Sergei Schoigu war lange eine der grossen Konstanten in Wladimir Putins Machtkabinett. Seit 1994 war er Teil von Russlands Regierung, seit 2012 dann Verteidigungsminister. Und nicht nur: Auch privat verstand sich der in Sibirien geborene Schoigu bestens mit seinem Boss Putin. Die beiden Männer pflegten eine Freundschaft und wurden beispielsweise mehrfach bei gemeinsamen Angelausflügen gesehen.
Obwohl Schoigu in seiner Position als Verteidigungsminister insbesondere seit Beginn des Ukraine-Kriegs und den zahlreichen militärischen Fehlschlägen teils massiver Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt war, hielt ihm Putin die Stange – bis im Mai dieses Jahres. Dann musste Schoigu seinen Posten räumen.
Fünf Monate später kämpft der 69-Jährige ums politische Überleben. Sein Einfluss schwindet, wie eine Anekdote zeigt, über die die Moscow Times berichtete: In der sibirischen Republik Tuwa trat Ende September das neue Regionalparlament zum Beginn der Herbstsession zusammen. Unter anderem wurden dabei neue Abgeordnete vereidigt.
Dabei kam es zu einem kleinen Skandal mit grosser Symbolwirkung: Ruslan Tsalikow, ein Günstling von Sergei Schoigu, galt als designierter Spitzenkandidat, um Senator der Region Tuwa im russischen Föderationsrat zu werden (auf dem Papier vergleichbar mit dem Ständerat in der Schweiz).
Doch daraus wurde nichts: Die Ernennung wurde an der Sitzung nicht einmal thematisiert. Ein Affront gegenüber Tsalikow, der ob der Brüskierung im Anschluss an die Parlamentstagung sichtlich aufgewühlt gewesen sei.
Tsalikow hatte jahrelang als PR-Berater von Schoigu während dessen Zeit als Verteidigungsminister gearbeitet und galt als dessen enger Vertrauter. Nach der Absetzung Schoigus trat auch Tsalikow von seinem Posten zurück.
Um seinem Schützling aber die Rückkehr nach Moskau – anstatt dem Verbleib im südsibirischen Niemandsland nahe der Grenze zur Mongolei – zu ermöglichen, soll Schoigu sich aktiv dafür eingesetzt haben, dass Tsalikow als Vertreter der Region Tuwa weiter in Moskau politisieren darf, so die «Moscow Times», die sich auf eine anonyme Quelle beruft. Schoigu und Tsalikow sollen sich sicher gewesen sein, dass ihr Plan aufgeht.
Doch es kam anders. Ein hochrangiger russischer Beamter sagte gegenüber der «Times»:
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Geschichte manifestiert, was sich schon länger abzeichnet. Schoigus Einfluss in der Moskauer Elite schwindet. Der 69-Jährige habe sich die Gunst seines einstigen Freundes Putin auch fünf Monate nach der Versetzung vom Verteidigungsminister zum Sekretär des Sicherheitsrats noch nicht wieder zurückholen können.
Ein Unterfangen, das ohnehin schwierig ist. Putin gilt nicht als jemand, der Fehler verzeiht. Und Fehler hat Schoigu nach Ansicht vieler in Moskau zahlreich begangen. Die besonders zu Beginn der Ukraine-Invasion massiven militärischen Fehlschläge, wiederkehrende Meldungen über chaotische Zustände in Russlands Armee, der Eklat um Jewgeni Prigoschin – die Aufzählung, wofür Schoigu alles eine (Mit-)verantwortung zugeschrieben wird, liesse sich beliebig fortsetzen. Eine weitere Quelle sagt gegenüber der «Times»:
Putin soll noch immer einen «aufgestauten Groll» gegen seinen ehemaligen Angelfreund hegen, was gegenüber der Zeitung gleich drei Quellen bestätigten, die beide persönlich kennen.
Zum Verhängnis wurde Schoigu im vergangenen Mai schliesslich ein Skandal um zahlreiche Bestechungsfälle von hochrangigen Beamten im Verteidigungsministerium, welche unter seiner Ägide geschahen. Diese Fälle könnten für ihn noch weitere Folgen haben, wie ein Beamter angibt:
Schoigu amtet seit seiner Absetzung als Sekretär des russischen Sicherheitsrats. Nicht auf Stufe des Verteidigungsministers, aber auf dem Papier ein durchaus angesehener Posten. Doch sicher ist ihm diese Position keinesfalls, so die Einschätzung des russischen Politanalysten Alexander Kynew in dessen Telegram-Kanal. Die berufliche Zukunft scheint dabei nicht das einzige Fragezeichen um Schoigus Schicksal zu sein.