Ronald Reagan war ein Kommunistenhasser. Die Sowjetunion war für ihn das «Reich des Bösen». Trotzdem griff der damalige US-Präsident zu, als ihm der neue Sowjetführer Michail Gorbatschow die Hand zum Frieden reichte. 1985 kam es zum historischen Gipfeltreffen in Genf. Zwei Jahre später unterzeichneten Reagan und Gorbatschow einen atomaren Abrüstungsvertrag.
Wird sich die Geschichte nun wiederholen? Für Amerikas Rechte steht fest: Präsident Donald Trump ist der neue Reagan. Wie in den 80er Jahren habe eine Politik der Stärke dazu geführt, dass Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un zum Gipfeltreffen in Singapur bereit war. Und wie damals soll am Ende die Abrüstung und «vollständige Denuklearisierung» Nordkoreas stehen.
Kritiker hingegen vergleichen Donald Trump nicht mit Reagan, sondern mit dem früheren britischen Premierminister Neville Chamberlain. Dessen Appeasement-Politik gegenüber Adolf Hitler ist zu einem schändlichen Beispiel für die Unterwerfung der Demokratie unter eine Diktatur geworden. Der Vergleich ist hart, aber Trump hat in Singapur wenig getan, um ihn zu widerlegen.
Remember when they remade the movie Karate Kid 25 years later? That’s what this is: pic.twitter.com/QVZMB3X6Sj
— Vipin Narang (@NarangVipin) 12. Juni 2018
So ist die Abschlusserklärung sehr vage gehalten. Nordkorea verpflichtet sich einzig, auf die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel hinzuarbeiten. Konkrete Massnahmen sind nicht enthalten. Kritiker verweisen darauf, dass Nordkorea fast auf den Tag genau 25 Jahre zuvor ein ähnliches Dokument unterzeichnet hatte. Wie es danach weiterging, ist bekannt.
Auch Reagan und Gorbatschow hatten beim Treffen in Genf nur eine allgemeine Erklärung unterzeichnet. Damals aber hatte man nicht mehr erwartet, es ging um ein erstes Kennenlernen. Donald Trump hingegen hat die Latte vor dem Singapurer Treffen sehr hoch gelegt. Er strebte nichts weniger als den ultimativen Atomdeal mit Kim Jong Un an.
Davon ist das Dokument weit entfernt. Immerhin bleiben die Sanktionen gegenüber Nordkorea vorerst in Kraft, doch Trump betonte an seiner Medienkonferenz, er freue sich darauf, sie aufheben zu können. Über Kim Jong Un äusserte er sich in wärmsten Worten. Er bezeichnete ihn als «sehr begabten Menschen» und fügte an: «Ich habe festgestellt, dass er sein Land sehr liebt.»
Tatsächlich liebt Kim sein Land so sehr, dass er alle, die seine spezielle Liebe nicht teilen, in Konzentrationslager sperren und bis aufs Blut quälen lässt. Und ihre Familien gleich mit, denn Justiz ist in Nordkorea gleichbedeutend mit Sippenhaft. Für Ronald Reagan waren die Menschenrechte ein wichtiges Thema. Donald Trump sind sie nur lästig.
Hartnäckigen Reporterfragen zu diesem Thema wich er aus. Er schwadronierte über den US-Studenten Otto Warmbier, der «nicht umsonst gestorben» sei, oder die Überreste von US-Soldaten aus dem Koreakrieg. Als er gefragt wurde, ob er die Gulag-Insassen verraten habe, behauptete Trump, er habe ihnen geholfen, sie würden «einer der grossen Gewinner» des Gipfels sein.
Ist dies Realitätsverweigerung, oder steckt mehr dahinter? Donald Trump hat eine fatale Schwäche für starke Männer. Er bewundert Wladimir Putin, Xi Jinping oder Recep Tayyip Erdogan. Und nun offenbar Kim Jong Un. Für demokratisch gewählte Politiker hingegen scheint er nur Verachtung zu empfinden, wie am G7-Gipfel in Kanada zu erkennen war.
Wird das demokratische Südkorea das neuste Opfer? Das ist übertrieben, aber dass Trump die gemeinsamen Manöver einstellen und die US-Soldaten nach Hause holen will, sollte in Seoul zumindest für Stirnrunzeln sorgen. Freuen über diese Massnahme dürfen sich Kim Jong Un und vor allem Chinas Xi Jinping. Ein Abzug der Amerikaner aus Korea ist ganz nach seinem Gusto.
Für die freie Welt sind dies ungemütliche Aussichten. Ihr «Anführer» gebärdet sich als Diktatorenfreund. Höchste Zeit also, dass sich die demokratische Welt zusammenrauft. Oder wie es der Politologe Brian Klaas Anfang Jahr im watson-Interview gefordert hat: «Es ist in Europas langfristigem Interesse, den Trumpismus nicht einfach zu akzeptieren.»