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Seit einem Pakt mit dem Teufel ist Haiti verflucht – glauben selbst Einheimische

Charles Benest, a voodoo priest puts powder to the face of a believer during a Voodoo ritual that pays tribute to Baron Samdi and the Gede family of spirits during Day of the Dead celebrations at the  ...
Ein Voodoo-Priester in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince (2014).Bild: Dieu Nalio Chery/AP/KEYSTONE

Wieder hat es Haiti getroffen – seit einem Pakt mit dem Teufel soll das Land verflucht sein

07.10.2016, 15:1307.10.2016, 16:27
Kian Ramezani
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Wirbelsturm «Matthew» rast auf Florida zu, auf Haiti hat er bereits gewütet. Ganze Städte sind zerstört, mindestens 339 Menschen sind ums Leben gekommen.

Wieder einmal Haiti.

2010 die Apokalypse nach einem Erdbeben der Stärke 7.0, mindestens 100'000 Tote. 1994 Wirbelsturm Gordon mit mindestens 1000 Toten. Wirbelstürme und Erdbeben, die Liste der Naturkatastrophen, die Haiti über die Jahrhunderte heimgesucht hat, ist lang.

Dazu die Armut, Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Und die politische Instabilität. Das Erbe der blutigen Diktatur der Duvaliers. Die Umweltzerstörung, Haiti ist zu 98% entwaldet. Ideale Bedingungen, um Regen in Erdrutsche zu verwandeln.

Hurrikan «Matthew» wütet im Armenhaus von Amerika

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Hurrikan «Matthew» wütet im Armenhaus von Amerika
Der Monstersturm «Matthew» hat nach seinem tödlichen Zug durch die Karibik Kurs auf die Ostküste Floridas genommen.
quelle: ap/florida today / craig rubadoux
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Für die Naturkatastrophen hält die Wissenschaft plausible Erklärungen parat: Haiti befindet sich zwischen der Karibischen und der Nordamerikanischen Platte, einer seismisch hochaktiven Zone. Dasselbe gilt für tropische Wirbelstürme und das Karibische Meer.

Es kursiert aber auch eine ziemlich abenteuerliche Geschichte, warum das Land immer wieder heimgesucht wird: Haiti soll vor langer Zeit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben und ist seither verflucht. 

Aber alles der Reihe nach.

Am 14. August 1791 soll ein Sklave namens Dutty Boukman in der französischen Kolonie Saint-Domingue (dem heutigen Haiti) einen Sklavenaufstand ausgerufen haben, der als Auftakt zur Haitianischen Revolution gilt. Er tat dies in Form einer Voodoo-Zeremonie, die auf den Naturreligionen der afrikanischen Vorfahren der Sklaven basiert. Hierbei soll er folgende Worte gesprochen haben:

«Der Gott, der die Sonne geschaffen hat, die uns Licht spendet, der die Wellen auftürmt und den Sturm beherrscht, auch wenn er in den Wolken verborgen ist, er schaut uns zu. Er sieht alles, was der weisse Mann tut. Der Gott des weissen Mannes stiftet uns zu Verbrechen an, während unser Gott will, dass wir Gutes tun. Unser Gott, der gut ist, befiehlt uns, Rache für das Unrecht zu nehmen, das wir erlitten haben. Er wird unsere Waffen lenken und uns beistehen. Werft das Symbol des Gottes der Weissen weg, der uns weinen liess, und hört auf die Stimme der Freiheit, die aus allen unseren Herzen spricht.» 
Dutty Boukmanquelle: the black jacobins: toussaint l'ouverture and the san domingo revolution

Daraufhin riss sich Boukman das christliche Kreuz von seinem Hals, Symbol der Religion seiner Unterdrücker. Unter seiner Führung massakrierten aufständische Sklaven in den Tagen danach alle Weissen, egal ob Mann, Frau oder Kind, die ihnen über den Weg liefen. 1804 siegte die Revolution und erstmals gründeten Sklaven, die sich selbst befreit hatten, einen souveränen Staat.

Was hat all das mit dem Teufel zu tun? Für evangelikale Hardliner ist Voodoo nichts als Teufelsanbetung. Solche gibt es zum Beispiel in den USA in der Person von TV-Priester Pat Robertson, der das verheerende Erdbeben von 2010 tatsächlich als Strafe für den «Pakt mit dem Teufel» von 1791 bezeichnet.  

Schlacht von San Domingo zwischen polnischen Truppen in französischen Diensten und haitianischen Rebellen (1805).
Schlacht von San Domingo zwischen polnischen Truppen in französischen Diensten und haitianischen Rebellen (1805).bild: pd/January Suchodolski

Viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist aber, dass auch Haitianer an dieses Märchen glauben. So sieht der Pfarrer Chavannes Jeune, der sich 2005 um die haitianische Präsidentschaft bewarb, sein Land in den «Fesseln des Teufels». Und zwar weil es bei seiner Befreiung von einem «Voodoo-Priester geweiht» worden war.

Obwohl Haiti von einer erstaunlichen Anzahl von Übeln befallen wird, ist es natürlich töricht anzunehmen, das habe etwas mit einer Voodoo-Zeremonie zu tun, die sich vor über 200 Jahren ereignete. Ebenso naiv – und kontraproduktiv – ist die Vorstellung, dass mit der Ausrottung des Voodoo-Glaubens im Land plötzlich das Paradies ausbrechen würde.

Viele Gründe für das Elend sind hausgemacht, darunter die Diktatur der Duvaliers, die sich schamlos aus der Staatskasse bedienten. Aber man könnte auch bis 1825 zurückgehen, als Frankreich als Gegenleistung für die diplomatische Anerkennung seiner ehemaligen Kolonie 90 Millionen Francs in Gold verlangte und bekam. Diese Entschädigungszahlungen belasteten die wirtschaftliche Entwicklung Haitis enorm.

Der fatalistische Glaube, das Leiden der Menschen auf Haiti sei selbstverschuldet, verstellt den Blick auf die wirklichen Gründe für die Misere ebenso wie auf deren Behebung. Einen Pakt mit dem Teufel hat es ebenso wenig gegeben wie einen Fluch.

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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John Smith (2)
07.10.2016 15:49registriert März 2016
Da hat mich der Autor aber lange auf die Folter gespannt, bis er doch noch 1825 erwähnte. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Während 300 Jahren wurden Schwarze eingefangen, versklavt, auf Haiti verschleppt und mussten dort unter unmenschlichen Bedingungen schuften. Und als sie sich dann endlich befreien konnten, bekamen sie nicht etwa eine Entschädigung, nein, sie mussten selbst noch ihre Peiniger entschädigen! Liberté, égalité, fraternité, aber natürlich nur für die reiche Bourgeoisie, die Unterschicht oder gar Schwarze waren damit nie gemeint.
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Karl Müller
07.10.2016 16:16registriert März 2015
Interessant fände ich die Frage, warum es die Dominikanische Republik offenbar weniger hart trifft. Die teilen sich ja eine Insel mit Haiti.
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Maria B.
07.10.2016 15:37registriert Februar 2015
Schier unglaublich, was diesem bedauernswerten Land und dessen Bewohnern in den vergangenen Jahren alles zugestossen ist! Es gibt dort nicht wenige Menschen, die hinterfragen, ob sowas Vorsehung oder bloss Pech ist.

Haiti war schon, als ich knapp nach dem Verschwinden von Baby Doc in Porte au Prince war, ein total verarmtes Land, welches auch durch seine weniger schönen Strände, als sie im Nachbarstaat Dominikanische Republik oder in Kuba vorhanden sind, nie den Anschluss an den int. Tourismus gefunden hat. Auch politisch war Haiti bis heute immer eine einzige Katastrophe unfähiger Präsidenten.
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