Theresa May gab sich grösste Mühe, ihrem Gast einen angenehmen Empfang zu bereiten. Sie organisierte für ihn ein Galadinner im Blenheim Palace bei Oxford, wo Winston Churchill geboren wurde. Denn Donald Trump bewundert Churchill, wie er überhaupt starke Männer verehrt. Der Abend soll überaus angenehm verlaufen sein, hiess es aus britischen Regierungskreisen.
Es war ein Versuch der Schadensbegrenzung. Denn kaum hatte das festliche Mahl begonnen, liess das Boulevardblatt «The Sun» die «Brexit-Bombe» platzen. In einem Exklusiv-Interview attackierte der US-Präsident die Strategie von Theresa May für den Austritt Grossbritanniens aus der EU. Sie werde das erhoffte Handelsabkommen mit den USA «wahrscheinlich erledigen».
BBC-Politikchefin Laura Kuenssberg sprach von einem «Frontalangriff» auf Mays Brexit-Plan, den die Premierministerin am Donnerstag in einem 100-seitigen Weissbuch präsentiert hat. Trump fahre mit einem Bulldozer über dessen zentrales Argument hinweg, dass das Königreich Handelsverträge mit aller Welt abschliessen und sich trotzdem an die EU-Regeln halten könne.
«Mit einem Freund wie Donald Trump braucht Theresa May keine Feinde», kommentierte CNN. Von denen hat die konservative Regierungschefin eigentlich genug. Am Montag hatten Brexit-Minister David Davis und Aussenminister Boris Johnson die Regierung aus Protest gegen den aus ihrer Sicht zu weichen Brexit-Kurs von Theresa May verlassen. Trump goss im «Sun»-Interview Öl ins Feuer, indem er behauptete, Johnson wäre «ein grossartiger Premierminister».
Die «Sun» selbst ging noch weiter und bezeichnete Trumps Aussagen als «Nitroglyzerin» für die brodelnde Revolte der konservativen «Brexiteers» gegen ihre Premierministerin. Also den Anhängern eines totalen Bruchs mit der EU, die immer heftiger an Theresa Mays Stuhl rütteln. Eines hat Donald Trump auf jeden Fall erreicht: Er hat sein Image als Chaos-Präsident bestätigt.
Seit Beginn seiner Europareise liess er keine Gelegenheit aus, um seine Alliierten zu brüskieren. Es begann mit einem Frühstück zum Auftakt des NATO-Gipfels in Brüssel am Mittwoch. In einer auf Video festgehaltenen Tirade behauptete Trump, Deutschland sei wegen der Erdgaspipeline Nord Stream 2 «ein Gefangener Russlands». Nur um am gleichen Tag nach einem Treffen mit Angela Merkel zu betonen, er habe ein «sehr, sehr gutes Verhältnis» zur Bundeskanzlerin.
.@POTUS on NATO defense spending: "This has been going on for decades. This has been brought up by other presidents, but other presidents never did anything about it." pic.twitter.com/L2D3JYpa5m
— Fox News (@FoxNews) 11. Juli 2018
Am Donnerstag ging es im gleichen Stil weiter. Erst kam Trump zu spät, dann funktionierte er ein Meeting mit den NATO-Beitrittskandidaten Georgien und Ukraine zu einer «Krisensitzung» um, in der er die Verbündeten ein weiteres Mal ultimativ aufforderte, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Andernfalls könnten die USA «ihre eigenen Wege» gehen, drohte Trump.
Damit stiess er auf heftigen Widerspruch. Der rechtsliberale dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen konfrontierte Trump mit der Tatsache, dass sein Land im Afghanistan-Krieg im Verhältnis etwa gleich viele Verluste zu beklagen hatte wie die USA. Er habe an Begräbnissen teilgenommen und könne nicht akzeptieren, dass Trump behaupte, Dänemark tue nicht genug für die NATO, erklärte Rasmussen gemäss Politico.
Ganz unbeeindruckt scheint der US-Präsident davon nicht gewesen zu sein. In einer Medienkonferenz erklärte Trump auf einmal: «Ich glaube an die NATO. Die NATO ist jetzt eine gut geölte Maschine.» Auf die Frage eines kroatischen Journalisten, ob er von Air Force One aus das Gegenteil twittern werde – wie nach dem G7-Gipfel im Juni –, meinte Trump: «Nein, das machen andere. Ich nicht. Ich bin sehr konsistent. Ich bin ein sehr stabiles Genie.»
Daran zweifeln so manche. Ralph Peters, ein ehemaliger Offizier der US-Armee und langjähriger Mitarbeiter von Fox News, meinte gegenüber CNN, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätten auf ihn wie Psychiater gewirkt, «die sich geduldig um ein gestörtes Kind kümmern». Gemeint ist natürlich der US-Präsident.
Manche Staatsmänner und -frauen hätten in den ersten 18 Monaten von Trumps Präsidentschaft geglaubt, sein Chaos habe Methode, schreibt Politico. Nun seien sie offenbar zur Überzeugung gelangt, dass es nur Chaos ist, «und Trump selbst vielleicht nicht kapiert, was er tut». Für Ex-Militär Peters ist klar, dass er damit seinem Land schadet.
Dies deckt sich mit einer Analyse des renommierten Magazins The Atlantic. Donald Trumps aussenpolitische Doktrin lasse sich auf einen Slogan reduzieren: Make America Weak Again. Amerikas Vormachtstellung in der Welt beruhe auf fünf Pfeilern: Nachbarn, Verbündete, Märkte, Werte und militärische Macht. Die Trump-Doktrin schwäche sie alle, mit Ausnahme des letzten.
Für Donald Trump sind Bündnisse wie EU und NATO dazu gedacht, die USA über den Tisch zu ziehen. Folglich hat er keine Hemmungen, seine Verbündeten zu attackieren. Selbst die Nachbarn Kanada und Mexiko verschont er nicht, er deckt sie mit Strafzöllen ein. Nun hat Mexiko einen linken Präsidenten gewählt und Kanada Vergeltungszölle eingeführt. «Man muss ausserordentlich dumm sein, um sich die Kanadier zu Feinden zu machen», meint die «Atlantic»-Autorin.
Die Trump-Doktrin antworte auf die Handelsfragen des 21. Jahrhunderts mit Methoden aus dem 20. Jahrhundert. Der Präsident gehe davon aus, dass Strafzölle nur die Länder treffen, gegen die sie gerichtet sind. Das gelte vielleicht für die 1970er Jahre. «In der heutigen Welt der globalen Lieferketten treffen Zölle nicht nur ausländische Firmen und Arbeiter, sondern auch amerikanische.»
Besonders schwer aber wiege Trumps Missachtung für die amerikanischen Werte: «Demokratische Staaten gelten als schwach, autoritäre Führer werden bewundert, moralische Autorität zählt praktisch nichts mehr, Soft Power ist zu soft, nur Hard Power bringt Resultate.»
Da ist es logisch, dass Trump sich auf das Treffen mit Russlands Machthaber Wladimir Putin am Montag in Helsinki freut. Es werde «vielleicht das einfachste von allen», liess er im Vorfeld verlauten.
Damit beschädige der Präsident das Ansehen der USA, meint «The Atlantic» und verweist darauf, dass in der Regel zwei Gründe zum Untergang einer Grossmacht führen: Imperiale Überdehnung oder Rivalität mit anderen Grossmächten. «Niemals in der Weltgeschichte ist ein Land durch so viele selbstverschuldete Angriffe auf die Quellen seiner eigenen Macht abgestiegen.»