigt, auch kritische Themen ansprechen zu wollen. Die Bundeskanzlerin warnte allerdings auch vor einer Destabilisierung der Türkei und verwies auf die Lage in den Nachbarstaaten.
Der Staatsbesuch findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. In Berlin waren mehrere Demonstrationen angekündigt, die sich vor allem gegen die Inhaftierung von Journalisten und Regimegegnern in der Türkei richten. (whr/mlu/sda/dpa/afp)