Asperger-Störung als Rechfertigung für Hitlergruss? Autisten-Community ist empört
Laura Schoch* ist wütend. Wütend über die Art und Weise, wie einige Medien über Elon Musks Geste geschrieben haben, die man gemäss Extremismus-Experte Dirk Baier als Hitlergruss interpretieren kann.
Schoch, 32-jährig, ist spät diagnostizierte Autistin. Sie ist Teil einer Gruppe für Autismus und ADHS, in der Betroffene aus der Schweiz, Deutschland und Österreich sich austauschen.
Tatsächlich war in mehreren Berichten zu lesen, dass Musks Armbewegung möglicherweise durch seine Asperger-Erkrankung zu erklären ist. Da könne es vorkommen, dass so etwas geschehe, so der Tenor.
Bei der Definition fange es an, klärt Schoch auf: «Von ‹Asperger› spricht man heute nicht mehr. Sämtliche Diagnosen fallen unter die Diagnose ‹Autismus-Spektrum-Störung›.» Oft fehle zudem auch der Hinweis, dass keine offizielle Diagnose vorliege. Musks Asperger-Störung basiert auf seiner eigenen Aussage.
Mit Musk in einen Topf geworfen
Hauptgrund für Schochs Ärger ist jedoch, dass Medienberichte, die Musks Geste durch seine Asperger-Störung erklären, sämtliche Menschen auf dem Autismus-Spektrum herabwürdigten:
2021 hat Musk in der amerikanischen Fernsehsendung «Saturday Night Live» erklärt, dass er unter einer milden Form des Asperger-Syndroms leide. In seiner Biografie schrieb er, dass ihm deswegen soziale Interaktionen manchmal schwerfallen würden.
Eine Begründung, ab der Schoch nur den Kopf schütteln kann. «Es gibt keine ‹milde Form› des Asperger-Syndroms», erklärt sie. Diese Argumentation sei «ein Unding». «Ein Mensch befindet sich auf dem Autismus-Spektrum oder eben nicht.»
Die Geste von Elon Musk im Video:
Starker Gerechtigkeitssinn
Personen aus dem Autismus-Spektrum die Sensibilität für eine Geste aus dem Nazi-Regime abzusprechen, sei das eine. Hinzu komme die dadurch entstehende Assoziation von Autismus mit einem Menschen wie Musk, der sich nachweislich gerne im rechtsextremen Milieu aufhalte. Darüber herrsche in ihrer Gruppe derzeit «grosse Anspannung, Wut, Angst und Sorge», erzählt Schoch. Sie führt aus:
In Bezug auf Elon Musk seien die politischen Ansichten – zu Beginn dieses Jahres forderte er etwa die Freilassung eines der bekanntesten rechtsextremen Aktivisten Grossbritanniens – nicht der einzige Faktor, der den Mitgliedern der Autismus-Gruppe zu schaffen mache, so Schoch.
Inklusion kein Thema bei SVP und AfD
Musk spreche sich auch gegen Inklusion aus, hetze gegen Minderheiten, mache queer-feindliche Aussagen. «Dies ist für uns sehr problematisch, denn viele Menschen auf dem Autismus-Spektrum sind auch non-binär, transgeschlechtlich, genderfluid oder sonst im LGBTQ+-Bereich angesiedelt.»
Dass der von Musk bewunderte Donald Trump Joe Bidens Diversitäts-Büro – es bekämpfte systematischen Rassismus und soziale Ungerechtigkeiten – als eine seiner ersten Amtshandlungen geschlossen habe, zeige, welchen Stellenwert Inklusion in den Augen der neuen Regierung habe.
Schoch und ihre Community haben grosse Angst davor, dass sich diese rechte, minderheitenfeindliche Welle auch hierzulande etablieren könnte. «Inklusion ist weder bei der SVP noch bei der AfD relevant.»
Bei der CDU ist die Inklusion von Menschen mit Behinderung zwar Teil des Parteiprogramms, demgegenüber steht die nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt geäusserte Forderung eines CDU-Politikers, ein Register anzulegen, das psychisch kranke Menschen erfasst.
Es gebe in ihrer Gruppe Mitglieder aus Deutschland, die sich aus den genannten Gründen nicht mehr trauten, sich bei den Behörden als psychisch krank zu melden – bei autistischen Personen oft eine Begleiterkrankung. Aus Angst davor, dass ihnen dieser «Stempel» künftig schaden könnte. Eine entsprechende Diagnose, etwa wegen einer Depression, sei aber Voraussetzung, um staatliche Unterstützungsleistungen zu erhalten.
Auch in Schochs Gruppe befinden sich Menschen, die selbst das Gefühl haben, auf dem Autismus-Spektrum zu sein, aber noch keine medizinische Diagnose haben. Aufgrund von sehr langen Wartezeiten könne dies vorkommen.
Es handle sich dabei jedoch nicht um eine öffentliche Person, deren Aussage, an einer Asperger-Störung zu leiden, als Begründung für eine potenziell höchst problematische Geste herangezogen werde. Und die das Verhalten von Millionen von Anhängern und neuerdings sogar das des US-Präsidenten beeinflusse.
«Das ist der grosse Unterschied», so Laura Schoch.
*Name auf Wunsch der Protagonistin von der Redaktion geändert.
Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Gerüche, Geräusche oder Berührungen sind häufig. Diese Über- oder Unterempfindlichkeiten (die autistische Wahrnehmung) und die vorhandene Detail-Orientierung führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene aus dem Autismus-Spektrum grosse Probleme haben, ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen. Das Erreichen von Lernerfolgen wird dadurch erschwert.
Heute wird nicht mehr zwischen frühkindlichem Autismus (Merkmale treten meistens bereits in den ersten drei Lebensjahren auf) und Asperger-Syndrom (Merkmale fallen erst später auf) unterschieden. Alle Formen von Autismus werden unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst.
Autismus ist angeboren und kann nicht «geheilt» werden. Es gibt nach wie vor wenige Daten zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass ca. 1 % der Bevölkerung eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum hat. Knaben oder Männer werden häufiger diagnostiziert als Frauen und Mädchen.