Der Schwangerschaftsabbruch ist in den USA seit jeher ein heisses Eisen. Fast 50 Jahre lang war er landesweit erlaubt, dank eines Urteils des Obersten Gerichtshofs in Washington von 1973. Dann ernannte Präsident Donald Trump drei stramm rechte Richterinnen und Richter. Mit der neuen 6:3-Mehrheit wurde das Urteil vor knapp zwei Jahren kassiert.
Die radikalen Abtreibungsgegner vor allem bei der «religiösen Rechten» hatten dafür lange gekämpft und waren entsprechend erfreut. Doch seither entwickelten sich die Dinge nicht in ihrem Sinn, denn eine klare Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung befürwortet gemäss Umfragen grundsätzlich den Schwangerschaftsabbruch, darunter auch konservative Frauen.
Es kam zu einem veritablen Backlash. In mehreren Bundesstaaten stimmte die Bevölkerung für ein Recht auf Abtreibung, darunter in Kansas, das zum sogenannten «Bibelgürtel» gehört, oder im zunehmend nach rechts abgedrifteten einstigen Swing State Ohio. Und in rund einem Dutzend weiterer Staaten dürfte es im November zu Volksabstimmungen kommen.
Sie könnten die gleichzeitig stattfindende Präsidentschaftswahl beeinflussen, und zwar zugunsten von Amtsinhaber Joe Biden. Denn darunter befinden sich mehrere umkämpfte Staaten, die für den Wahlausgang entscheidend sein werden. Dazu gehört Arizona im Südwesten, das vor vier Jahren eine wichtige Rolle bei Bidens Sieg gegen Donald Trump spielte.
Das Oberste Gericht des Bundesstaats hatte im April für Aufruhr gesorgt mit einem Urteil, das ein Gesetz von 1864, also aus der Zeit des Bürgerkriegs, wieder in Kraft setzte. Es verbietet so gut wie alle Abtreibungen. Das Parlament von Arizona hatte 2022 eigentlich ein relativ «mildes» Gesetz mit einem Verbot ab der 15. Schwangerschaftswoche verabschiedet.
Nur hatte es offenbar versäumt, das frühere Gesetz aufzuheben. Es war nach dem Urteil von 1973 quasi auf Eis gelegt worden und wurde nun reaktiviert. Ein Teil der Republikaner bekam kalte Füsse, denn am 5. November dürfte über eine Volksinitiative abgestimmt werden, die das Abtreibungsrecht in der Verfassung von Arizona verankern will.
Die Sammelfrist läuft noch bis zum 3. Juli, doch laut den Initianten wurde die notwendige Zahl von knapp 384’000 Unterschriften bereits übertroffen. Der Abstimmungskampf könnte eine Mobilisierung auslösen, die Joe Biden «nebenbei» erneut zum Wahlerfolg verhelfen würde. Weshalb es im Parlament von Arizona zu einer ungewöhnlichen Konstellation kam.
Eigentlich haben die Republikaner in beiden Kammern die Mehrheit. Doch letzte Woche befürwortete das Abgeordnetenhaus die Aufhebung des Gesetzes von 1864, weil drei Republikaner mit den Demokraten stimmten. Am Mittwoch folgte der Senat. Dank zwei republikanischen «Überläufern» gab es eine 16:14-Mehrheit.
Die demokratische Gouverneurin Katie Hobbs will den Beschluss am Donnerstag mit ihrer Unterschrift besiegeln, womit das Gesetz von 2022 gültig werden dürfte. Eine der beiden republikanischen Stimmen im Senat stammte von Shawnna Bolick. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie hofft, der Volksinitiative den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Ob das klappt, ist zweifelhaft. Gemäss einer «New York Times»-Umfrage vom letzten Oktober wünschen 59 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler in Arizona, dass Abtreibungen vollständig oder überwiegend legal sind. Nur 34 Prozent lehnen dies ab. Die Demokraten jedenfalls hoffen, dass diese Dynamik ihnen im November helfen wird.
Das gilt auch für Florida, während langer Zeit der am härtesten umkämpfte US-Staat (man denke nur an die Wahl 2000). In den letzten Jahren aber haben die Republikaner die Oberhand gewonnen. Sie verabschiedeten vor einem Jahr ein «hartes» Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche. Am Mittwoch ist das Gesetz in Kraft getreten.
Gouverneur Ron DeSantis, der sich gerne als eifriger Kämpfer gegen Wokeness und Gendern inszeniert, unterzeichnete es spätabends hinter verschlossenen Türen. Nun kommt es im November ebenfalls zu einer Volksabstimmung über einen Verfassungsartikel, der Abtreibungen bis zur «Lebensfähigkeit» eines Kindes erlaubt, also etwa bis zur 24. Woche.
Die Hürde ist mit einem Quorum von 60 Prozent relativ hoch. Dies könnte eine Mobilisierung auslösen, die Joe Biden hilft. Sicher ist das nicht. Im Sunshine State leben viele Zugezogene aus dem Rest des Landes, darunter ein gewisser Donald Trump. Sie haben gemäss der «New York Times» die Tendenz, rechts zu wählen und links abzustimmen.
So befürwortete das Stimmvolk in Florida einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde, das Wahlrecht für Strafgefangene oder die Legalisierung von Marihuana für medizinische Zwecke. Ron DeSantis hält die Abtreibungsfrage deshalb nicht für matchentscheidend. «Ich freue mich, wenn die Biden-Kampagne viel Geld in Florida ausgibt», lästerte der Gouverneur.
Donald Trump hat sich zur Volksabstimmung in seiner neuen Wahlheimat bislang nicht geäussert. Er eiert in der Abtreibungsfrage herum, denn sie ist für ihn und seine Partei «toxisch». Befürworten die Republikaner harte Verbote, verlieren sie Wählerstimmen im Zentrum. Im gegenteiligen Fall erzürnen sie die ultrareligiösen Abtreibungsgegner.
Trump sucht deshalb einen «Mittelweg». Er hat sich gegen ein nationales Abtreibungsverbot ausgesprochen, etwa im «Time»-Interview. Die Frage solle von den Bundesstaaten geregelt werden. Die Gemüter bei den rechten Eiferern kann er kaum beruhigen. Auf die Rückschläge der letzten zwei Jahre reagieren sie nach dem Motto «Jetzt erst recht!».
Das zeigte sich am Mittwoch im Senat von Arizona, wo eine klare Mehrheit der Republikaner am Gesetz von 1864 festhalten wollte. Sie verglichen Abtreibungen mit dem Nationalsozialismus, zitierten aus der Bibel und baten in ihren Voten sogar um den Beistand Gottes. Vor dem Parlamentsgebäude veranstalteten Abtreibungsgegner öffentliche Gebete.
Am Ende blieb die «Hilfe von oben» aus. Volksabstimmungen zur Abtreibungsfrage wird es am 5. November auch in Nevada und möglicherweise in Pennsylvania geben. Beides sind umkämpfte Staaten, die wesentlich zu Joe Bidens Wiederwahl beitragen könnten.
Traurig, dass sich manche stattdessen für eine Kriminalisierung der Abtreibung einsetzen.
Und sie werden trotzdem immer wieder gewählt wegen "Die senken Steuern" oder "die anderen sind doch Sozialisten".
Und immer noch ziehen zehntausende in diese Republikanerstaaten "da ich mir da ein Haus leisten kann".