Die Sache schien klar, bevor der Krieg wirklich losging. Doch dann folgte für die russischen Truppen im ukrainischen Gelände Rückschlag auf Rückschlag. Ihre Panzer blieben im sumpfigen Grund stecken, ihre Versorgungssysteme brachen zusammen und aus dem angedachten Blitzkrieg wurde ein klebriger Kampf mit verworrenem Ziel.
Russische Soldaten kamen zu tausenden ums Leben, auch wenn Moskau die offizielle Todesstatistik seit mehr als zwei Wochen nicht mehr aktualisiert hat (laut Putins Strategen sind bislang nur 498 russische Armeeangehörige in der Ukraine gefallen, laut ukrainischen Angaben sind es mehr als 14'000). Die Karte der durch Russland eroberten Gebiete hat sich seit einer Woche kaum noch verändert.
Noch immer ist es russischen Truppen nicht gelungen, Kiew zu umzingeln. Verfehlt haben die Russen auch die beiden anderen Hauptziele, die westliche Strategen wie Ben Hodges, Ex-Kommandant der US-Streitkräfte in Europa, ausgemacht haben: Erstens die Einnahme des Donbass und die Eroberung der südlichen Küstengebiete bis nach Odessa. Und zweitens die Einnahme der Industriemetropole Charkiw.
Russland, so die Bilanz nach bald einem Monat Krieg, hat extremes Leid, viel Tod und Verwüstung über die Ukraine gebracht. Militärisch aber hat es bislang versagt. Die Washingtoner Denkfabrik «Institute for the Study of War» schreibt in seiner jüngsten Analyse, der Krieg in der Ukraine habe ein Patt erreicht.
Diese Gründe sprechen dafür, dass es bei diesem «Unentschieden» zwischen den ungleichen Kriegsparteien bleibt:
Der russische Präsident hat die Schlagkraft seiner eigenen Armee überschätzt. Das behauptet Mick Ryan, Ex-Kommandeur der australischen Streitkräfte. Ryan schreibt in einer Analyse, Putin sei von seinen eingeschüchterten Untergebenen wohl jahrelang falsch oder unzureichend über Missstände in den russischen Truppen informiert worden. Michael Repass, Ex-Kommandant der US-Spezialkräfte in Europa, hält die These des im Dunkeln tappenden Putin ebenfalls für plausibel, wie er gegenüber dieser Zeitung bestätigte:
Wie Putin auf die sich jetzt offenbarende Schwäche seiner Truppen reagieren wird, ist unklar. Die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einem Nuklearschlag halten Beobachter weiterhin für realistisch.
Die Russen verlieren nicht nur täglich bis zu 1000 Soldaten und Kommandeure, sondern auch «Berge von Material», wie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski jüngst bestätigte. Die russische Armee sei inzwischen einer der Hauptlieferanten militärischer Güter für die Ukraine, betonte Selenski zynisch. Laut dem «Centre for Economic Recovery» kostet der Krieg die Russen inzwischen täglich rund 20 Milliarden Dollar. Lange können sie sich das nicht leisten.
Selten hat sich die internationale Gemeinschaft derart klar hinter eine Kriegspartei gestellt wie jetzt. Praktisch alle Staaten der Welt haben den russischen Einmarsch verurteilt und die Ukraine in der einen oder anderen Form unterstützt. Alleine die USA haben vergangene Woche Militärhilfe in der Höhe von einer Milliarde US-Dollar angekündigt. In der von Selenski ins Leben gerufenen «Internationalen Legion» kämpfen zudem rund 20'000 ausländische Legionäre auf Seiten der rund 200'000 ukrainischen Soldaten.
Trotz drakonischen Zensurgesetzen dringen immer mehr Nachrichten über verstorbene Soldaten in die russische Heimat durch. Putin sah sich jüngst gezwungen, die erzürnten Mütter verstorbener Soldaten in einer Rede zu beschwichtigen. Um das tödliche Ausmass des Krieges zu verstecken, werden viele russische Verwundete und Verstorbene offenbar nach Weissrussland statt in die Heimat gebracht.
Die Journalistin Marina Owjannikowa, die mit ihrem «No War»-Plakat ins Fernsehstudio stürmte und der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der aus dem Gerichtssaal Putins Schergen als «Feiglinge» beschimpfte, sind nur zwei von tausenden kritischen Stimmen, die sich in Russland gegen den Krieg erheben. «In Russland gibt es viele Leute. Nicht alle sind so feige, dass sie ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder verraten werden», sagte Nawalny.
Kein Geschoss der Russen könnte nur annähernd jene Wirkung entfalten, die der ukrainische Präsident mit seinen rhetorischen Salven erzielt. In massgeschneiderten Videoansprachen vor den Regierenden dieser Welt kreidet Selenskyj die russischen Kriegsverbrechen täglich aufs Neue an. Keinem Politiker hing die Welt seit Donald Trumps Abwahl so an den Lippen wie dem 44-jährigen Staatslenker in Kiew. Anders als bei Trump stimmt eine Mehrheit des internationalen Publikums den Aussagen Selenskyjs fast vollumfänglich zu.
In den vergangenen Jahren wurde die ukrainische Armee tiefgreifend reformiert. Michael Repass, Ex-Kommandant der US-Spezialkräfte in Europa, sagt etwa, die ukrainischen Spezialeinheiten könnten durchaus mit ihren amerikanischen Pendants mithalten. Doch nicht nur die offiziellen Streitkräfte sind widerstandswillig und -fähig, auch die Zivilbevölkerung ist äusserst zäh. Ein Beispiel: Rund die Hälfte der 3.8 Millionen Bewohner Kiews sind trotz des Krieges in der Hauptstadt geblieben - viele von ihnen freiwillig.
Durchaus denkbar scheint, dass Russland als Konsequenz aus dieser Patt-Situation geschwächt in die Verhandlungen mit der Ukraine zurückkehren wird. Aktuelle Maximalforderungen wie etwa der offizielle territoriale Verzicht der ukrainischen Seite auf die Krim oder den Donbass könnten dann plötzlich vom Tisch sein. (saw/bzbasel.ch)
Weissrussische Bahnarbeiter haben den Schienenverkehr zwischen Weissrussland und der Ukraine unterbrochen. Dies war eine sehr wichtige Nachschubline für die Armee.
Weissrussische Militärs weigern sich in den Krieg auf Seite Russlands einzugreifen.
Anstelle die Ukraine in den russischen Machtbereich zurückzuholen, wendet sich jetzt noch das Marionettenregime aus Minsk ab.
Könnte ein heisses Frühjahr geben!