Der Oberste Gerichtshof der USA hat nach fast einem halben Jahrhundert das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court in Washington machte mit seiner Entscheidung am Freitag den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei – bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen Bundesstaaten.
Damit ist das bisherige Recht auf Abtreibung aus dem Jahr 1973 in den USA Geschichte. Die Entscheidung gilt als politisches Erdbeben. Dagegen werden massive Proteste erwartet.«Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung», heisst es in der Urteilsbegründung.
Nach der Entscheidung des Supreme Court gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA ist es vor dem Gerichtsgebäude in Washington zu Protesten gekommen. Dort hatten sich zuvor schon Gegnerinnen und Gegner sowie Befürworterinnen und Befürworter versammelt.
Auch in anderen Städten des Landes werden Proteste erwartet. Die Stimmung war bereits aufgeheizt, nachdem vor rund zwei Monaten ein Entwurf der Entscheidung öffentlich wurde.
Mit seiner Entscheidung machte der mehrheitlich konservativ besetzte Gerichtshof nun den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei – bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten.
US-Präsident Joe Biden hat die historische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten als «tragischen Fehler» bezeichnet. «Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs», sagte Biden am Freitag in Washington.
«Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen.» Der US-Kongress müsse jetzt handeln, um in der Sache das letzte Wort zu haben. «Es ist nicht vorbei», so Biden.
Angesichts der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA hat der ehemalige US-Präsident Barack Obama zum Widerstand aufgerufen. «Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen – und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen», schrieb Obama bei Twitter.
Today, the Supreme Court not only reversed nearly 50 years of precedent, it relegated the most intensely personal decision someone can make to the whims of politicians and ideologues—attacking the essential freedoms of millions of Americans.
— Barack Obama (@BarackObama) June 24, 2022
Obama teilte zudem ein Bild mit einem Text: «Schliesst Euch den Aktivisten an, die seit Jahren Alarm schlagen beim Zugang zu Abtreibungen, und handelt. Steht mit ihnen bei einem örtlichen Protest», hiess es dort.
For more than a month, we’ve known this day was coming—but that doesn’t make it any less devastating. Here are my thoughts from when we first saw the draft ruling: https://t.co/aegHc7AoTm
— Barack Obama (@BarackObama) June 24, 2022
Seine Frau Michelle Obama schrieb: «Ich bin untröstlich für die Menschen in diesem Land, die gerade das Grundrecht verloren haben, fundierte Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu treffen.» Der Richterspruch müsse ein Weckruf vor allem für junge Menschen sein.
Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA hat sich der mächtige Demokrat Chuck Schumer schockiert gezeigt. «Heute ist einer der dunkelsten Tage, die unser Land je gesehen hat», schrieb der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat auf Twitter. Amerikanischen Frauen sei ihr Grundrecht auf Abtreibung von Trump-nahen Richtern «gestohlen» worden.
The MAGA Supreme Court just overturned Roe v. Wade, eliminating the constitutional right to an abortion.
— Chuck Schumer (@chuckschumer) June 24, 2022
This is heartbreaking – and it’s an abomination. https://t.co/2k319rw5Yd
Der britische Premierminister Boris Johnson hat die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA zum Abtreibungsrecht als «grossen Rückschritt» bezeichnet.
Er sei immer schon der Ansicht, dass die Entscheidung bei den Frauen liegen müsse, sagte Johnson am Freitag bei einem Besuch in Ruanda.
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gegen das liberale Abtreibungsrecht mit scharfen Worten verurteilt. «Es ist ein Schlag ins Gesicht für Frauen», sagte die Demokratin am Freitag.
Die Beschränkung von Abtreibung sei erst der Anfang, warnte sie. «Das ist todernst.» Pelosi verwies auf die Kongresswahlen im November – dort stehe das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, auf dem Wahlzettel.
Kanadas liberaler Premier Justin Trudeau hat sich entsetzt über die Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofes gegen das liberale Abtreibungsrecht geäussert.
No government, politician, or man should tell a woman what she can and cannot do with her body. I want women in Canada to know that we will always stand up for your right to choose.
— Justin Trudeau (@JustinTrudeau) June 24, 2022
«Keine Regierung, kein Politiker oder Mann sollte einer Frau sagen, was sie mit ihrem Körper machen kann und was nicht», schrieb Trudeau am Freitag auf Twitter und versicherte kanadischen Frauen, für ihr Recht auf Abtreibungen einzustehen. Die Nachrichten aus dem Nachbarland USA seien «erschreckend».
Ex-Präsident Donald Trump hat die Supreme-Court-Entscheidung gegen das liberale Abtreibungsrecht als «Gewinn für das Leben» gelobt. Die Entscheidung sei nur möglich gewesen, weil er drei konservative Richter an das Oberste Gericht berufen habe. «Es war mir eine grosse Ehre, das zu tun», schrieb er in einer Mitteilung. Trotz der «radikalen Linken» bestehe noch Hoffnung, das Land zu retten
Trump hatte während seiner Amtszeit die Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett ernannt. Damit verschob er die Mehrheit im Gericht deutlich nach rechts: auf sechs der neun Sitze.
Eine Reihe liberaler US-Bundesstaaten hat angekündigt, das Recht auf Abtreibungen trotz der historischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs schützen zu wollen. Die Gouverneurinnen und Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington, Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich am Freitag zu ihrer liberalen Haltung bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen. «Wir werden immer ein sicherer Hafen für jeden im ganzen Land sein, der eine Abtreibungsbehandlung benötigt. Sie haben mein Wort», schrieb New Yorks Regierungschefin Kathy Hochul.
«Dies ist nicht das Amerika, das wir kennen», teilte der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom mit. «Kalifornien hat sich mit Washington und Oregon zusammengeschlossen, um eine Westküsten-Offensive zu bilden und die reproduktive Freiheit in unseren Bundesstaaten zu schützen». Ähnlich äusserte sich New Jerseys Regierungschef Phil Murphy. Massachusetts-Gouverneur Charlie Baker unterzeichnete ein entsprechendes Dekret zum Schutz der Rechte.
Nach der historischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs hat bereits eine Reihe konservativer US-Bundesstaaten weitgehende Abtreibungsverbote angekündigt oder umgesetzt. Die Gouverneurin des US-Bundesstaates Alabama, Kay Ivey, erklärte am Freitag, ein Gesetz aus dem Jahr 2019, das von einem Gericht bisher blockiert wurde, solle nun in Kraft treten können.
«Im Jahr 2019 war ich stolz darauf, das Gesetz zum Schutz des menschlichen Lebens in Alabama zu unterzeichnen, das eines der schärfsten Abtreibungsverbote des Landes darstellt», so Ivey. Das Gesetz verbietet so gut wie alle Abtreibungen. Ärztinnen und Ärzten, die eine Abtreibung durchführen, droht eine lebenslange Haftstrafe.
Der republikanische Generalstaatsanwalt von Oklahoma, John O'Connor, lobte das Urteil des Supreme Court. Es ermögliche nun, dass ein bereits bestehendes Gesetz, welches Abtreibungen weitgehend verbietet und kriminalisiert, auch in Kraft treten könne. Ähnlich äusserte sich der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Missouri, Eric Schmitt. Auch in Missouri gibt es bereits ein solches Gesetz, das wegen der bisherigen Bundesrechtsprechung nicht in Kraft treten konnte.
Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA haben die Vereinten Nationen auf die Gesundheitsrisiken für Frauen hingewiesen. «Daten zeigen, dass die Einschränkung des Zugangs zur Abtreibung die Menschen nicht davon abhält, eine Abtreibung durchzuführen – sie macht sie nur tödlicher», teilte der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen am Freitag mit.
Die Justizentscheidung gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA hat laut UN-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet negative Auswirkungen für Millionen von Frauen. «Dies ist ein massiver Schlag gegen die Menschenrechte von Frauen und gegen die Gleichberechtigung», sagte die Hochkommissarin am Freitagabend.
Nach dem wegweisenden Urteil des Obersten Gerichtshof in den USA gegen das liberale Abtreibungsrecht hat der Vatikan zunächst moderat reagiert. In einer Erklärung der Päpstlichen Akademie für das Leben hiess es am Freitag unter anderem: «Nach 50 Jahren ist es wichtig, wieder eine ideologiefreie Debatte zu beginnen über den Stellenwert, den der Schutz des Lebens in der zivilen Gesellschaft hat, um uns zu fragen, welche Art von Zusammenleben und Gesellschaft wir aufbauen wollen.»
Papst Franziskus, von dem es zunächst keine persönliche Reaktion zu dem Urteil gab, hatte stets betont, dass er gegen jede Form von Abtreibung sei; er setzte sie mit Mord gleich.
Die katholischen US-Bischöfe hatten zuvor triumphierender auf das Urteil des Supreme Courts reagiert, das nach fast einem halben Jahrhundert das liberale Abtreibungsrecht kippte.
«Dies ist ein historischer Tag im Leben unseres Landes, der unsere Gedanken, Gefühle und Gebete weckt. Seit fast 50 Jahren hat Amerika ein ungerechtes Gesetz vollstreckt, das es einigen ermöglichte, zu entscheiden, ob andere leben oder sterben können», hiess es in einem Statement der Konferenz der US-Bischöfe.
Warum beschäftigte sich das Gericht überhaupt mit dem Thema? Hintergrund ist ein Abtreibungsgesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, das fast alle Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet – ein Gesetz, das nach der bisherigen Rechtssprechung eigentlich verfassungswidrig war.
Der konservativ regierte Bundesstaat hatte das Oberste Gericht angerufen, den Fall zu überprüfen. Dass sich das Gericht überhaupt damit beschäftigte, war bereits als Zeichen gewertet worden, dass Roe v. Wade kippen könnte.
Die Entscheidung sieht nun vor, es den Bundesstaaten zu überlassen, wie sie ihr Abtreibungsrecht regeln. Dies gilt als besonders drastisch. Einige Staaten haben bereits Gesetze vorbereitet, die sofort in Kraft treten können, wenn die bisherige Rechtssprechung kippt – sogenannte Trigger Laws. Es sind vor allem die erzkonservativen Staaten im Süden und mittleren Westen, die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten wollen.
(sda/dpa)
Eine Gefahr für die ganze Welt…
China und co. warten nur darauf, dass die USA sich selbst zu Grunde richtet…