Facebook ist ein Gigant des Internets. Rund 3,5 Milliarden User weltweit nutzen seine Plattformen, zu denen neben der «Stammsite» auch Instagram und WhatsApp gehören. Im letzten Jahr erzielte der Konzern einen Gewinn von fast 30 Milliarden Dollar, und 2021 geht es weiter nach oben, weil seine Dienste in der Corona-Pandemie mehr gefragt sind denn je.
Für Facebook könnte es kaum besser laufen, und doch kämpft der Tech-Riese aus dem kalifornischen Menlo Park seit einiger Zeit mit Problemen. Sein Ruf ist seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und dem Cambridge-Analytica-Skandal ramponiert. Facebook gilt als Fake-News-Schleuder und als Bedrohung für die Demokratie.
Und nun hat der Social-Media Konzern eine Horror-Woche hinter sich. Am Montag kam es zu einem sechsstündigen Totalausfall seiner Systeme. Das Problem war selbstverschuldet. Ein Update war dermassen schief gelaufen, dass die Techniker sich nur mit einem Reset behelfen konnten. Die User mussten auf andere Dienste wie Twitter ausweichen.
Tags darauf kam es noch dicker. Die ehemalige Facebook-Managerin Frances Haugen trat vor dem US-Senat auf und konstatierte den «moralischen Bankrott» ihres Ex-Arbeitgebers. Facebook stelle den Profit über das Wohl seiner Nutzer, lautete ihr Hauptvorwurf. Zuvor hatte Haugen bereits das «Wall Street Journal» mit internen Dokumenten beliefert.
Ein Problem seien die Algorithmen, meinte die Whistleblowerin. Sie würden maximal zehn Prozent der problematischen Inhalte herausfiltern und hätten «in der realen Welt zu Gewalt geführt». Für Entrüstung in den USA sorgte Haugens Vorwurf, Facebook habe aus internen Studien gewusst, dass Instagram bei Mädchen psychische Störungen verursachen könne.
Eine von drei Teenagerinnen entwickelt demnach aufgrund eines unrealistischen, durch Photoshop verfälschten Schönheitsideals Probleme mit dem eigenen Körperbild. Dennoch habe Facebook nichts unternommen, sagte Haugen. Das eigentliche Problem sei die Macht von Gründer und Konzernchef Mark Zuckerberg, den niemand zur Rechenschaft ziehe.
Das Echo auf den Auftritt der Whistleblowerin war enorm. Der demokratische Senator Ed Markey bezeichnete sie als «amerikanische Heldin des 21. Jahrhunderts». Für einmal war sich sogar der sonst tief gespaltene Kongress einig, obwohl die Republikaner sich vor allem darüber empören, dass Facebook nach ihrer Ansicht konservative Meinungen unterdrückt.
Die Kritik liess Mark Zuckerberg nicht kalt. Er veröffentlichte ein Statement, in dem er den Vorwurf zurückwies, Facebook sei nur am Profit interessiert: «Das ist einfach nicht wahr.» Nach dem Cambridge-Analytica-Skandal habe Facebook begonnen, den Usern vermehrt Beitrag von Freunden und Angehörigen statt viraler Videos zu zeigen.
«Die Behauptung, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch», klagte Zuckerberg. Unlogisch ist eher seine Argumentation. Social-Media-Konzerne «leben» davon, ihre User zwecks Optimierung der Werbegelder an sich zu binden. Das geht am besten über Emotionen – auch negative.
Letztlich geht es darum, die User abhängig zu machen, weshalb Kritiker immer wieder Vergleiche mit «Big Tobacco» anstellen. Mit jahrelangen Vertuschungsversuchen haben die Zigarettenhersteller ihren Ruf gründlich ruiniert. Gleiches drohe auch Facebook, meint der «Economist» in einem Kommentar, der den Tech-Konzern sonst in Schutz nimmt.
Die Wut zeige, dass der Reputationsschaden «ausser Kontrolle» geraten sei. Facebook nähere sich dem Punkt, an dem es kein Zurück gebe. Laut einer Erhebung des Pew Research Center beziehen rund 30 Prozent der erwachsenen Amerikaner ihre News via Facebook. Aber fast 60 Prozent würden Facebook als Newsquelle nicht vertrauen.
Der «Economist» verweist zudem auf einen besonders schädlichen, von der Öffentlichkeit kaum beachteten Aspekt in Frances Haugens Aussage. Facebook soll demnach den Verlust junger User in den USA verschleiert haben. Das Phänomen ist an sich bekannt, doch Facebook habe das Ausmass gegenüber den Werbekunden verheimlicht.
Die Firma bestreitet dies, denn sie würde sich damit eventuell strafbar machen. Gleichzeitig tut sich die Politik bei aller vordergründigen Einigkeit schwer damit, gegen Facebook vorzugehen. Die häufig geforderte Zerschlagung ist leichter gesagt als getan. Im Vordergrund steht derzeit deshalb eine Verschärfung der Kinderschutzgesetze.
Der Druck auf Facebook und die anderen Tech-Konzerne wird anhalten. Beobachter glauben, dass Frances Haugen einen «Dammbruch» auslösen und weitere Whistleblower animieren könnte. Anzeichen gibt es: Ein internes Memo, in dem sich der frühere britische Vizepremier und heutige Facebook-Lobbyist Nick Clegg gegen Haugens Aussagen verwahrte, landete im Handumdrehen bei den Medien.
Für Facebook steht viel auf dem Spiel. Der Konzern möchte eine führende Rolle spielen im Metaversum, dem «Next Big Thing» in der virtuellen Welt. Dies könnte scheitern, meint der «Economist»: «Wer will ein von Facebook geschaffenes Metaversum? Vermutlich gleich viele Leute, die ihre Gesundheitsversorgung von Philip Morris erhalten möchten.»
Schlussendlich kann jeder froh sein, der in keinem der FB Dienste (FaceBook, Instagram, Whatsapp) Mitglied ist!
So rückt die Zerschlagung des data octopus immer ein Stück näher.