Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine wird immer mehr zum Zahlenspiel. Seit zwei Jahren und sieben Monaten kämpfen russische Truppen auf ukrainischem Boden. Rund 600'000 Soldaten wurden bereits getötet oder verwundet. Mehr als zehn Millionen Zivilistinnen und Zivilisten wurden dabei aus ihrer ukrainischen Heimat vertrieben.
Nun tauchte eine neue Zahl auf, die bei den Verteidigern für Angst und Schrecken sorgen soll: 10'000. Das ist angeblich die Anzahl an Soldaten, die Nordkoreas Diktator Kim Jong-un zur Unterstützung der Russen an die Front geschickt hat. Die «kampfbereiten» Truppen sollen sich in russischen Trainingscamps auf ihren Kampfeinsatz vorbereiten. Die USA bestätigen bisher die Entsendung von 3000 nordkoreanischen Soldaten nach Russland.
Die militärische Hilfe bedeutet eine weitere Eskalationsstufe. Denn während sich Putins engster Lakai Belarus weigert, seine Soldaten in Kampfhandlungen zu verwickeln, ist Nordkoreas direkte Einmischung die Internationalisierung des Konflikts.
Die Nato hielt fest, dass es bis jetzt keine gesicherten Beweise für den Einsatz nordkoreanischer Soldaten in der Ukraine gebe.
Aufseiten des Westens gilt dies immer noch als Tabu, um das Ausufern des Kriegs zu verhindern. Denn ein offener Krieg zwischen Nato-Ländern und dem Kreml, so die Sorge, könnte zu einem überregionalen Konflikt mit Angriffsziele in Europa führen.
Während sich westliche Politiker in Zurückhaltungsaufrufen gegenseitig überbieten, äussern sich ukrainische Soldaten und Militärs zu den neuen Truppen aus Nordkorea. Einigen bereiten Kim Jong-uns Infanteristen zusätzliche Sorgen. Andere zeigen sich kämpferisch.
Dem «Kyiv Independent» offenbarten fünf Soldaten ihre Gedanken angesichts der Verstärkung für Russland. Vadym, der in der Region Saporischschja im Einsatz ist, blickt mit Sorge nach Osten: «Natürlich ist das schlecht, denn je mehr kommen, desto schwieriger wird es für uns.»
Auch der Militärsanitäter Mykyta sieht darin eine beunruhigende Erkenntnis, denn Russland «beginnt nun in Koalitionen zu kämpfen». Währenddessen schreite die «geringfügige Unterstützung» durch den Westen nur im «Schneckentempo» voran.
Die nordkoreanischen Truppen helfen Russland nach Mykytas Ansicht dabei, «zumindest nicht wesentlich ausgebremst zu werden».
Russland führe zunehmend einen Kampf auf den Schultern seiner Verbündeten: «Chinesische Drohnen, iranische Raketen und Shahed-Drohnen, nordkoreanische Munition ... und nun eben Soldaten.»
Mykyta sieht darin auch ein positives Signal. «Das zeigt das lächerliche Problem der 'zweitstärksten Armee der Welt', nicht einmal die Ukraine besiegen zu können».
Denys, der als Drohnenpilot fungiert, sieht das ähnlich: «Wir kämpfen bereits gegen eines der stärksten Länder der Welt. Das ist nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.» Er spricht eine Drohung gegenüber den Nordkoreanern aus: «Sie sollten nicht herkommen. Hier wartet nur der Tod auf sie.»
Noch drastischer drückt sich Petro Kuzyk aus. Der Bataillonskommandeur der Nationalgarde erklärt unverblümt: «Wir werden alle töten, die in unser Land kommen, um es zu besetzen.»
Analytischer blickt der Offizier Myroslav Hai auf das Engagement nordkoreanischer Truppen: «Strategisch macht das keinen grossen Unterschied an der Front.» Der Grund: Hai schätzt die Truppen Nordkoreas als veraltet, militärisch «minderwertig» und unerfahren im Fronteinsatz ein.
Besonders ein Faktor, sagt Hai, macht die Operation für das russische Militär besonders kompliziert: «Die werden Verständigungsprobleme haben.» Auch die Ukraine habe mit der Sprachbarriere schwierige Erfahrungen gemacht. «Deshalb verstehen wir gut, was das für Probleme mit sich bringt.»
Er sieht in dem Schachzug die eigentliche Schwäche des Kremls. Denn immer mehr Männer entziehen sich dem Wehrdienst und verweigern ihren Einsatz. Selbst «dramatisch verbesserte Bonuszahlungen» für die Verpflichtung im Kriegsdienst könnte Russlands junge Männer nicht mehr motivieren: «Viele Russen wollen nicht für Geld in diesen Krieg ziehen.»
Vadym schlägt vor, die nordkoreanischen Truppen gezielt zu schwächen. Und zwar mit einer Aufklärungskampagne. «Wir sollten sie, wie alle anderen auch, mithilfe psychologischer Operationen beeinflussen.»
Eine grossangelegte Verbreitung von Aufklärungsflyern könnte nicht nur bei der Verteidigung der Ukraine helfen. Laut Kommandeur Hai müsste ein Abkommen mit Südkorea abgeschlossen werden.
Er plädiert für ein Regierungsprogramm, das nordkoreanischen Überläufern die Rückkehr ermöglicht. «Aber nicht nach Nordkorea, sondern nach Südkorea». Demnach würde der Weg aus dem diktatorischen Teil des Landes in die Freiheit Südkoreas über das Schlachtfeld in der Ukraine führen.
(watson.de)