Die USA befinden sich knapp vier Monate vor der Präsidentschaftswahl in einem Zustand der gröberen Zerrüttung. Die Coronapandemie hat sich mit voller Wucht zurückgemeldet und die Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung im dritten Quartal erheblich eingetrübt. Die Rassismus-Kontroverse nach dem Tod von George Floyd ist längst nicht ausgestanden.
In dieser Situation wäre Amerika auf einen Präsidenten angewiesen, der zur Versöhnung aufruft und den Menschen Mut macht. Donald Trump tut das Gegenteil. In seinen Ansprachen zum Nationalfeiertag am Mount Rushmore und im Weissen Haus hetzte er gegen angebliche «Anarchisten», die «die Gesellschaft zerstören» würden.
Has @BubbaWallace apologized to all of those great NASCAR drivers & officials who came to his aid, stood by his side, & were willing to sacrifice everything for him, only to find out that the whole thing was just another HOAX? That & Flag decision has caused lowest ratings EVER!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) July 6, 2020
Am Montag legte er auf Twitter nach. Dieses Mal nahm er sich die vorab in den Südstaaten verwurzelte NASCAR-Motorsportserie und ihren einzigen schwarzen Fahrer Darrell «Bubba» Wallace zur Brust. Trump forderte ihn ziemlich explizit auf, sich bei den anderen Fahrern und Offiziellen zu entschuldigen, weil sie auf einen «Schwindel» hereingefallen seien.
Als Schwarzer war Bubba Wallace empört über die brutale Tötung von George Floyd durch einen Polizisten Ende Mai in Minneapolis. Für das Rennen am 10. Juni in Martinsville (Virginia) liess er seinen blauen Chevrolet schwarz umlackieren und mit dem Hashtag #blacklivesmatter versehen. Unter seinem Rennoverall trug er ein Shirt mit der Aufschrift «I can’t breathe».
Umso grösser war der Schock, als vor dem übernächsten Rennen am 21. Juni auf dem Talladega Superspeedway in Alabama, dem Heimatstaat von Bubba Wallace, in seiner Box ein vermeintlicher Galgenstrick gefunden wurde. Offenbar handelte es sich um eine Warnung an Wallace, die an die Lynchmorde an Schwarzen in den Südstaaten erinnerte.
Die NASCAR-Community reagierte mit beispielloser Solidarität. Das gesamte Fahrerfeld mitsamt den Crews schob das Auto von Wallace symbolisch an die Spitze der Startaufstellung. Sogar sein Teamchef Richard Petty war vor Ort. Die 83-jährige NASCAR-Legende hatte sich seit Ausbruch der Coronapandemie von den Rennstrecken ferngehalten.
Das FBI untersuchte den Vorfall und kam zu einem etwas anderen Schluss. Es handle sich wohl nicht um ein Hassverbrechen. Der «Galgenstrick» habe sich seit Monaten in der Box befunden und als Zugseil für das Garagentor gedient. Das machte die Angelegenheit für alle ein wenig peinlich, aber dabei hätte man es bewenden lassen können.
Donald Trump sieht das nicht so, wie sein Tweet vom Montag zeigt. Damit sorgte er selbst bei Verbündeten für Kopfschütteln. Senator Lindsey Graham aus South Carolina, einer seiner treuesten Vasallen, sagte im Fox-Radio, Bubba Wallace müsse sich «für gar nichts entschuldigen». Die NASCAR-Leitung nahm ihren schwarzen Fahrer in einer Mitteilung einmal mehr in Schutz.
Sie war von Trump ebenfalls aufs Korn genommen worden wegen ihrer Entscheidung, die Konföderierten-Flagge bei NASCAR-Rennen zu verbieten. Letzte Woche beschlossen das republikanisch dominierte Parlament von Mississippi und der republikanische Gouverneur ebenfalls, das Südstaaten-Emblem aus der Fahne des Bundesstaates zu entfernen.
Bislang hatten viele Südstaatler die Flagge mit dem Andreaskreuz erbittert verteidigt, als Teil ihres kulturellen Erbes. Für die Schwarzen hingegen ist sie ein Symbol der Sklaverei, sie fordern ihre Entfernung aus dem öffentlichen Raum. Die Rassismus-Debatte nach dem Tod von George Floyd hat das vermeintlich Unmögliche möglich gemacht.
Donald Trump will das offenbar nicht wahrhaben. Immer mehr Republikaner fragen sich, was ihren Präsidenten umtreibt. Mit seinen rassistisch gefärbten Tweets und dem Kulturkampf gegen «linke Faschisten» und Denkmalsstürmer kann er eigentlich nur bei einer Bevölkerungsgruppe punkten: weissen Männern mit geringer Schulbildung.
Mit diesen allein gewinnt man keine Wahl, schon gar nicht angesichts seines Rückstands in den Umfragen gegen Joe Biden. Die republikanische Aktivistin und Lobbyistin Janet Mullins Grissom meinte zum Wallace-Tweet, der Präsident sei offenbar entschlossen, jene Theorien zu stützen, wonach er versuche, die Wahl zu verlieren.
Seems @POTUS is determined to give evidence to the ‘I think he’s trying to lose the election’ theorists. https://t.co/xVdU1KhkBM
— Janet MullinsGrissom (@JMullinsGrissom) July 6, 2020
Entsprechende Mutmassungen kursieren seit Wochen in Washington. Mitte Juni publizierte die «New York Times» dazu einen Artikel, zu einem Zeitpunkt also, als die Coronapandemie abzuflauen schien. Anhänger und Verbündete des Präsidenten äusserten darin ihre Besorgnis über Trumps zunehmende Selbstzerstörung und seinen Unwillen, sie zu stoppen.
Wer sich mit Donald Trumps Werdegang befasst hat, kann sich vorstellen, dass er es auf eine Niederlage anlegt. Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass seine Kandidatur 2016 ein PR-Stunt und sein Sieg gegen Hillary Clinton eine Art «Betriebsunfall» war. Im Weissen Haus fühlt er sich nicht wohl, er sehnt sich nach dem Trump Tower in New York.
Das Regieren fällt ihm schwer, er gönnt sich grosszügige Auszeiten. Die Aussicht auf weitere vier Jahre scheine ihn nicht zu begeistern, schrieb die «New York Times» mit Berufung auf ihm nahe stehende Personen. Man traut Trump zu, dass er eine Abwahl anstrebt und bereit ist, der Republikanischen Partei «verbrannte Erde» zu hinterlassen.
Es gibt aber auch gewichtige Gründe für die gegenteilige Annahme. Donald Trump definiert sich voll und ganz über den Erfolg. Die Aussicht, einem Gegner wie «Sleepy Joe» Biden zu unterliegen, muss für ihn unerträglich sein. Das macht es wahrscheinlich, dass er auch bei einer Niederlage nicht einfach aufgeben und eine Verfassungskrise in Kauf nehmen würde.
Donald Trump ist ein labiler Mensch. Er kann heute das eine wollen und morgen das andere. Sein derzeitiges Verhalten allerdings spricht stark für die erste Vermutung. «Ich weiss, dass er diesen Job nicht mag», sagte Anthony Scaramucci, der während elf Tagen als Kommunikationsdirektor im Weissen Haus tätig war, der «New York Times». Und Trump selbst sagte in einem Interview mit Fox News: «Wenn ich nicht gewinne, gewinne ich nicht.»
gleich und gleich gesellt sich gerne.