Tagelang hatte François Fillon gehofft, er könne die Affäre aussitzen. Ein am Donnerstagabend vom Fernsehsender France 2 ausgestrahltes Video könnte dem Präsidentschaftskandidaten der Partei Les Républicains nun aber den Rest geben. In einem 2007 nach Fillons Ernennung zum Ministerpräsidenten von der Zeitung «Sunday Telegraph» aufgenommenen Interview erklärte seine britische Ehefrau Penelope: «Ich war niemals die Assistentin meines Mannes.»
Der wochenlang als Favorit bei der Präsidentschaftswahl gehandelte François Fillon steht seit gut einer Woche massiv unter Druck: Das Satire- und Enthüllungsblatt «Le Canard Enchaîné» berichtete, Fillon habe seine Frau zum Schein als Mitarbeiterin beschäftigt. Penelope Fillon habe mehr als 930'000 Euro aus Steuermitteln erhalten, ohne dafür wirklich gearbeitet zu haben. Auch zwei Kinder des Paares sollen auf Staatskosten angestellt gewesen sein.
Der konservative Politiker wies die Vorwürfe als Schmutzkampagne zurück. Der Anwalt Penelope Fillons erklärte in einer Mitteilung, der Satz aus dem Video sei aus dem Zusammenhang gerissen. Penelope Fillon habe damals deutlich machen wollen, dass sie ein anderes Verständnis von ihrer Rolle habe als die Frau des damaligen britischen Regierungschefs Tony Blair. Seine Mandantin habe den Ermittlern alle Informationen gegeben, um ihre Tätigkeit für den Ehemann nachzuweisen.
Ob es nützen wird, scheint fraglich. In Umfragen stürzt die Zustimmung für Fillon weiter ab. In einer Befragung des Instituts Harris interactive sprachen sich sieben von zehn Franzosen für einen Rückzug des 62-Jährigen von der Präsidentschaftskandidatur aus. Die Anhänger des bürgerlichen Lagers sind gespalten: Sie sind demnach jeweils zur Hälfte für oder gegen einen Rückzug.
Einer profitiert besonders vom Skandal des bürgerlichen Spitzenkandidaten: Emmanuel Macron, der 39-jährige Shootingstar der französischen Politik. In Umfragen liegt er inzwischen vor Fillon. Bei einem Auftritt an einer Unternehmermesse in Paris am Donnerstag war Macron der umschwärmte Mittelpunkt. Gegenüber Journalisten räumte er ein, es gebe eine «Bewegung» zu seinen Gunsten. Ganz Staatsmann weigerte er sich, Fragen zur Affäre Fillon zu beantworten.
Lange galt es als ausgemacht, dass François Fillon und Front-National-Chefin Marine Le Pen die Präsidentschaftswahl unter sich ausmachen würden. Der linksliberale Emmanuel Macron, der als unabhängiger Kandidat antritt, galt als sympathischer Aussenseiter, aber auch als zu «grün» für das höchste Amt im Staat. Der frühere Investmentbanker war vor zweieinhalb Jahren von Präsident François Hollande zum Wirtschaftsminister ernannt worden, einer Wahl hat er sich noch nie gestellt.
Nun profitiert Macron von seinem Image als unverbrauchter Politiker. Die von ihm gegründete Bewegung «En Marche !» (Vorwärts) zählt schon 170'000 Mitglieder. Bei seinen Auftritten füllt er ganze Sporthallen. Bereits wird er als «französischer Obama» bezeichnet. Ihm hilft nicht nur der Skandal um «Miss Moneypenny», wie Penelope Fillon vom «Canard Enchaîné» genannt wird. Sämtliche Rivalen hinterlassen derzeit keinen guten Eindruck.
In François Fillons Partei wird hinter den Kulissen nach einem neuen Kandidaten gesucht. Am häufigsten wird der Name des früheren Premierministers Alain Juppé genannt, der Fillon bei der Vorwahl überraschend unterlegen war. Der Bürgermeister von Bordeaux bekräftigte, er stehe nicht als «Plan B» zur Verfügung. Das muss aber wenig heissen. Als valable Alternative gilt François Baroin, ein gemässigter Konservativer und ehemaliger Finanzminister von Nicolas Sarkozy.
Die regierenden Sozialisten haben am letzten Sonntag den früheren Bildungsminister Benoît Hamon zum Präsidentschaftskandidaten gewählt, einen Vertreter des linken Parteiflügels, der unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen will. Sein grösstes Problem ist die Zersplitterung im linken Lager. Neben Hamon tritt der Linksaussen Jean-Luc Mélenchon zur Wahl an, ein Klassenkämpfer alter Schule. Auch die Grünen präsentieren eine eigene Kandidatur.
Von der Affäre könnte auch Marine Le Pen profitieren, die Chefin des rechtsextremen Front National. Sie präsentiert sich gerne als antielitäre Sauberfrau und könnte laut Umfragen die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewinnen. Doch auch ihr wird Scheinbeschäftigung vorgeworfen. Als Abgeordnete des EU-Parlaments soll sie zwei Mitarbeiter angestellt haben, die in Wirklichkeit für den Front National tätig waren. Nun soll Le Pen rund 300'000 Euro zurückzahlen, was sie verweigert.
Als ein Reporter des Senders TF1 Marine Le Pen am Rande einer Veranstaltung eine Frage zum Thema stellen wollte, wurde er von Sicherheitskräften handgreiflich weggeführt. Belastet wird der Front National auch durch eine dubiose Finanzaffäre um eine konkursite russische Bank, von der die notorisch finanzschwache Partei einen Kredit über neun Millionen Euro erhalten hatte. Auch gilt es als wenig wahrscheinlich, dass Le Pen sich in einem zweiten Wahlgang durchsetzen würde.
Gegen Emmanuel Macron stehen ihre Chancen laut den Umfragen besonders schlecht. Bereits gibt es Versuche, an seinem Image als integrem Quereinsteiger zu rütteln. Zwei Journalisten behaupten, Macron habe während seiner Zeit als Wirtschaftsminister staatliche Gelder für den Aufbau der Bewegung «En Marche !» verwendet. In einem Radiointerview am Mittwoch wies Macron die Vorwürfe zurück: «Kein einziger Euro» sei für solche Zwecke ausgegeben worden.
Als grösste Schwäche von Emmanuel Macron gilt das Fehlen eines konkreten Programms. Er gibt sich als gemässigt linker Reformer und als überzeugter Europäer. Bis Ende Februar will er seine Ziele präzisieren. Gleichzeitig arbeitet er daran, seine Bewegung zu einer Partei umzubauen. Zur Parlamentswahl will «En Marche !» in allen 577 Wahlkreisen mit eigenen Kandidaten antreten.
Bis zum ersten Wahlgang dauert es noch mehr als zweieinhalb Monate, in denen viel passieren kann. Bei einem Rückzug von François Fillon werden die Karten neu gemischt. Derzeit aber spricht viel für Emmanuel Macron. Am Samstag hat er seinen nächsten grossen Auftritt im Palais des Sports in Lyon, der zweitgrössten Stadt Frankreichs. Die Halle fasst 7000 Personen.
Mit Material von SDA