Der Präsident der Vereinigten Staaten hat sich mit einer jungen Frau angelegt. Am Dienstag verlangte er sogar deren Rücktritt aus dem Kongress. Die Rede ist von Ilhan Omar. Eine von nur zwei Muslimas im Abgeordnetenhaus der USA.
Omar wurde vergangenen Herbst erstmals in den Kongress gewählt – und macht seither Schlagzeilen. Denn die Demokratin, welche in Somalia geboren worden war und erst 1995 in die USA einwanderte, nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie stellt bestehende Machtstrukturen in Frage und stösst somit viele alteingesessene Politiker vor den Kopf.
Ob Pharma-, Waffen- oder Öl-Industrie: Die 37-Jährige schaut genau hin und kritisiert den grossen Einfluss dieser Player auf die US-Politik. Damit steht sie nicht alleine: Der linke Flügel der Demokratischen Partei bewirtschaftet diese Themen mit immer mehr Nachdruck. Präsidentschaftskandidaten wie Bernie Sanders oder Kamala Harris setzen beim Wahlkampf voll auf das Thema Umverteilung.
So weit, so Mainstream also. Omar hat jedoch noch eine andere mächtige Organisation ins Visier genommen: Die proisraelische Lobby AIPAC, die in den USA 100'000 Mitglieder zählt. Und das hat ein mittleres Erdbeben in Washington ausgelöst.
Omar, welche sich bereits in der Vergangenheit für die Rechte der Palästinenser einsetzte, lässt auch als gewählte Volksvertreterin nicht locker und kritisiert die Okkupationspolitik Israels. Zudem implizierte sie mit einem Tweet, dass viele Politiker in den USA vom Geld der AIPAC abhängig seien.
Auf Twitter schrieb sie: «It's all about the Benjamins baby (es geht alles um die Benjamins, Baby).» Dies ist eine Anspielung auf die 100-Dollar-Banknote mit dem Bild des US-Gründervaters Benjamin Franklin (1706–1790).
Wegen dieses einen Satzes musste sich die frischgewählte Demokratin aus Minnesota Schimpf und Schande anhören. «Sie sollte sich schämen. Ich denke, das war eine fürchterliche Äusserung», wetterte etwa Donald Trump.
Auch wichtige Figuren aus der eigenen Partei pfiffen Omar zurück, etwa Nancy Pelosi. Die Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, welche in ihrer Karriere gemäss dem Guardian bereits 514'000 US-Dollar von AIPAC erhielt, warf der Muslima «antisemitische Redewendungen» vor und verlangte eine Entschuldigung.
Diese erfolgte denn auch. Es sei nie ihre Absicht gewesen, ihre Wähler oder jüdische Amerikaner als Ganzes zu beleidigen, schrieb Omar auf Twitter, betonte aber gleichzeitig noch einmal die problematische Rolle von mächtigen Lobby-Gruppen.
Listening and learning, but standing strong 💪🏽 pic.twitter.com/7TSroSf8h1
— Ilhan Omar (@IlhanMN) 11. Februar 2019
Doch die Sache war damit nicht gegessen. In konservativen Kreisen wurde Omar so etwas wie zur Staatsfeindin Nummer 1 hochstilisiert. In ihrem Heimatstaat Minnesota seien auf mehreren Tankstellen Schriftzüge mit «Tötet Ilhan Omar» zu sehen gewesen, erklärte die Abgeordnete kürzlich. Leute würden mit dem Auto um ihr Haus kurven und ihrer Familie Gewalt androhen. An einer Veranstaltung der Republikaner in West Virginia brachte vergangenes Wochenende jemand ein Poster an, das Omar mit 9/11 in Verbindung bringt.
Bewusst werden anti-islamische Ressentiments geschürt. Befeuert durch einen Präsidenten, der zu Beginn seiner Amtszeit eine Einreisesperre für Moslems einführte.
This poster is in your Capitol on a booth sponsored by @WVGOP “When someone shows you who they are, believe them” pic.twitter.com/4k566ztHWo
— (((Mike Pushkin))) (@pushkinforhouse) 1. März 2019
Mit Konsequenzen rechnen muss vorerst jedoch nur Ilhan Omar. Nancy Pelosi bereitet derzeit eine offizielle Erklärung vor, die das Verhalten Omars verurteilen soll. Möglich ist gar ein Ausschluss aus dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Die Erklärung wird für heute Donnerstag erwartet.
Stein des Anstosses waren erneut Äusserungen Omars, die von einigen als antisemitisch aufgefasst wurden. Die 37-Jährige lieferte sich auf Twitter eine Diskussion mit der demokratischen Abgeordneten Nita Lowey, welche jüdischer Herkunft ist. Dabei bediente sich Omar des Vorwurfs der «doppelten Loyalität».
Dieser besagt, dass jüdische Politiker sowohl den USA als auch Israel die Treue schwören würden. Der Begriff hat tatsächlich eine anti-semitische Vergangenheit, das Wort «Juden» hat Omar jedoch noch nie abwertend benutzt.
Seither hat Omar jedenfalls nicht nur Trump, der von einem «schwarzen Tag für Israel» sprach, und seine Gefolgsleute gegen sich, sondern eben auch Pelosi und einen Teil der Demokraten.
Representative Ilhan Omar is again under fire for her terrible comments concerning Israel. Jewish groups have just sent a petition to Speaker Pelosi asking her to remove Omar from Foreign Relations Committee. A dark day for Israel!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 5. März 2019
Doch ganz alleine ist Omar nicht. Denn auf Seiten der Demokraten regt sich Widerstand gegen Pelosi und Co. Omar zu Hilfe geeilt ist etwa Alexandria Ocasio-Cortez, deren Einfluss in der Demokratischen Partei von Tag zu Tag steigt. Ihre Reichweite auf Social Media überflügelt jene von Pelosi bereits deutlich, auch die Schlagzeilen der grossen Medien sind Ocasio-Cortez auf sicher.
Der Polit-Shootingstar stellt fest, dass es niemals einen solchen Aufruhr gebe, wenn andere Communities beleidigt würden. Während des Shutdowns habe zum Beispiel ein Abgeordneter der Republikaner «Geh zurück nach Puerto Rico» geschrien. (Ocasio-Cortez hat puerto-ricanische Wurzeln.) Folgen hatte dies keine.
One of the things that is hurtful about the extent to which reprimand is sought of Ilhan is that no one seeks this level of reprimand when members make statements about Latinx + other communities (during the shutdown, a GOP member yelled “Go back to Puerto Rico!” on the floor). https://t.co/MwrRN4v4DG
— Alexandria Ocasio-Cortez (@AOC) 5. März 2019
Nicht nur auf dem Twitter-Feed der 29-Jährigen finden sich derzeit zahlreiche Einträge, die Omar in Schutz nehmen. Auch sonst wächst die Front gegen Pelosis Plan, sich von den Aussagen der Muslima zu distanzieren.
So sprachen sich nun auch demokratische Schwergewichte wie Kamala Harris oder Bernie Sanders dafür aus, dass man Israel kritisieren dürfe. Letzterer sagte:
Die Demokratische Partei steht also vor einer Zerreissprobe. Die Medien dokumentieren den innerparteilichen Streit auf Schritt und Tritt. Besonders genüsslich beobachten die Republikaner den Graben, der sich in der Demokratischen Partei auftut – und giessen weiter Öl ins Feuer.
Dabei geht es Trump und Co. kaum darum, Antisemitismus zu bekämpfen. Der Präsident ist einer der Hauptverantwortlichen, weshalb zum Beispiel Verschwörungstheorien um den jüdischen Philanthropen George Soros Hochkonjunktur haben.
Welch gefährliche Folgen das haben kann, erfuhr die Welt am 27. Oktober des vergangenen Jahres, als ein Rechtsradikaler in einer Synagoge in Pittsburgh elf Leute umbrachte.
Update: Nancy Pelosi sagte am Donnerstagmittag (Ortszeit) man arbeite an einer Resolution, die Hass im Allgemeinen verurteile. Etwa Islamophobie, Antisemitismus oder auch die «White Supremacy». Es gehe aber nicht konkret um Ilhan Omar.
House Speaker Nancy Pelosi says anti-Semitism resolution introduced by Democrats is not specifically about controversial comments from Rep. Ilhan Omar about Israel: "It's not about her, it's about these forms of hatred" https://t.co/H9n7JKbYS7 pic.twitter.com/538mJHcvUs
— CBS News (@CBSNews) 7. März 2019