Die Lebensversicherung ein bisschen billiger, und den Rabatt für den Auto-Tarif noch obendrauf? 65 Prozent Ermässigung aufs Hotelzimmer? Hilfe beim Umzug und Edelweine zum Supermarktpreis?
Wer das alles in Anspruch nehmen möchte, muss in den USA nur eines tun: Einen Mitgliedsantrag bei der US-Waffenlobby-Organisation NRA (National Rifle Association) ausfüllen. Mit dem Slogan «Es macht sich bezahlt, ein Mitglied zu sein», fischt die mächtige Waffen-Organisation erfolgreich nach Unterstützern – und stellt sie grosszügig zufrieden.
Ein Jahr nach dem weltweit Aufsehen erregenden Schulmassaker von Parkland (Florida) hat sich an der Grundkonstellation in den USA nicht viel geändert. Die politischen Lager sind in der Waffenfrage gespalten, liefern sich ein Patt. Heisst: Weitgehende Tatenlosigkeit.
Am 13. Februar, mediengerecht kurz vor dem Jahrestag der Schüsse von Parkland am 14. Februar, will das Repräsentantenhaus immerhin über ein Gesetz entscheiden, das strengere Überprüfungen von Waffenkäufern vorschreibt. «Wir werden die Epidemie der Waffengewalt in diesem Land eliminieren», sagt Jerry Nadler, der Abgeordnete, der das Gesetz massgeblich vorangebracht hat.
Er klingt dabei sehr wie ein Politiker. Es ist unwahrscheinlich, dass es das Gesetz durch den republikanisch dominierten Senat schafft.
Die Proteste von Schülern wie der nach Parkland international bekannt gewordenen 19-jährigen Emma Gonzalez und ihrer Never-Again-Bewegung sind hörbar geworden, aber sie verhallen am Ende im überlauten und von täglich neuen Nachrichtenkreisläufen geprägten Medien-Geschrei der USA.
«Der Präsident der Vereinigten Staaten spricht über Waffengewalt nur, wenn er sie benutzen kann, um der Öffentlichkeit Angst vor Mexikanern zu machen», schrieb Emma Gonzalez jüngst auf Twitter.
Die NRA zieht derweil weiter ihre Kreise. Und sie findet und bindet Unterstützer. Kurze Zeit nach den Schüssen von Parkland, als ein 19 Jahre alter Ex-Schüler 17 Menschen tötete und anschliessend zum Burger-Essen ging, wurde in Pennsylvania sogar ein Gottesdienst zelebriert, bei dem die Gläubigen ihre Sturmgewehre auf der Kirchenbank in der Hand hielten und Kronen aus Gewehrmunition trugen.
Die Argumente klingen für europäische Ohren hanebüchen – sie haben viel mit dem Recht auf Selbstverteidigung und biblisch verankerten Prinzipien zu tun: Auge um Auge.
Auf Waffenmessen wechseln jedes Wochenende Tausende von Schusswaffen den Besitzer. Auf den «Gun-Shows» sind bis heute nicht einmal die ohnehin laxen Hintergrund-Checks vorgeschrieben – ein Schlupfloch, das die NRA nach Kräften offen hält.
Dabei könnten die Bundesstaaten durchaus regulieren, wenn sie denn nur wollten. «Du wohnst in D.C.», sagt ein Verkäufer auf der National Gun Show vor den Toren der US-Hauptstadt Washington zu einem Interessenten. «Dort darfst Du einen Dreck haben – zieh lieber nach Virginia.» Wer einen Führerschein aus Virginia vorzeigt bekommt von ihm jede Schusswaffe, ganz nach Wunsch – ohne jede Überprüfung.
Die NRA-Mitglieder gehen in die Millionen – genaue Zahlen sind öffentlich nicht verfügbar. Ohnehin spricht die NRA nur, wenn sie möchte. Die Anfrage der Nachrichtenagentur DPA blieb unbeantwortet.
Im amerikanischen Volk ist sie jedoch tief verwurzelt. Und das ist einer der gewichtigsten Gründe dafür, dass fast alle Versuche, Schusswaffen und deren Gebrauch in den USA strengeren Regeln zu unterwerfen, in schöner Regelmässigkeit scheitern.
Politiker, die grundsätzlich in der Lage wären, Gesetzgebungsverfahren im Sinne der Vernunft anzustossen, haben regelrecht Angst vor der NRA. Die Waffen-Organisation – oder besser ihr politischer Arm, der Political Victory Fund – unterzieht Politiker gemessen an deren über Jahre beobachteten Abstimmungsverhalten zu Waffenfragen einem Rating.
Die «Washington Post» hatte gezählt, dass 52 der 100 Senatoren im US-Senat ein Rating von A- oder besser im Sinne der NRA haben. Ein schlechtes NRA-Rating bedeutet im Zweifel den Verlust von Hunderttausenden Wählerstimmen.
Die Tendenz ist relativ klar. Ein A+-Rating haben praktisch ausschliesslich Republikaner, ein F-Rating – schlechtestmögliche Note im Sinne der NRA – bekommen nur Demokraten.
Der dauerhafte Werbefischzug quer durch die USA beschert der Waffenlobby eine Macht, die sie nur über die Mitgliedschaft von Schusswaffenherstellern nie bekommen könnte.
Die Waffenfirmen spielen volkswirtschaftlich keine grosse Rolle. 140'000 Menschen arbeiten in den USA direkt an der Herstellung von Waffen, die nicht für den Kriegseinsatz bestimmt sind, mit einer Wirtschaftsleistung von 20 Milliarden Dollar pro Jahr. Das ist viel, aber in Relation zu anderen Branchen nicht wahnsinnig viel.
Zum Vergleich: Die Kriegswaffen-Industrie trägt mit 1,7 Millionen Beschäftigten 300 Milliarden Dollar zum Bruttosozialprodukt bei, die Autoindustrie gar über 700 Milliarden. Branchen wie Pharma, Medien oder Bergbau sind um ein Vielfaches grösser als die Hersteller von Pistolen und nachgemachten Sturmgewehren.
Dennoch entfalten sie eine riesige Lobbymacht, die es schafft, teils groteske Regelungen durchzusetzen oder zu erhalten. Dass Waffenkäufer etwa auf Messen weniger scharf überprüft werden als im Laden ist solch ein Punkt. Ganze Heerscharen von Halbstarken und Kleinkriminellen pilgern jedes Wochenende – beworben von der NRA – zu Waffenmessen überall im Land.
Der amtierende Justizminister Matthew Whitaker ist der Ansicht, Kriminalität mit Schusswaffen lasse sich auch ohne Verbote durchsetzen. «Die Kriminalität sei in den grössten 29 Städten der USA deutlich zurückgegangen», sagt er. Parkland gehört nicht zu den 29 grössten Städten. (sda/dpa)