Dass das Rennen am Sonntag äusserst knapp ausfallen würde, zeigten schon die Umfragewerte im Vorfeld: Gleich drei Parteien lagen fast gleichauf. Die konservative Nationale Sammlungspartei führte nur minimal vor der rechtspopulistischen Partei Die Finnen und vor Sanna Marins Sozialdemokraten. Am Ende lagen die Konservativen mit 20,8 Prozent vor der Finnen-Partei mit 20,1 und Marins Sozialdemokraten mit 19,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung erreichte 71,9 Prozent und damit in etwa das Niveau der vorigen Parlamentswahl 2019.
Bereits bei den letzten Wahlen 2019 lagen die drei Parteien nur weniger als einen Prozentpunkt auseinander. Damals konnten die Sozialdemokraten den Sieg für sich entscheiden, dieses Jahr zogen sie den Kürzeren.
Dies, obwohl sie gegenüber 2019 mehr Stimmen holten und dadurch drei neue Parlamentssitze gewannen. Eine Tatsache, über die sich Sanna Marin trotz der Niederlage freute. Das Problem: Den anderen zwei Parteien gelang das auch – und zwar noch ein Spürchen besser.
Die Nationale Sammlungspartei unter der Führung des früheren Finanzministers Petteri Orpo holte mit 48 der 200 Sitze einen knappen Wahlsieg. Die Finnen-Partei sicherte sich 46 Sitze, die Sozialdemokraten kamen auf 43.
Am späten Sonntagabend räumte Marin ihre Wahlniederlage ein:
Eigentlich ist Sanna Marin bei den Finninnen und Finnen beliebt. Sie führte das Land nicht nur durch die Corona-Krise, sondern angesichts des Ukraine-Kriegs auch zum NATO-Beitritt. Eine Entscheidung, hinter der alle Parteien stehen. Vor Kontroversen blieb die junge Ministerpräsidentin dennoch nicht verschont.
Internationale Wellen schlug ein privates Video, welches im August letzten Jahres an die Öffentlichkeit gelangte und Sanna Marin beim Tanzen und Feiern zeigte. Im Inland entbrannte eine Debatte darüber, ob sie für ihr Amt nicht zu unseriös sei, und Kritikerinnen und Kritiker warfen ihr vor, ihren Job nicht ernstzunehmen. Nach Spekulationen darüber, ob bei der Party Drogen im Spiel waren, machte Marin einen Drogentest. Dieser fiel negativ aus. International erhielt sie viel Zuspruch und bestätigte ihr Image der coolen Regierungschefin nur noch mehr. Kurze Zeit später glätteten sich die Wogen auch im Inland wieder, sodass dieser Vorfall bei der Wahlniederlage kaum eine Rolle gespielt haben dürfte.
Viel schwerwiegender war wohl die Tatsache, dass die Staatsschulden unter Marins Regierung stark angestiegen waren. Auch wenn die Corona-Pandemie ihren Tribut gefordert habe, sei ein grosser Teil der neuen Ausgaben und des Haushaltsdefizits Sanna Marin zuzuschreiben, schreibt der schwedische Wirtschaftswissenschaftler und Journalist Fredrik Erixon für die britische Zeitschrift The Spectator. Ihre Regierung – eine Koalition mit kleineren Parteien der Mitte und der Linken – habe die öffentlichen Ausgaben in die Höhe getrieben und eine Menge Bürokratie in den Unternehmenssektor eingeführt.
Der Vorsitzende der siegreichen Nationalen Sammlungspartei, Petteri Orpo, warf ihr ökonomische Misswirtschaft vor und will neue Massnahmen ergreifen. Während seines Wahlkampfes sprach er sich sowohl für Sparmassnahmen als auch für Steuersenkungen aus. Marin hatte derweil nicht vor, sich gross von ihrer bisherigen Wirtschaft abzukehren. Dies könnte dazu geführt haben, dass die Wählerschaft mehr Vertrauen in den ehemaligen Finanzminister und dessen neue Pläne setzte.
Wie Erixon für den «Spectator» weiter schreibt, sei es in Finnland fast üblich, dass der Ministerpräsident oder die Ministerpräsidentin nicht mehr als eine Amtszeit überlebe:
Tatsächlich waren seit 1917 nur gerade zwei Ministerpräsidenten während zweier Amtszeiten an der Macht. Einerseits der Sozialdemokrat Paavo Lipponen zwischen 1995 und 2003, andererseits Matti Vanhanen von der finnischen Zentrumspartei zwischen 2003 und 2010.
Hinzu kommt laut Erixon, dass alle grossen finnischen Parteien zentristisch und pragmatisch seien, der Unterschied zwischen links und rechts sei bloss klein. Er glaubt deshalb nicht, dass die finnische Wählerschaft eine ideologische Wahl getroffen habe. Sie habe sich nach den turbulenten Jahren mit Sanna Marin wohl einfach mehr Frieden und Ruhe in der Regierung gewünscht.
Um das Land zu regieren, muss Orpo nach dem finnischen Verhältniswahlrecht mehr als 100 Sitze im 200 Sitze umfassenden Parlament auf sich vereinen. Das dürfte eine Herausforderung werden. Er kann dafür entweder eine Rechtskoalition mit der nationalistischen Finnen-Partei unter Riikka Purra oder eine Koalition mit Marins Sozialdemokraten eingehen. Um auf über 100 Sitze zu kommen, wird er zudem auf mindestens eine der mittelgrossen und kleineren Parteien angewiesen sein.
Nach seinem Wahlsieg gab sich der 53-Jährige offen:
Die Frage stelle sich nun, ob die Sammlungspartei mit der Finnen-Partei eine gemeinsame Basis finden könne, schreibt die Helsinki Times. Die Finnen-Partei warb im Wahlkampf mit der drastischen Begrenzung der Einwanderung von ausserhalb der EU und einer Verschiebung der Klimamassnahmen. Das langfristige Ziel der Partei soll zudem der Austritt aus der EU sein. Orpos Partei hingegen spricht sich aus wirtschaftlichen Gründen für eine stärkere Zuwanderung von Arbeitsmigranten aus und hat bereits angekündigt, bei den Klimazielen keine Kompromisse eingehen zu wollen.
Eine Koalition mit den Sozialdemokraten dürfte sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Vorstellungen zur Wirtschaftspolitik ebenfalls schwierig gestalten.
Bis die neue finnische Regierung endgültig steht, dürfte es deshalb noch mehrere Wochen oder gar Monate dauern. (saw)
Wann merken die Leute endlich, dass das immer nur den Reichen hilft?