Er steht nicht auf dem Wahlzettel. Und doch dreht sich bei den Kongresswahlen am 6. November alles um ihn: US-Präsident Donald Trump. Die Midterms seien ein Referendum über ihn und seine Politik, sagen Kommentatoren. Sagt Trump selber. Fast täglich jettet der Präsident durchs Land, als Wahlhelfer für Kandidaten seiner republikanischen Partei.
Lange sah es gut aus für die oppositionellen Demokraten. Es galt als sicher, dass sie die Mehrheit der 435 Sitze im Repräsentantenhaus erobern würden. Und sogar im Senat schienen die Chancen auf eine demokratische Kontrolle intakt, obwohl die Konstellation ungünstig ist. Nur neun der 35 Sitze, die zur Wahl stehen, werden von Republikanern gehalten.
In letzter Zeit aber haben sich die Aussichten eingetrübt. Die «Blaue Welle» – in Anspielung auf die Parteifarbe der Demokraten – schien zu verebben. Die Chancen auf eine Mehrheit im «House» bleiben intakt, doch den Senat haben sie so gut wie verloren. Innerhalb der Partei geht deshalb die Angst um vor einer Wiederholung des Debakels bei der Präsidentschaftswahl 2016.
Werden die Demokraten erneut auf der Ziellinie alles verlieren? Dafür sprechen die gute Wirtschaftslage und die in letzter Zeit gestiegene Popularität von Donald Trump. Dagegen spricht die enorme Abneigung, um nicht zu sagen der Hass, den viele gegenüber dem polarisierenden Präsidenten empfinden. Besonders die Frauen lehnen Trump mehrheitlich ab.
Wie sehr das Klima in den USA vergiftet ist, zeigen die Gewalttaten der letzten Tage. Werden sich diese Ereignisse auf die Wahlen in einer Woche auswirken? Oder überwiegt die Zufriedenheit vieler Amerikaner mit ihrer verbesserten wirtschaftlichen Lage, wie die «New York Times» mutmasst? Ein Überblick über einige wichtige Aspekte der Midterms:
Mit den Umfragen in den USA ist es so eine Sache, seit sich die Demoskopen vor zwei Jahren verzockt haben. Noch am Abend der Präsidentschaftswahl gaben sie Hillary Clinton die grösseren Siegeschancen als Donald Trump. Am Ende der Nacht hatten sie sich kräftig blamiert. Auch der vermeintlich unfehlbare «Zahlenguru» Nate Silver hat damals einen Schuh voll rausgezogen.
Nun geht Silver in seinem Blog FiveThirtyEight davon aus, dass die Demokraten mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 80 Prozent die Kontrolle im Repräsentantenhaus übernehmen werden. Ihre Chancen haben sich in den letzten Tagen eher wieder verbessert. Fast ebenso sicher ist für Silver, dass die Republikaner den Senat halten oder ihre Mehrheit sogar ausbauen können.
Sein einstiger Mitarbeiter Harry Enten kommt auf CNN zu einer identischen Prognose. In der Querschnittumfrage der Website RealClearPolitics, die alle «seriösen» Einzelumfragen erfasst, haben die Demokraten auf nationaler Ebene einen Vorsprung von mehr als sieben Prozent auf die Republikaner, was für eine Mehrheit im Repräsentantenhaus reichen könnte.
Die Demokraten brauchen einen deutlichen Vorsprung auf die Republikaner, weil sie von der politischen Landkarte benachteiligt werden. Dort haben ländlich-konservative Regionen ein übergrosses Gewicht. Ein Problem ist auch das berüchtigte Gerrymandering, bei dem die Wahlkreise so gezeichnet werden, dass eine sichere Mehrheit für eine Partei resultiert.
Die Republikaner haben das Gerrymandering in den von ihnen beherrschten Bundesstaaten zur Perfektion praktiziert. Das Brennan Center for Justice an der New York University kommt deshalb in einem Bericht zum Schluss, dass die Demokraten auf nationaler Ebene sogar einen Vorsprung von fast elf Prozent benötigen, um die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer zu erringen.
Benachteiligt werden die Demokraten auch durch Gesetze, die angeblich Wahlbetrug verhindern, in Wirklichkeit aber vor allem mehrheitlich zu den Demokraten tendierende Wählerschichten wie Junge und Angehörige von Minderheiten bei der Stimmabgabe einschränken sollen. Einige besonders krasse Gesetze in republikanisch dominierten Staaten haben die Gerichte kassiert.
Der Schlüssel zu Donald Trumps Wahlsieg 2016 war die unerwartet starke Mobilisierung von überwiegend weissen Wählerinnen und Wählern. Auch bei den Midterms wird dieser Faktor eine entscheidende Rolle spielen. Die Demokraten müssen mit dem Handicap umgehen, dass Junge, Schwarze und Latinos bei den Zwischenwahlen häufig durch Abwesenheit glänzen.
Die grosse Frage ist, ob die Wut auf Trump stärker ist als diese Stimmfaulheit. Eine Harvard-Umfrage zeigt, dass die jungen Wählerinnen und Wähler in Rekordzahl teilnehmen wollen. Allerdings verspüren auch die Republikaner Rückenwind, nicht zuletzt durch die Kontroverse um den umstrittenen Richter Brett Kavanaugh. Sie scheint erneut die Weissen zu mobilisieren.
Wer profitiert mehr? Das ist schwer zu sagen, aber die Wahlbeteiligung dürfte hoch werden. Das zeigen Zahlen aus jenen Staaten, die eine vorzeitige Stimmabgabe ermöglichen. Laut NBC News haben bislang mehr Leute gewählt als zum gleichen Zeitpunkt vor zwei Jahren, was verblüffend ist. Denn bei den Midterms ist die Beteiligung in der Regel niedriger als bei Präsidentschaftswahlen.
Die Vergewaltigungsvorwürfe und die harten Angriffe der Demokraten gegen das neue Mitglied des Obersten Gerichtshofs waren für die Republikaner wie ein Geschenk des Himmels. Sie schreckten viele Konservative auf, darunter auch solche, die Donald Trump bislang abgelehnt hatten. Die Republikaner würden bei den Midterms vom Kavanaugh-Effekt profitieren, lautet ein oft kolportierte These.
Die Umfragen zeigen ein anderes Bild. In einer AP-Erhebung begrüssen nur 35 Prozent der Befragten die Ernennung von Kavanaugh, 43 Prozent lehnen sie ab. Nur 25 Prozent glauben, er habe vor dem Senat die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt. Eine Umfrage von USA Today ergab, dass der Kavanaugh-Effekt «den Demokraten mehr Schub verleiht als den Republikanern».
Eine Prognose bleibt schwierig. Dennoch spricht einiges dafür, dass die Demokraten zumindest in der grossen Kammer die Mehrheit übernehmen und Trump damit das Leben schwer machen können. Der «Kristallkugel»-Blog des renommierten Politologen Larry Sabato von der University of Virginia geht davon aus, dass die Republikaner eine kleine Chance haben, das Repräsentantenhaus zu halten. Die Demokraten aber hätten deutlich mehr Optionen.
Und trotzdem besteht nach den ernüchternden Erfahrungen von 2016 die Gefahr, dass sie es erneut vermasseln werden. Wenn eine Partei darin geübt ist, sich selbst ein Bein zu stellen, dann sind es die Demokraten.