Wirbelsturm «Matthew» rast auf Florida zu, auf Haiti hat er bereits gewütet. Ganze Städte sind zerstört, mindestens 339 Menschen sind ums Leben gekommen.
Wieder einmal Haiti.
2010 die Apokalypse nach einem Erdbeben der Stärke 7.0, mindestens 100'000 Tote. 1994 Wirbelsturm Gordon mit mindestens 1000 Toten. Wirbelstürme und Erdbeben, die Liste der Naturkatastrophen, die Haiti über die Jahrhunderte heimgesucht hat, ist lang.
Dazu die Armut, Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Und die politische Instabilität. Das Erbe der blutigen Diktatur der Duvaliers. Die Umweltzerstörung, Haiti ist zu 98% entwaldet. Ideale Bedingungen, um Regen in Erdrutsche zu verwandeln.
Für die Naturkatastrophen hält die Wissenschaft plausible Erklärungen parat: Haiti befindet sich zwischen der Karibischen und der Nordamerikanischen Platte, einer seismisch hochaktiven Zone. Dasselbe gilt für tropische Wirbelstürme und das Karibische Meer.
Es kursiert aber auch eine ziemlich abenteuerliche Geschichte, warum das Land immer wieder heimgesucht wird: Haiti soll vor langer Zeit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben und ist seither verflucht.
Aber alles der Reihe nach.
Am 14. August 1791 soll ein Sklave namens Dutty Boukman in der französischen Kolonie Saint-Domingue (dem heutigen Haiti) einen Sklavenaufstand ausgerufen haben, der als Auftakt zur Haitianischen Revolution gilt. Er tat dies in Form einer Voodoo-Zeremonie, die auf den Naturreligionen der afrikanischen Vorfahren der Sklaven basiert. Hierbei soll er folgende Worte gesprochen haben:
Daraufhin riss sich Boukman das christliche Kreuz von seinem Hals, Symbol der Religion seiner Unterdrücker. Unter seiner Führung massakrierten aufständische Sklaven in den Tagen danach alle Weissen, egal ob Mann, Frau oder Kind, die ihnen über den Weg liefen. 1804 siegte die Revolution und erstmals gründeten Sklaven, die sich selbst befreit hatten, einen souveränen Staat.
Was hat all das mit dem Teufel zu tun? Für evangelikale Hardliner ist Voodoo nichts als Teufelsanbetung. Solche gibt es zum Beispiel in den USA in der Person von TV-Priester Pat Robertson, der das verheerende Erdbeben von 2010 tatsächlich als Strafe für den «Pakt mit dem Teufel» von 1791 bezeichnet.
Viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist aber, dass auch Haitianer an dieses Märchen glauben. So sieht der Pfarrer Chavannes Jeune, der sich 2005 um die haitianische Präsidentschaft bewarb, sein Land in den «Fesseln des Teufels». Und zwar weil es bei seiner Befreiung von einem «Voodoo-Priester geweiht» worden war.
Obwohl Haiti von einer erstaunlichen Anzahl von Übeln befallen wird, ist es natürlich töricht anzunehmen, das habe etwas mit einer Voodoo-Zeremonie zu tun, die sich vor über 200 Jahren ereignete. Ebenso naiv – und kontraproduktiv – ist die Vorstellung, dass mit der Ausrottung des Voodoo-Glaubens im Land plötzlich das Paradies ausbrechen würde.
Viele Gründe für das Elend sind hausgemacht, darunter die Diktatur der Duvaliers, die sich schamlos aus der Staatskasse bedienten. Aber man könnte auch bis 1825 zurückgehen, als Frankreich als Gegenleistung für die diplomatische Anerkennung seiner ehemaligen Kolonie 90 Millionen Francs in Gold verlangte und bekam. Diese Entschädigungszahlungen belasteten die wirtschaftliche Entwicklung Haitis enorm.
Der fatalistische Glaube, das Leiden der Menschen auf Haiti sei selbstverschuldet, verstellt den Blick auf die wirklichen Gründe für die Misere ebenso wie auf deren Behebung. Einen Pakt mit dem Teufel hat es ebenso wenig gegeben wie einen Fluch.