Das wird die Anerkennung von Palästina bewirken
Kurz vor Beginn der UNO-Generaldebatte am Dienstag in New York hat eine Reihe von westlichen Staaten – Grossbritannien, Kanada, Australien und Portugal – einen palästinensischen Staat anerkannt. Auch Frankreich und Belgien haben einen entsprechenden Schritt angekündigt. Die von Frankreich und Saudi-Arabien organisierte Nahost-Konferenz im Rahmen der UNO-Generalversammlung soll der sogenannten Zweistaatenlösung mit Palästina als gleichberechtigtem Staat neben Israel wieder Leben einhauchen.
Die Anerkennung Palästinas durch bedeutende westliche Staaten erhöht den Druck auf Israel. Diesem wirft etwa der britische Aussenminister David Lammy vor, es zeige «keinen glaubwürdigen Weg zu einer Zweistaatenlösung» auf und setze die militärische Eskalation im Gaza-Krieg fort. Israel nimmt an der Konferenz – ebenso wie die USA – nicht teil; der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat die Anerkennung Palästinas als «Belohnung für den Terrorismus» der Hamas bezeichnet. Die Hamas hat den aktuellen Gaza-Krieg mit einem Terrorangriff auf Israel im Oktober 2023 ausgelöst.
Was bedeutet «Anerkennung Palästinas» völkerrechtlich und welche Folgen hat sie?
Was sagt das Völkerrecht?
Im klassischen Völkerrecht weist ein Staat drei unabdingbare Merkmale auf: eine Bevölkerung (Staatsvolk), einen geografisch durch eine Staatsgrenze abgrenzbaren Teil der Erdoberfläche (Staatsgebiet) sowie eine stabile Regierung, die effektive Gewalt ausübt (Staatsgewalt). Unter Staatsgewalt wird die Fähigkeit verstanden, die Hoheitsgewalt auf diesem Gebiet und gegenüber den Personen, die dort leben, durchzusetzen. Die Anerkennung durch andere Staaten gehört nicht zu den Voraussetzungen, sondern ist lediglich eine Bestätigung für die Existenz eines Staates. Für Staaten, deren Status umstritten ist, kann die Anerkennung durch andere Staaten jedoch eine gewisse Legitimität schaffen.
Die Anerkennung eines Staates durch andere Staaten hat daher zumindest in der klassischen Auffassung des Völkerrechts keine konstitutive Wirkung für seine Existenz, sie ist rein deklaratorisch. Faktisch ist die Anerkennung eines Staates durch andere Staaten hingegen ein starkes Indiz für dessen Existenz als völkerrechtliches Subjekt.
Ob und wie ein Staat einen anderen Staat anerkennt, ist völkerrechtlich nicht festgelegt. Die Anerkennung ist als einseitiger Willensakt Ausdruck staatlicher Souveränität. Daher gibt es auch nicht verbindliche Regeln, an die sich Staaten halten müssen, wenn sie andere Staaten anerkennen – auch die oben erwähnten drei Elemente Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt müssen nicht unbedingt vorhanden sein.
Wieder etwas anderes ist die Anerkennung einer Regierung. Sie stellt lediglich fest, dass diese Regierung rechtmässiger Inhaber der Staatsgewalt eines Staates ist. Die Anerkennung des Staates selbst ist dabei vorausgesetzt.
Was wird die Anerkennung Palästinas bewirken?
Aus den im vorherigen Punkt erwähnten völkerrechtlichen Grundsätzen geht deutlich hervor, dass die Anerkennung nicht dazu führt, dass Palästina tatsächlich als Staat existiert. Ohnehin fehlt Palästina das Element der Staatsgewalt, also eine stabile Regierung, die effektiv die Hoheitsgewalt innerhalb des Staatsgebiets innehat. Die Anerkennung Palästinas ist daher ein weitgehend symbolischer Akt, der ein politisch-diplomatisches Zeichen setzt. Unterstützer der Palästinenser befürchten, dass dieser Akt folgenlos bleiben wird, falls er nicht mit konkreten Massnahmen – etwa Sanktionen gegen Israel – einher geht.
Vollkommen folgenlos ist die Anerkennung jedoch nicht. Für die Staaten, die Palästina anerkannt haben, ist damit klar, dass Palästina ein Staat ist und damit alle Rechte und Pflichten hat, die souveräne Staaten im völkerrechtlichen Verkehr miteinander haben. Seine Vertreter geniessen dann Diplomatenstatus und das Staatsoberhaupt geniesst Immunität. Die Staaten, die Palästina anerkannt haben, können dann auch nicht mehr dessen Aufnahme in internationale Organisationen mit dem Argument ablehnen, es handle sich nicht um einen Staat.
Auch die Anerkennung als symbolischer Akt kann sich überdies mittelfristig auf die politische Realität auswirken. Sie erhöht den politischen Druck auf Israel, einer Zweistaatenlösung zuzustimmen. Dieser Druck ist freilich vornehmlich davon abhängig, von welchen Staaten er ausgeht. Grosse westliche Wirtschaftsnationen wie Grossbritannien oder Frankreich werfen hier deutlich mehr Gewicht in die Waagschale. Für Israel sind aber in erster Linie die USA ausschlaggebend, deren Unterstützung für das Land nahezu lebensnotwendig ist.
Was ist mit Palästina gemeint?
Der De-facto-Staat Palästina wird mittlerweile von 151 der 193 UNO-Mitgliedstaaten – darunter drei der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat – anerkannt. Israel, die USA und Deutschland anerkennen Palästina nicht als Staat, pflegen aber offizielle Beziehungen zu ihm. Palästina entstand auf der Grundlage des britischen Völkerbundmandats Palästina, aus dem 1948 der Staat Israel hervorging, jedoch nicht ein arabischer Staat. Die nicht im Palästinakrieg von Israel eroberten Gebiete gerieten vielmehr unter jordanische (Westjordanland und Ostjerusalem) und ägyptische (Gazastreifen) Kontrolle. Sie wurden 1967 im Sechstagekrieg von Israel erobert.
Es sind diese Gebiete, die allgemein als Staatsgebiet eines möglichen palästinensischen Staates betrachtet werden, vorbehaltlich eines Gebietsabtauschs mit Israel im Rahmen einer Zweistaatenlösung. Seit 1994 besteht eine eingeschränkte Unabhängigkeit Palästinas in den sogenannten Autonomiegebieten, die durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) verwaltet werden. Seit 2012 hat dieser Staat Palästina den Status eines Beobachterstaats bei der Generalversammlung der UNO. Dies verschaffte den Palästinensern Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof und Unterorganisationen der UNO.
2005 zog sich Israel einseitig aus dem Gazastreifen zurück. Dort übernahm 2007 die radikalislamische Hamas die Macht und vertrieb die Fatah, die aber weiterhin die PA im Westjordanland dominiert. Seither ist Palästina in zwei Hoheitsgebiete geteilt: das von der PA mit Einschränkungen verwaltete Westjordanland und den von der Hamas beherrschten Gazastreifen. In beiden Gebieten haben seit 2006 keine Wahlen mehr stattgefunden; sie werden beide autoritär regiert.
Wo steht die Schweiz?
Der Bundesrat, der für die Schweizer Aussenpolitik zuständig ist, befürwortet zwar offiziell schon seit Langem die Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt Palästinas. Er schliesst aber eine Anerkennung Palästinas vorderhand aus. Diese soll erst dann erfolgen, wenn ein umfassender Frieden in Sicht ist und es einen politischen Fahrplan mit konkreten Massnahmen zu einer Zweistaatenlösung gibt.
Die Schweiz unterhält aber seit dem Oslo-Abkommen von 1993 Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde. Dazu gehören seit 1994 ein Kooperationsbüro in Ostjerusalem und seit 2001 ein Verbindungsbüro in Ramallah. Die Hamas, die der Bundesrat lange nicht als Terrororganisation einstufen wollte, ist seit Mai 2025 verboten.