«Wann wird das verdammt noch mal aufhören?», fragt sich der russische Kriegsreporter Alexander Sladkow. Seinen 900'000 Telegram-Followern gegenüber zeigt er sich besorgt wegen des ukrainischen Artillerie- und Raketen-Beschusses.
Und damit ist er nicht der Einzige, zahlreiche weitere russische Militär-Blogger sind ob der ukrainischen Gegenangriffe im Süden des Landes beunruhigt. «Selbst wenn die russische Armee eine Million Soldaten mobilisiert, hat sie nicht mehr die Stärke, die Front nach Westen zu verschieben», schreibt etwa der Blogger Dmitryev.
Die Ukraine ist dem Gegner, was die Artillerie angeht, deutlich unterlegen. Experten gehen von einem Verhältnis von 1 zu 10 oder gar 1 zu 20 aus. Deshalb sind auch die russischen Gebietsgewinne im Donbas möglich. Im Süden des Landes ist die Lage jedoch etwas anders: Dort lancieren die Ukrainer immer wieder erfolgreiche Gegenoffensiven.
Neu können sie dabei auf das Raketensystem HIMARS (M142 High Mobility Artillery Rocket System) zählen, das von den USA geliefert wird. Dieses kann mit GPS-gesteuerten Raketen bestückt werden, die bis zu 80 Kilometer weit fliegen und zielgenau einschlagen können. Das HIMARS ist der russischen Artillerie technisch weit überlegen, was zumindest einigen Ukrainern die Hoffnung gibt, den Gegner zurückschlagen zu können.
Einer davon ist der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowitsch. «Nur 10 HIMARS zerstören täglich Munitionsdepots und feindliche Kommandoposten», freut er sich am Montagabend auf seinem Telegram-Kanal. «Die Raketen, die ihr Ziel präzise treffen, sind immun gegen Luftabwehrsysteme.»
Wenige Stunden zuvor waren auf Social Media Videos von einer gewaltigen Explosion in der besetzten Stadt Nowa Kachowka aufgetaucht. Es sei ein Waffenlager angegriffen worden, teilt das ukrainische Kommando Süd nun mit. Es seien etwa eine Haubitze und Militärtechnik zerstört worden. Zudem habe der Feind mehr als 50 Soldaten «verloren».
Auf der russischen Seite klingt die Erklärung für die Explosion anders. Es seien mindestens fünf Personen getötet und 80 Personen verletzt worden, meldet die in Nowa Kachowka eingesetzte russische Verwaltung. Getroffen worden sei nicht ein Waffenlager, sondern ein Lager für Düngemittel, mehrere Häuser, ein Spital und ein Markt. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben beider Seiten nicht.
Jedoch führen auch die Russen den Angriff auf das HIMARS zurück. «Solche Angriffe auf zivile Einrichtungen können nur entschieden verurteilt werden. Sie sind eine direkte Folge der Waffenlieferungen der Staaten an Kiew», sagt Dimitry Polansky, der stellvertretende Leiter der russischen Mission bei der UNO, gegenüber der Agentur RIA Nowosti.
Von einem Angriff «auf zivile Einrichtungen» will der ukrainische Präsidentenberater Arestowitsch jedoch nichts wissen. «Ein Bekannter von mir, ein Artillerist, nennt solche Ziele Erdbeeren – wenn sie volle Tankwagen in die Nähe eines Munitionslagers stellen», schreibt er auf Telegram. «Mehr als vierzig Benzintankwagen. Das war so. Wir befinden uns schliesslich im Krieg mit Schwachköpfen.»
Dank der gelieferten HIMARS sieht Arestowitsch seine Seite im Aufwind. Die Angriffe in der Region Cherson würden «der Vorbereitung unserer Offensive zur Befreiung des Südens» dienen. Der Präsident habe dazu eine Anordnung erlassen. «Das ist erst der Anfang», droht er den Russen.
Tatsächlich dürfte der Einsatz der HIMARS erst jetzt so richtig beginnen. Acht Stück lieferten die USA bislang an die Ukrainer. Nach einigen Wochen Training scheinen sie nun zu wissen, wie man die Waffensysteme einsetzt, und können erste Erfolge feiern.
Allerdings behaupten die Russen, dass sie bereits zwei HIMARS vernichtet hätten. Sowohl die USA als auch die Ukraine verneinen dies. Aber selbst wenn es so wäre, dürften die HIMARS den Ukrainern nicht so schnell ausgehen. Erst vergangene Woche verkündeten die USA, dass sie vier weitere Exemplare in die Ukraine senden werden.
Die Explosion einer Düngemittelfabrik würde eher wie die im Hafen von Beirut aussehen.
Die Leuchtkörper, die in alle Richtungen fliegen, lassen stark auf grosskalibrige Munition schliessen. Artillerie? Raketen?
So "witzig" das auch sein mag, sollten die Ukrainer aufhören, die Russen indirekt zu lehren, wie sie sich weniger ungeschickt anstellen. Schon bei der gescheiterten Flussüberquerung wurde der ganze Hergang aus ukrainischer Sicht ausgeplaudert. Einfach ausnützen und Klappe halten.