In der «NZZ am Sonntag» hat sich Christine Steffen kürzlich darüber beklagt, dass in Zürichs Trendquartieren «alles so furchtbar gemütlich» sei. «Es sind jene Orte in den Szenenquartieren, an denen die Stadt besonders hip sein möchte – und an denen sie so durchgestylt und totgestaltet ist, dass sie einen im besten Fall in eine melancholische Tiefenentspannung fallen lässt. Im schlechteren fühlt man sich leer.»
Als Paradebeispiel eines durchgestylten Ortes nennt Steffen das Kosmos. Das neue Kulturzentrum am Ende der Europaallee umfasst Kinosäle, eine Bar, einen sehr gut sortierten Buchladen mit Cafébar, ein Restaurant mit ausgewählter Küche und es werden regelmässig Diskussionsveranstaltungen durchgeführt.
Das Kosmos ist multikulti, biologisch, urban, feministisch – es ist so ziemlich alles, wofür die 68er vor 50 Jahren auf die Strasse gegangen sind, wofür sie mit Slogans wie «Die Fantasie an die Macht» gekämpft haben. Davon will Steffen nichts wissen. Sie sieht darin «eine weichgespülte Pseudoweltläufigkeit, die am Ende nichts anderes als ziemlich provinziell und ein bisschen bünzlig» ist.
Die Revolte im Mai 1968 in Paris ist Symbol geworden für den Aufstand gegen alles Bünzlige und Engstirnige. Studenten und Jugendliche hatten die Schnauze voll von der Prüderie und Bigotterie ihrer Eltern. Sie lehnten sich gegen diktatorische Väter, frömmelnde Mütter, überhebliche Professoren und heuchlerische Priester auf und proklamierten einen Lebensstil im Sinne von Sex & Drugs & Rock’n Roll.
Die Studenten hatten damals auch ziemlich naive Vorstellungen von einer gerechten sozialistischen Gesellschaft. Das ging arg in die Hosen. Ihre Forderungen nach einem neuen Lebensstil jedoch sind auf fruchtbaren Boden gefallen: Die Sexualität ist befreit worden, auch Homosexualität ist weitgehend akzeptiert.
Autoritäre Väter sind auch in konservativen Familien selten geworden, Professoren können nicht nur Noten austeilen, sie haben auch Bewertungen von Studenten zu verdauen; und Priester und Pfarrer müssen ihre letzten verbliebenen Schäfchen sorgfältig hegen und pflegen.
In den reichen Ländern – und dort vor allem in den Städten – haben wir heute andere Sorgen. Tylor Cowen, ein einflussreicher US-Ökonom, spricht von einer «selbstzufriedenen Klasse» die sich ausbreitet. In einem Interview mit watson erklärte er: «Unsere Welt ist eine Welt der Gentrifizierung. Ein neues Restaurant im Quartier, eine abnehmende Kriminalität – darunter verstehen wir heute Fortschritt.»
Die Hipster-Welt ist klein und begrenzt geworden, nicht weil wir alle bünzlig geworden sind, sondern weil sich die wirtschaftlichen Bedingungen verändert haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die 68er Rebellen in den «goldigen 30 Jahren» austoben. Es herrschte Vollbeschäftigung. Wer sich eine Auszeit gönnen wollte, konnte ohne Bedenken seinen Job kündigen im Wissen, jederzeit auf gleicher Stufe wieder einsteigen zu können.
Heute müssen selbst Hochschulabgänger jahrelange Praktika absolvieren und hunderte von Bewerbungen einreichen, bevor sie eine anständig bezahlte Festanstellung finden. Wer es geschafft hat, der setzt es nicht wieder aufs Spiel. Er zelebriert die Entspanntheit,«als wäre sie ein Hobby», wie Steffen nörgelt.
Die Hipster-Generation im Mai befindet sich in einem Dilemma, gerade bei uns. Die meisten haben ein harmonisches Verhältnis mit ihren Eltern. Sie haben eine gute Ausbildung genossen, sie haben einen anständig bezahlten Job, und sie leben in Zürich, einer Stadt mit sehr hoher Lebensqualität, wie auch Steffen einräumt.
Im Kultfilm «Der Dritte Mann» sagt der zwielichtige Harry Lime den legendären Satz: «In der Schweiz hatten sie brüderliche Liebe, 500 Jahre Frieden und Demokratie – und was haben sie hervorgebracht? Kuckucksuhren.»
Abgesehen davon, dass Graham Greene wie die meisten Briten nicht wusste, dass Kuckucksuhren nicht aus der Schweiz, sondern aus dem Schwarzwald stammen, trifft er den Nagel auf den Kopf: Es ist sehr viel aufregender, eine bessere Welt erschaffen zu wollen, als darin zu leben. Gönnen wir also den Hipstern vor dem Kosmos ihre «supergesunden, supergerechten, supersorgfältig zubereiteten Produkte» – auch wenn sie nicht ganz billig sind.