Jeder zweite Zug in Deutschland fährt zu spät, in geänderter Formation oder gar nicht in den Bahnhof ein. Ist aber eine prominente Person an Bord angekündigt, so bemüht sich die Deutsche Bahn besonders, dass nichts schiefläuft. Das zeigt eine Recherche des deutschen Nachrichtenmagazins «Der Spiegel».
Wie mehrere Bahnangestellte dem «Spiegel» berichtet haben, läuft das mit dem Sonderservice so: Wird die Buchung einer prominenten Person bekannt, werden alle relevanten Stellen informiert – die Lokführerin, der Zugführer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bordrestaurant, aber auch in Stellwerken und Leitstellen.
Der betroffene Zug wird besonders getestet und gereinigt (innen und aussen). Ausserdem soll er ausschliesslich «mit allen erforderlichen Verbrauchsstoffen, mit funktionierenden technischen Komponenten, in korrekter Wagenreihung und mit regulärem Personal auf die Strecke geschickt werden», wie der «Spiegel» ein internes Dokument der Deutschen Bahn zitiert.
Besteht auch nur der geringste Zweifel, dass der Zug einen Defekt haben könnte, wird er, wenn möglich, vor der Abfahrt ausgetauscht.
Zieht der Zug durch das Land, soll er das möglichst schnell und störungsfrei tun. Um dies zu gewährleisten, bekommen die Stellwerke die Anweisung, den Zug mit dem VIP vorrangig durchs Land zu lenken.
Das heisst: Grüne Welle! Der Zug soll unter keinen Umständen auf der Strecke stehen bleiben. Eher sollen andere Züge warten.
Verantwortlich für die Sonderbehandlung von Politikern und anderen Prominenten ist die «Konzernrichtlinie 199.0001». Sie trägt den Titel «Reisen nach Sondervorschrift» und gilt seit 1. Februar 2020.
Sie enthält Beschreibungen wie: «Der VIP-Reiseservice der Deutschen Bahn AG ist exklusiv verantwortlich, dass Reisen mit hochgestellten Persönlichkeiten und öffentlichkeitswirksame Zugfahrten mit den Konzernvorständen besonders präzise geplant und erfolgreich durchgeführt werden. Das Image der Deutschen Bahn AG als Verkehrsunternehmen soll dadurch gestärkt werden.»
Im Dokument steht auch, dass der VIP-Reisebegleiter berechtigt sei, einen ausserplanmässigen Halt festzulegen, eine Bezahlung von «gastronomischen Leistungen» zu gewähren oder allfällige Lautsprecherdurchsagen abzubestellen.
Die Deutsche Bahn bestätigt dem «Spiegel» auf Anfrage, dass die Sonderbehandlung angewandt werde, «um dem besonderen Schutz und Sicherheitsbedürfnis exponierter Personen des öffentlichen Lebens» nachzukommen.
Vorstandmitglieder der Deutschen Bahn seien davon aber ausgenommen. Abgesehen davon bleibt offen, wer wirklich als VIP gilt.
Ausserdem, so die Deutsche Bahn, erfolge die Regelung «im Rahmen des öffentlichen Fahrplans», Sonderhalte gebe es keine. «Ebenso reisen die Passagiere auf eigene Kosten mit regulären Tickets», wird die Deutsche Bahn vom «Spiegel» zitiert.
Doch die Sonderbehandlung ist umstritten. Stefan Gelbhaar, Mitglied des Aufsichtsrats der Bahn, sagte am Sonntag gegenüber dem «Spiegel»: «Die Bahn ist für alle da. […] Die Sondervorschriften für Prominente gehören unverzüglich entsorgt.»
In der Schweiz gibt es laut den SBB «keine bevorzugte Behandlung für einzelne Reisende». In der Regel wüssten die SBB nicht einmal, wenn eine prominente Person mit dem Zug reise.
Auf Anfrage heisst es weiter: «Für die SBB stehen Sicherheit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit stets im Vordergrund, ganz unabhängig davon, wer mit uns reist.» In der Schweiz sind also alle gleich.
Ausnahmen seien Extrazüge, so die SBB, beispielsweise bei der offiziellen Bundesratsreise oder bei der Reise der neuen Nationalratspräsidentin. Dort könne es «punktuell zu Priorisierungen» kommen. Diese seien aber immer «auf die Stabilität des Gesamtfahrplans ausgerichtet».
Das heisst konkret: Sollte der Zug mit dem Bundesrat an Bord doch vorgezogen werden, darf es deswegen keine Kettenreaktion geben.
DB at its best!
In Deutschland werd ich Tickets zukünftig als Angela Merkel buchen. Mal sehen ob ich dann ausnahmsweise mal pünktlich bin.