International
Syrien

Donald Trump: Ist der IS besiegt? Er ist immer noch genauso gefährlich

Ist der IS besiegt? Er ist immer noch genauso gefährlich, sagt diese Journalistin

20.12.2018, 09:0320.12.2018, 09:32
Mehr «International»

Der «Islamische Staat» sei besiegt, schrieb Donald Trump gestern auf Twitter. Es gebe nun keinen Grund mehr für US-Truppen, länger in Syrien zu bleiben.

Trumps Aussage ist nicht nur ziemlich hochtrabend, sie könnte sogar fatale Folgen haben.

Die Journalistin Rukmini Callimachi hat das sehr eindrucksvoll in einer Reihe von Tweets analysiert. Hier ist ihre Sicht:

«Heute hat Präsident Trump den IS in Syrien für ‹besiegt› erklärt und signalisiert, dass er die amerikanischen Truppen zurückziehen will, die dort stationiert sind. Gehen wir mal zurück in die Vergangenheit zu dem Punkt, als der IS zum letzten mal für ausgelöscht erklärt wurde.»
«Der ‹Islamische Staat›, der mehrere Namensänderungen durchgemacht hat, hat sich zum ersten Mal vor 15 Jahren im Irak festgesetzt. Enorm zerstörerisch zuerst, doch die Zeiten änderten sich und 2010, als amerikanische Kräfte sich zurückzogen, hatte die Gruppe schätzungsweise nur noch 700 Kämpfer.»
«Die Gruppe wurde als so schwach angesehen, dass das Pentagon über eine 90-Tage-Spanne in 2010 sicher war, dass sie 34 von den 42 höchsten Anführern getötet hatten. Das Aussenministerium ging so weit, dass sie das Kopfgeld reduzierten, das auf den Chef der Gruppe ausgesetzt war, von 5 Millionen US-Dollar auf 100'000.»
«Wer war dieser Anführer? Kein anderer als Abu Bakr al-Baghdadi. 2014 fegte seine Armee über die Region, auf ihrem Höhepunkt brachte sie das halbe Syrien und ein Drittel des Irak unter ihre Kontrolle, ein Gebiet so gross wie Grossbritannien. 2016 war das Kopfgeld bei 25 Millionen.»
«Mein Punkt ist: Eine Truppe, die schätzungsweise nicht grösser war als 700 Kämpfer, hat es geschafft, wieder aufzuerstehen und die grösste, reichste und gefährlichste Terrorgruppe der Welt zu gründen. Das ist beim letzten Mal passiert, als unsere Anführer diese Gruppe als besiegt bezeichneten. Was nun?»
«Vor ein paar Tagen sind unsere kurdischen Alliierten erfolgreich in die Stadt Hajin eingedrungen, die letzte Stadt unter IS-Kontrolle in Syrien. Die Kurden haben die Schlacht um diesen kleinen Ort von 30'000 Einwohnern seit September gekämpft. Meine Quellen dort sagen, dass sie jetzt 70 Prozent von Hajin kontrollieren.»
«Jetzt, da auch Hajin weg ist, hat der IS alles bis auf ein Prozent seines einst enormen Territoriums verloren. Sieht so aus, als wären sie besiegt, oder nicht? Traurigerweise ist territoriale Kontrolle nur ein Faktor, an dem Analysten die Stärke einer Gruppe messen. Und gemäss der übrigen Faktoren bleibt der IS eine Macht.»
«2010, als die Gruppe zum letzten Mal für ausgelöscht erklärt worden war, hatten sie praktisch kein Land mehr und 700 Kämpfer. Heute haben sie 20'000 bis 30'000 Kämpfer nur im Irak und in Syrien laut des Generalinspektors des Pentagons.»
«Bundesbeamte sagen, diese Zahlen seien aufgeblasen. Interessanterweise kommen zwei andere Berichte, von der UN und der CSIS, auf ungefähr die die gleiche Einschätzung. Wenn diese drei Berichte richtig liegen, hat der IS 20 bis 30 mal mehr Kämpfer als damals, als er für besiegt erklärt wurde.»
«Ein anderer Faktor, den sich Analysten angeschaut haben, ist die Frequenz der Attacken. Und eine Analyse des Combating Terrorism Center, die nur die Angriffe im Irak in den ersten 10 Monaten dieses Jahres betrachtete, zählte mehr als 1200 Schläge des IS. Die Gruppe wurde im Irak (wie auch in Syrien) durch den Premierminister Abadi als besiegt bezeichnet.»
«Zum Thema, dass der IS besiegt sei: Ich war kürzlich im Irak in dem Dorf, in dem Baghdadi geboren wurde. Es wurde als zu gefährlich angesehen ohne Militärbegleitung. Die Soldaten hatten offensichtlich Angst und als wir dort ankamen, durften wir nur 10 Minuten bleiben, weil ein Hinterhalt befürchtet wurde.»
«Westliche Beamte der Koalition, die den IS in Syrien bekämpfen und zu denen ich Kontakt aufgenommen habe, beschreiben die Tweets des Präsidenten als ‹leichtsinnig›, ‹ein Desaster› und ‹katastrophal›. Der grosse Gewinner? Der IS, sagen sie, der jetzt erleichtert aufatmen kann und sich wiederaufbauen kann wie damals 2010.»

Wiederaufbau in Syrien wird zur Herkulesaufgabe

Video: srf
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
12 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Graviton
20.12.2018 09:45registriert Januar 2018
Und Russland‘s Truppen? Die sind noch da, oder?
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
El Vals del Obrero
20.12.2018 09:55registriert Mai 2016
Man könnte sich mal die Zeit nach Beginn der Proteste gegen Assad mit oder ohne Eingriffs des Westen vorstellen:

1) Ohne Eingriff:
Assad hätte einige 1000 Oppositionelle niedergemetzelt. Danach wäre wieder (Friedhofs-)Ruhe gewesen und das Regime hätte weiter existiert.

2) Mit Eingriff:
Es wurden durch diverse Seiten einige 100'000 niedergemetzelt. Das Regime existiert weiter, gleichzeitig wurden diverse Fanatiker hochgezüchtet.

Vielleicht wäre 1) doch besser gewesen.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Thinkdeeper
20.12.2018 10:03registriert März 2016
Kriege sind nicht mehr leicht zu gewinnen. Das Wissen Trump und Co.
Unruhe und Anschläge legitimieren die Aufrüstung gegen den Terror und sind politisches Kalkül.
Will man den Terror ernsthaft bekämpfen kommt man an der schnellen Schaffung eines Wirtschaftlichen und Sozialen Gleichgewichts und Umverteilung nicht herum. Dem steht das US getriebene Wirtschaftssystem im Wege.
00
Melden
Zum Kommentar
12
    Israel und Iran – wie aus heimlich Verbündeten Feinde wurden
    Israel und Iran teilen keine Grenzen, dennoch sind sie Erzfeinde. Doch das war nicht immer so. Ein Blick auf die Geschichte der beiden Staaten zeigt, wie aus einstigen Verbündeten erbitterte Gegner wurden.

    1941: Während des Zweiten Weltkriegs besetzen britische und sowjetische Truppen Iran. Die Besatzer zwingen Reza Schah, der 1925 die Dynastie der Pahlavi begründete, ins Exil. Neuer Schah wird mit Billigung der Besatzungsmächte sein Sohn, Mohammad Reza.

    Zur Story