Es ist schon fast zu einem traurigen Ritual geworden: Nach Terroranschlägen in Europa richtet sich das Auge mittwochs immer auf die neue Titelseite der Satire-Zeitschrift «Charlie Hebdo», dessen Redaktion vor gut einem Jahr ebenfalls Opfer eines Attentats wurde.
Auch diesen Mittwoch haben die Karikaturisten eine Antwort bereit: Auf die Anschläge in Brüssel, bei denen vergangene Woche 32 Personen ums Leben gekommen sind, reagieren sie mit einem besonders brutalen Aufmacher.
#CharlieHebdo on #BrusselsAttacks: Belgian singer Stomae's biggest hit "Dad where are you?" Here, there & everywhere pic.twitter.com/AQiT9SMZXR
— Jon Williams (@WilliamsJon) 29. März 2016
Darauf ist der belgische Musiker Stromae zu sehen, der in Anlehnung an seinen Mega-Hit «Papaoutai» nach seinem Vater fragt: «Papa wo bist du?» Herumfliegende Körperteile geben ihm die Antwort: «Hier, hier, da und hier auch noch.» Als Überschrift steht geschrieben: «Belgien desorientiert.»
Die provokative Titelseite des Satire-Magazins spaltet die Gemüter. So findet eine Twitter-Userin: «Das Titelblatt ist top, es reflektiert gekonnt die Realität islamistischen Horrors. Gut gemacht, Leute #CharlieHebdo, unterschrieben von einer Belgierin.»
@Charlie_Hebdo_ La Une est top, elle reflète bien la réalité des horreurs islamistes. Bien joué les gars #CharlieHebdo signé un belge
— Deeptrotte (@Deeptrotte) 29. März 2016
Für viele geht die Karikatur jedoch zu weit. «Meinungsfreiheit bedeutet nicht zwingend, dass man vulgär und respektlos sein muss», so ein Twitterer. «Seit Jahrzehnten verletzt und erniedrigt Charlie Hebdo Millionen von Menschen», schreibt ein anderer.
La liberté d'expression n'a pas forcément besoin d'être vulgaire et irrespectueuse #CharlieHebdo
— Zélie Gavillet (@zeliegavillet) 29. März 2016
Continuez à défendre et pleurer Charlie Hebdo alors que depuis des décennies ils blessent et humilient des gens par millions
— Stamboulismo (@abdelinho92) 29. März 2016
Folgender Herr hier, der von Beruf ebenfalls Karikaturist ist, hat für die Kritik nur wenig übrig. Er analysiert nüchtern: «Geschockt zu sein, weil man im Charlie Hebdo schwarzen Humor gesehen hat, ist etwa so, als würde man sich über nackte Menschen im Kamasutra empören.» (cma)
Etre choqué de voir de l'humour noir dans Charlie Hebdo, c'est comme être choqué de voir des gens à poil dans le Kamasutra.
— BIDU-Dessinateur (@BIDUDessinateur) 29. März 2016
Eine Woche nach den Terroranschlägen von Brüssel gibt es weiter keine Fortschritte bei der Fahndung nach dem dritten Attentäter vom Flughafen. «Der Mann mit dem Hut ist noch nicht identifiziert», teilte die belgische Polizei mit.
Zuvor musste ein festgenommener Verdächtiger wieder freigelassen werden. Die Polizei wertet nun Hinweise aus der Bevölkerung aus. 51 davon gingen nach Angaben der Fahnder bis Dienstag ein.
Identifiziert sind dagegen mittlerweile alle Todesopfer der Anschläge. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft vom Dienstag wurden bei den Selbstmordattentaten am Flughafen und in einer Metro insgesamt 32 Menschen getötet. 17 davon waren Belgier und 15 Ausländer. Nicht miteingerechnet sind die drei Selbstmordattentäter.
Am Brüsseler Flughafen liefen am Dienstag weitere Vorbereitungen für eine eingeschränkte Wiederaufnahme des Passagierflug-Betriebs. Nach Angaben der Betreiber wurden in einem nicht zerstörten Teil des Airports provisorische Check-in-Schalter aufgebaut. Sie werden aber nach Angaben vom Abend aber frühestens am Donnerstag wieder Starts und Landungen ermöglichen.
Um den Check-in-Bereich wieder vollständig aufzubauen, werde es Monate brauchen, sagte Flughafenchef Arnaud Feist der belgischen Wirtschaftszeitung «L'Echo». Auch wenn die Gebäudestruktur in Ordnung sei, müsse von der Lüftung bis hin zu den Schaltern alles rekonstruiert werden.
Die Hinweise auf Pannen bei den belgischen Sicherheitsbehörden vor den Anschlägen vom 22. März verdichten sich. Die niederländische Regierung erhielt nach Angaben von Justizminister Ard van der Steuer am 16. März Erkenntnisse der US-Bundespolizei FBI über die beiden späteren Attentäter Ibrahim und Khalid El Bakraoui - und reichte diese bei einer niederländisch-belgischen Polizeibesprechung am 17. März auch weiter.
«Das Thema ist zwischen der niederländischen und der belgischen Polizei angesprochen worden», sagte der Minister am Dienstag im Parlament. «Über das radikale Vorleben der beiden Männer ist diskutiert worden.» Ibrahim el Bakraoui habe seit dem 25. September 2015 auf einer Überwachungsliste des FBI-Zentrums für Terrorismus-Fahndung gestanden.
Die belgische Bundespolizei bestritt die Angaben aus Den Haag. Bei dem Treffen am 17. März sei es nicht um die Bakraoui-Brüder gegangen, sondern um eine Razzia in Brüssel vom 15. März, bei der ein algerischer Extremist festgenommen worden sei.
Zuvor hatte schon die Türkei den belgischen Behörden vorgeworfen, sie hätten Informationen darüber ignoriert, dass Ibrahim El Bakraoui das Profil eines «terroristischen Kämpfers» habe. Er war im Juni von den türkischen Sicherheitskräften festgenommen und in die Niederlande abgeschoben worden. Es ist unklar, wie lange er sich in der Niederlanden aufhielt, bevor er nach Belgien zurückkehrte, wo er sich am 22. März am Flughafen Brüssel-Zaventem in die Luft sprengte. (cma/sda/dpa)