Bei der letzten Unterhaltung mit John Brooks war die Welt eine andere. Joe Biden amtete als Präsident. Es waren nur noch wenige Tage bis zur amerikanischen Präsidentschaftswahl. Es sah nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Donald Trump und Kamala Harris aus.
Doch dann kam es bekanntlich anders.
Zeit für eine Standortbestimmung. Haben sich Johns Befürchtungen bewahrheitet? Am Telefon gibt der Künstler aus Los Angeles eine Stunde Auskunft.
Als wir im Oktober miteinander gesprochen haben, sagtest du, die vergangenen neun Jahre seien aufgrund von Trump, seiner Politik und seiner Rhetorik, für dich purer Stress gewesen. Wie ist es jetzt?
John Brooks: Nun, es ist alles noch viel schlimmer geworden. Meine schlimmsten Ängste werden gerade realisiert. Es gibt keinen Aspekt in meinem Leben, der von Trumps Politik nicht betroffen ist. Und ich denke, das geht jedem so.
Wenn du über die gegenwärtige Lage in den USA nachdenkst, was ist dein vorherrschendes Gefühl?
Ich verspüre eine enorme Wut und gleichzeitig unglaublich viel Traurigkeit. Ich will nicht in einem isolierten Land leben, das auf Protektionismus setzt. Das sich mit autokratischen Regimes verbündet, sei es Ungarn unter Viktor Orban oder Russland unter Wladimir Putin. Mit meinem Partner habe ich mehrere Jahre in Europa gelebt, den Kontinent intensiv bereist und viele Bekanntschaften gemacht. Die Idee, dass wir als USA im 21. Jahrhundert für uns allein funktionieren können, ist weltfremd und dumm. Ich bin sehr besorgt, wenn ich darüber nachdenke, ob ich es schaffe, in Zukunft genügend Geld zu verdienen und über die Dinge zu verfügen, die ich für meine Arbeit als Künstler und mein Leben benötige. Und ob ich mein Leben in den aktuellen Vereinigten Staaten noch leben möchte.
Hast du darüber nachgedacht, auszuwandern?
Ja, das habe ich. Ich liebe mein Land, aber wenn ich könnte, würde ich auswandern.
Woran scheitert es?
Zum einen erlaubt es momentan meine finanzielle Situation nicht. Hinzu kommt, dass ich ja in einem anderen Land eine Aufenthaltsbewilligung erhalten müsste.
Lass uns über die LGBTQ-Community sprechen. Beim letzten Interview sagtest du, dass queere Menschen unter Trump bestenfalls toleriert werden. Sind sie das noch?
Das ist eine sehr gute Frage. Es hängt tatsächlich davon ab, was für eine queere Person man ist. Trump hat einige sehr enge homosexuelle Freunde und mit Scott Bessent sogar den ersten schwulen Finanzminister der Vereinigten Staaten ernannt. Peter Thiel, einer von Trumps Unterstützern, ist ebenfalls schwul. Aber er ist gleichzeitig auch Milliardär, das kommt bei Trump gut an. Fakt ist, dass Trump die queere Community aus dem öffentlichen Leben verbannen möchte.
Woran machst du das konkret fest?
Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, die LGBTQ-Unterseite von der Website des Weissen Hauses zu entfernen. Programme für Diversität, Gleichheit und Inklusion von marginalisierten Gruppen hat er gestrichen, mit der Begründung, sie würden Nicht-Minderheiten benachteiligen. Eine absurde Begründung. Der Gipfel in diesem Kontext war eine Aussage von Vizepräsident J.D. Vance bei dessen Aufenthalt in Grönland.
Da gab es viele Aussagen, welche meinst du?
Vance sagte tatsächlich: Man kann die Wünsche des Präsidenten nicht ignorieren. Es ist wahnsinnig, so etwas zu sagen. Man stelle sich vor, wie all diese Trump-Anhänger reagieren würden, wenn jemand 2008 gesagt hätte, man könne die Wünsche von Barack Obama nicht ignorieren. Es ist völlig verrückt, dass eine einzelne Person etwas entscheidet und ein ganzes Land sich dem beugen muss. Ich bin wirklich froh, lebe ich als schwuler Mann in Los Angeles, Kalifornien. Hier werden queere Personen zelebriert, hier sind wir sichtbar. Aber selbst in Los Angeles ist man vor dem Anti-LGBTIQ-Gebaren Trumps nicht mehr vollkommen sicher.
Trump hat bereits bei seiner Antrittsrede betont, ab sofort gebe es in den Vereinigten Staaten nur noch zwei Geschlechter. Männlich und weiblich. Was bedeutet das für queere Personen?
Es ist schrecklich. Trans Personen wurden aus dem Militär verbannt, Universitäten haben ihre LGBTQ-Zentren schliessen müssen. Man versucht, einen Teil der Gesellschaft auszulöschen. Ich habe trans Personen in meinem Freundeskreis und in meiner Familie. Trans Personen sind Teil von uns, Teil von Amerika, sie wollen einfach ihr Leben leben und in Ruhe gelassen werden. Mit seinem Vorgehen leugnet Trump die gesellschaftliche Realität. Er sagt immer, er liebe sein Land. Dieses wird jedoch durch seine Bürger gebildet und dazu gehören auch queere Personen. Es ist sehr enttäuschend, dass der riesige Fortschritt, der im Bereich Transrechte in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, nun einfach wieder zerstört wird.
Wie müssen wir uns das Leben von jungen queeren Personen vorstellen, die mit einem Präsidenten aufwachsen, der sämtliche ihrer Rechte rückgängig machen möchte?
Ich habe ein Beispiel, das zeigt, wie schlimm die Lage ist. In meinem Heimatstaat Kentucky hat unser demokratischer Gouverneur vor einem Jahr verboten, dass Konversionstherapien für Minderjährige mit Steuergeldern finanziert werden können. Also diejenigen Therapien, die Homosexualität «heilen» möchten. Vor ein paar Wochen haben die republikanischen Abgeordneten den Einsatz von Steuergeldern für Konversionstherapien wieder legalisiert. Das Veto des Gouverneurs wurde überstimmt. Es ist in Kentucky nun wieder erlaubt, sein homosexuelles Kind auf Kosten der Steuerzahler in ein Ferienlager zu schicken, wo man versucht, es heterosexuell zu machen. Ich selbst habe das nie erlebt, habe aber Freunde, die das durchmachen mussten. Es ist die absolute Folter und funktioniert natürlich nicht.
In den vergangenen zwei Wochen sprach die ganze Welt über Trumps Strafzölle. Inwiefern betreffen sie die Kunstbranche?
Die Kunstbranche reagiert jeweils sehr empfindlich auf wirtschaftliche Höhen und Tiefen. Schon bevor Trump gewählt wurde, hat der Kunstmarkt wegen all der Unsicherheiten in Bezug auf seine angekündigte Politik einen Abschwung erfahren. Nun setzt Trump die Zölle zwar vorerst aus, die Unsicherheit bleibt aber bestehen. Das ist vor allem schlecht für Künstlerinnen und Künstler, die finanziell nicht gut dastehen. Trump greift übrigens auch konkret in die künstlerische Freiheit ein.
Wo war das der Fall?
Ein paar Freunde von mir wollten eine Ausstellung in Washington, D.C. besuchen. Weil Trump angeordnet hat, sämtliche Programme für Diversität und Inklusion – in diesem Kontext hätte die Ausstellung stattfinden sollen – abzuschaffen, fürchteten sich die Betreiber um ihre Jobs und die staatliche finanzielle Unterstützung ihrer Institution. Deshalb sagten sie die Ausstellung ab. Es ist skandalös, dass der Präsident der Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert eine Kunstausstellung verhindern kann, weil das Konzept, der Inhalt oder die Intention des Kurators nicht in sein Weltbild passen. Da sind Vergleiche mit der Nazizeit und der entarteten Kunst absolut angebracht.
Gibt es weitere Beispiele ausserhalb der Kunstbranche?
Es gibt unzählige Beispiele. Die Republikaner betonen ja immer, wie wichtig die generelle Freiheit und die Redefreiheit sind. Nun hat Aussenminister Marco Rubio jedoch angeordnet, die Social-Media-Accounts von Studierenden zu überprüfen, die in den USA ein Visum beantragen. Eine Lehrerin aus Idaho wurde von ihrem Schulleiter aufgefordert, ein Schild aus ihrem Klassenzimmer zu entfernen, wo in bunten Buchstaben draufstand: «Alle sind willkommen». Darunter Hände in unterschiedlichen Hautfarben. Das politische Umfeld habe sich geändert, hiess es. Ein solches Vorgehen ist völlig verrückt, einer liberalen Demokratie nicht würdig. Das kennt man sonst nur aus China oder Russland.
Glaubst du, dass alle Bereiche des Lebens, alle Normen und Werte, die Trump und seine Regierung derzeit attackieren, sich erholen können, wenn Trumps zweite Amtszeit zu Ende ist?
Gehen wir davon aus, dass Trump die Verfassung respektiert und Anfang 2029 wirklich abtritt. Dann kann es gut sein, dass sich gewisse Bereiche erholen. Die Frage ist, wie lange das dauert. Zehn Jahre? 20 Jahre? Ich bin 47 und befinde mich in der wichtigsten Phase meiner Karriere. Für mich ist es vielleicht zu spät. Wenn Trump mit seiner Politik so weiterfährt, weiss ich nicht, wie lange ich als Künstler in einer ohnehin unsicheren Branche überleben kann. Es geht aber nicht nur um mich. Trumps Vorgehen könnte jüngere Künstler davon abhalten, sich überhaupt für eine Kunstlaufbahn zu entscheiden. Doch selbst wenn Trump in 4 Jahren abtritt: Er hat eine Vielzahl an Personen in Machtpositionen installiert, die das Land in seinem Sinne umgestalten wollen. Niemand kann sagen, wohin das alles führen wird. Es ist wirklich beklemmend, darüber nachzudenken.