Eine Bronzestatue ist in den USA zum Stein des Anstosses geworden. Das Reiterstandbild des legendären Südstaaten-Generals Robert E. Lee soll aus einem Park in Charlottesville entfernt werden. Die Behörden der linksliberalen Universitätsstadt haben es verfügt und damit den Zorn der Rechtsradikalen in den USA auf sich gezogen. Seit Juli demonstrieren sie gegen den Beschluss.
Am letzten Samstag erreichten die Kundgebungen ihren traurigen Höhepunkt, als eine junge Frau, die gegen den Aufmarsch demonstrierte, von einem mutmasslichen Rechtsextremisten überfahren und getötet wurde. Seither debattieren die USA intensiv über rechte Gewalt, und Präsident Donald Trump giesst mit seinem peinlichen Zickzack-Kurs Öl ins kräftig lodernde Feuer.
Die Kontroverse hat eine kaum verheilte Wunde neu aufgerissen. Sie betrifft die dunkelsten Kapitel der Vereinigten Staaten, die Sklaverei und den dadurch ausgelösten Sezessionskrieg zwischen Nord- und Südstaaten. Mit über 600'000 Toten forderte er mehr Opfer als jeder andere Krieg, in den die USA involviert waren. Bis heute hat das Land diese Vergangenheit kaum bewältigt.
Auf den ersten Blick erstaunt dieser Befund. Mit den Schriften zu den Themen Bürgerkrieg und Sklaverei kann man ganze Bibliotheken füllen. Die Dokumentar- und Spielfilme sowie TV-Serien sind kaum aufzuzählen. Das blutige Ringen zwischen «blauen» Unionisten und «grauen» Südstaatlern ist eine Quelle unablässiger Faszination für die Vereinigten Staaten.
Ähnliches gilt für die Versklavung der Schwarzen. Die Fernsehserie «Roots», die das Schicksal der Afroamerikaner ohne Onkel-Tom-Romantik schilderte, brach in den 1970er Jahren alle Einschaltquoten-Rekorde. Zuletzt sorgte der oscargekrönte Film «Twelve Years a Slave» für Furore. Eine Aufarbeitung dieses Traumas in der breiten Öffentlichkeit aber fand kaum statt.
Das betrifft nicht nur die Südstaaten. Als sich Donald Trump an seiner Medienkonferenz vom Dienstag fragte, ob bald Statuen von George Washington oder Thomas Jefferson gestürzt würden, traf er einen wunden Punkt. Nicht nur Bürgerkriegs-Grössen waren Sklavenhalter, sondern auch die beiden Gründerväter. Jefferson zeugte mit der Sklavin Sally Hemings mehrere Kinder.
Der erste und der dritte US-Präsident waren sich des Dilemmas sehr wohl bewusst. Sie hatten eine Nation geschaffen, die auf der Freiheit und Gleichheit aller Menschen basierte. «Wir betrachten es als selbstverständliche Wahrheit, dass alle Menschen gleich geschaffen wurden», heisst es in der von Thomas Jefferson geschriebenen Unabhängigkeitserklärung von 1776.
Für einen erheblichen Teil der Bewohner aber galt dies nicht. Die Sklaven aus Afrika lebten in Unfreiheit und waren schon gar nicht gleichgestellt. Washington und Jefferson lehnten die Sklaverei deshalb im Prinzip ab und betrachteten sie doch als «notwendiges Übel». Sie befürchteten, eine Freilassung der Schwarzen würde das Gefüge der jungen Nation zerreissen.
Als Ausweg aus diesem Dilemma äusserten die Staatsgründer die Überzeugung, die Sklaverei werde mit der Zeit von selbst verschwinden. Im Süden findet man diese Denkweise noch heute. Der Bürgerkrieg wäre deswegen eigentlich nicht nötig gewesen, wird in solchen Fällen behauptet. In Wirklichkeit kaschiert diese Vorstellung nur den tief sitzenden Rassismus. Schwarze galten schlicht als minderwertige Menschen.
Ganz unbegründet war die Erwartung von George Washington und Thomas Jefferson nicht. Um die Wende zum 19. Jahrhunderts sah es so aus, als ob die Sklaverei «eines natürlichen Todes sterben» würde, wie es damals hiess. Die nördlichen Bundesstaaten hatten sie sukzessive verboten, und auch im Süden war die Sklavenarbeit auf dem Rückzug.
Dann aber geschah das Unheil in Form einer revolutionären Erfindung, der Cotton Gin, einer Maschine zur Entkernung von Baumwolle. Sie machte den Anbau dieser Pflanze profitabel. Gleichzeitig stieg die Nachfrage durch die aufstrebende Textilindustrie enorm, in Europa, aber auch im Norden der USA. Der Baumwollanbau im Süden wurde massiv ausgeweitet.
Die Nachfrage nach Sklaven sank nicht, sie nahm zu. Um 1860 war die Sklaverei nicht am Verschwinden, sondern sichtbarer als je zuvor. Fast vier Millionen Sklaven lebten in den Südstaaten, was knapp einem Drittel der Gesamtbevölkerung entsprach. Die «besondere Institution», wie sie euphemistisch genannt wurde, war keineswegs vom Aussterben bedroht.
Die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei wurden deshalb in den 1850er Jahren mit zunehmender Schärfe ausgetragen. Eine Reihe schwacher US-Präsidenten trug dazu bei. Bereits 1856 führte der Streit um die Zulassung der Sklaverei im neu erschlossenen Territorium von Kansas zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen («Bleeding Kansas»).
Als mit Abraham Lincoln 1860 erstmals ein erklärter Gegner der Sklaverei zum Präsidenten gewählt wurde, waren die Abspaltung der Konföderierten Staaten und der Sezessionskrieg nicht mehr zu vermeiden – obwohl Lincoln für den Erhalt der Union bereit war, die «besondere Institution» weiter zu tolerieren. Zur wichtigsten Figur auf der Gegenseite wurde Robert E. Lee.
Er war der fähigste General des Krieges, ein brillanter Stratege, dem Lincoln nicht umsonst den Oberbefehl über die Unionstruppen anbot. Lee jedoch entschied sich für seine Heimat Virginia und damit für die Konföderierten. Seine Haltung zur Sklaverei war so ambivalent wie jene der Gründerväter. Er hielt sie für moralisch verwerflich, besass aber selber Sklaven und flüchtete sich in die ewig gleiche Ausrede, die Sklaverei werde irgendwann verschwinden.
Nach der Niederlage wurden Lee und andere Generäle wie Thomas «Stonewall» Jackson erst recht zu Helden verklärt. Sie standen im Zentrum der «Lost Cause»-Ideologie, mit der die Südstaatler ihr Scheitern beschönigten. Demnach kämpften sie für eine noble Sache, den «Southern Way of Life», die wegen der personellen und materiellen Übermacht des Nordens zum Scheitern verurteilt war. Künstlerisch wurde der Lost Cause unter anderem im Roman «Vom Winde verweht» verarbeitet.
Diese Geschichtsklitterung klammerte die Sklaverei aus, obwohl es ohne sie gar nie zum Bürgerkrieg gekommen wäre. Ein Zurück zur Versklavung gab es nicht, doch die Schwarzen büssten ihre neuen Rechte im Süden bald wieder ein. Anstelle der Sklaverei trat eine strikte Rassentrennung. Mit diversen Tricks wurden Schwarze daran gehindert, ihr Wahlrecht auszuüben.
Mit der Bürgerrechtsbewegung und den Gleichstellungsgesetzen der 60er Jahre endeten diese Zustände. Die Aufarbeitung der Vergangenheit aber liess auf sich warten. Symptomatisch dafür ist die Tatsache, dass es in Washington seit den 90er Jahren ein Holocaust-Museum gibt. Das nationale Museum zur Geschichte der Afroamerikaner aber wurde erst 2016 eröffnet.
In den letzten Jahren immerhin ist einiges in Bewegung geraten. Die bei den Schwarzen zutiefst verhasste Südstaaten-Flagge verschwindet zunehmend aus dem öffentlichen Raum. Nun folgen die Denkmäler der Kriegshelden. Es erstaunt nicht, dass dies die Ungeister von einst auf den Plan ruft wie den Ku Klux Klan. Und dass andere Gruppierungen wie Neonazis und Alt-Right-Bewegung auf den Zug aufspringen und aus dem giftigen Gebräu ihr eigenes Süppchen kochen.
Die aktuelle Kontroverse bietet aber auch die Chance, dass die Vereinigten Staaten und insbesondere der Süden mit ihrer Vergangenheit endlich ins Reine kommen. Denn die Sklaverei ist die Erbsünde der Nation. Einen Schritt in diese Richtung machte Robert E. Lee V., ein Nachfahre des Generals. Er erklärte sich am Mittwoch mit der Entfernung der Statuen einverstanden. Er sei vielleicht besser, sie in einem Museum oder im historischen Kontext zu zeigen.