Eigentlich sollte bei den Zwischenwahlen in den US-Kongress alles klar sein: Alle Umfragen sehen die Demokraten deutlich vorne, einige gar im zweistelligen Bereich. Donald Trump wurde vor zwei Jahren von einer Minderheit gewählt und seine Beliebtheitswerte liegen nach wie vor deutlich unter 50 Prozent.
Dazu kommen die Wut der Frauen, die dreisten Lügen, die permanenten Skandale und das Chaos im Weissen Haus. So gesehen müssten die Demokraten zumindest eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus erreichen, selbst den Senat könnten sie erobern.
Erste Indizien sprechen denn auch dafür: Die Beteiligung an der vorzeitigen Stimmabgabe befindet sich auf Rekordhöhe, ebenso die Registrierung der Stimmberechtigten. All dies spricht für eine «blaue Welle». Die Umfrage-Experten beziffern denn auch die Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Siegs auf 84 Prozent.
Und doch: Auch vor zwei Jahren sahen alle Prognosen-Gurus Hillary Clinton als sichere Siegerin. Die Republikaner unternehmen zudem alles, eine «blaue Welle» zu verhindern, und greifen dabei tief in die schmutzige Trickkiste: Sie hindern beispielsweise Schwarze, Latinos und Indianer daran, ihr Wahlrecht auszuüben. Gerade diese Minderheiten wählen traditionell mehrheitlich demokratisch.
Die Grand Old Party (GOP) profitiert zudem massiv vom bestehenden Wahlrecht: Wie in der Schweiz haben die Stimmen der bevölkerungsreichen Bundesstaaten deutlich weniger Gewicht als die der bevölkerungsarmen. So wie ein Appenzeller bei nationalen Wahlen ungleich mehr Einfluss hat als ein Zürcher, zählt die Stimme eines Wählers in North Dakota mehr als die eines Wählers in Kalifornien. Gerade in den Kleinstaaten haben die Republikaner ein deutliches Übergewicht.
Dazu kommt das sogenannte «Gerrymandering». Darunter versteht man das Phänomen, dass in den USA Wahlkreise teils willkürlich und grotesk so eingeteilt sind, dass eine Partei – in der Regel die GOP – davon profitiert.
In den Zwischenwahlen dreht sich alles um Trump. Derzeit tourt der Präsident von einer Wahlkampfveranstaltung zu nächsten. Seine Fähigkeit, seine Basis zu begeistern, ist unbestritten. Die Skandal-Wahl von Brett Kavanaugh in den Obersten Gerichtshof hat zudem die republikanische Basis ebenfalls mobilisiert. Es ist daher durchaus möglich, dass die Demokraten am 6. November wie vor zwei Jahren mit leeren Händen dastehen.
Gelingt es der GOP, in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit zu behalten, dann wäre dies ein grosser Sieg von Donald Trump. Er würde keinen Moment zögern, dies auch auszuschlachten. Konkret würde dies bedeuten:
Die Arbeit von Sonderermittler Robert Mueller ist nach wie vor die grösste Bedrohung für Trump. Bisher hat eine republikanische Mehrheit verhindert, dass auch die Abgeordneten und die Senatoren ihre Aufsichtspflicht wahrgenommen haben.
Behält die GOP ihre Mehrheit, dann wird Trump seinen Justizminister Jeff Sessions – er ist in der Russlandfrage befangen – entlassen und einen Nachfolger einstellen, der seinerseits Mueller feuern wird. Ob Trump mit den Russen im Wahlkampf kooperiert hat und die Justiz behindert hat, wird dann kaum mehr zu beurteilen sein.
Obamas Gesundheitsreform wird von den Republikanern gehasst. «Abschaffen und ersetzen» («repeal and replace») war denn auch so etwas wie ein Schlachtruf der GOP in den letzten Jahren. Der erste Versuch, Obamacare zu meucheln, ist letztes Jahr missglückt. Mit einer Mehrheit in beiden Häusern dürfte der zweite Anlauf gelingen.
Die Steuerreform ist der bisher grösste Erfolg der Republikaner in Trumps Amtszeit. Bei den Wählern kommt sie jedoch nicht gut an. Zudem hat sich wegen der Steuergeschenke an Unternehmen und Superreiche die eh schon marode Situation der Staatskassen nochmals verschlechtert. Bei boomender Wirtschaft zeichnet sich ein Rekorddefizit ab.
Trotzdem liebäugeln Trump und die GOP bereits mit einer weiteren Steuerreform, schliesslich hat Gott die Republikaner geschaffen, um Steuern zu senken. Es wäre so beispielsweise möglich, dass die Grundstücksteuer abgeschafft würde, ein weiteres Geschenk an die Superreichen.
Der Handelskrieg mit China verschärft sich, Experten sprechen bereits von einem neuen Kalten Krieg. Ohne Kontrolle des Kongresses wächst die Gefahr, dass dieser Konflikt weiter eskaliert. Trump zumindest gebärdet sich bereits jetzt wie ein Kalter Krieger: Er beschimpft nicht nur die Chinesen, sondern auch seine Alliierten.
Trump will auch Verträge aufheben, die den Weltfrieden sichern. So hat er über das Wochenende erklärt, er wolle den Vertrag, der zur Verschrottung der atomaren Mittelstreckenwaffen geführt hat, wieder aufheben. Bereits jetzt sind die Hardliner wie Sicherheitsberater John Bolton im Vormarsch. Ein Sieg der GOP hätte wahrscheinlich zur Folge, dass die letzten «Erwachsenen» im Weissen Haus, etwa Verteidigungsminister Jim Mattis, das Feld räumen müssten.
Erhalten die Demoskopen diesmal Recht und trifft die «blaue Welle» tatsächlich ein, dann sieht dies alles ganz anders aus. Selbst schon eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus würde die Macht des Präsidenten stark einschränken. Trump könnte dann weder neue Steuergesetze beschliessen noch Obamacare abschaffen. Er müsste mit sogenannten «executive orders» regieren, die weit weniger Gewicht haben als vom Kongress verabschiedete Gesetze.
Vor allem aber müsste Trump die Arbeit von Untersuchungsausschüssen fürchten. Unter der Führung eines Demokraten könnten sie nicht kastriert werden, wie dies derzeit der Fall ist. Der Job des Sonderermittlers wäre auf jeden Fall gesichert.
Nicht nur die Russland-Affäre könnte so Trump gefährlich werden. Auch seine Vermischung von privaten mit Staatsgeschäften dürfte ein Thema werden. Aktuelles Beispiel ist das FBI-Hauptgebäude in Washington.
Dieses Haus steht an zentraler Lage, es zerfällt jedoch buchstäblich. Mit dem Segen des FBI hat die Obama-Regierung daher einen Deal mit einer privaten Immobiliengesellschaft abgeschlossen: Ihr baut ein neues Gebäude auf der grünen Wiese und erhält dafür das begehrte Grundstück in der Stadt.
Nun ist dieser Deal von der Regierung aus unklaren Gründen rückgängig gemacht worden. Es besteht jedoch der begründete Verdacht, dass Trump persönlich diesen Rückzug angeordnet hat.
Der Grund dafür sind private Interessen: Ein privater Investor wird das ehemalige FBI-Hauptgebäude abreissen und einen Komplex mit Geschäften und einem Luxushotel erstellen. Weil sich das Gebäude direkt gegenüber dem pompösen Trump-Hotel in Washington befindet, hat der Präsident Angst vor Konkurrenz.
Sollte sich dieser Verdacht in einem Untersuchungsausschuss bestätigen und sollte zudem der Sonderermittler nach den Zwischenwahlen einen vernichtenden Bericht abliefern, dann könnte es für Trump sehr eng werden. Schliesslich erklärt sein ehemaliger Chefstratege Steve Bannon jedem, der es hören will: «Verlieren die Republikaner, wird der Präsident impeached.»