Aber trotzdem:
Und schon geht es bei meinen Mitmenschen los: Die Augen rollen im Uhrzeigersinn und es werden mehr Stereotypen-Schemata abgerufen, als wenn Natalie Rickli in Winterthur nach Feierabend über das Afro-Pfingsten-Festival schlendert.
«Prima», denken sich die meisten. «Noch einer, der mir nach der Rückkehr erzählen muss, wie bewusstseinserweiternd diese Erfahrung war.»
Jeder hat so einen Freund oder Freundin. Sie waren ein paar Wochen, vielleicht Monate im Sprachaufenthalt und nehmen ab sofort jedes Thema zum Anlass, um eine weit hergeholte Überleitung zu der neuen Wahlheimat zu schaffen:
Das sind auch die Menschen, die auf ihrem Facebook-Titelbild am Grand Canyon ihre Beine baumeln lassen und jeden Donnerstag zum Vorwand nehmen, ihre Thailand-Fotos noch Jahre nach dem Urlaub zu posten – #throwbackthursday.
Das sind die Menschen, die «Travelling» überall als ihre unsterbliche Leidenschaft angeben und das Gesprächsthema Reisen an einer WG-Party sogar Crossfit und Veganismus vorziehen.
Das sind die Menschen, die DAS von sich geben:
Ich verspürte selbst immer eine grosse Aversion gegenüber diesen Leuten. Es brauchte nur einen Satz und das Interesse am Gegenüber war schneller verschwunden, als Tickets im Adele-Vorverkauf.
Ich konnte keine «North Face»-Taschen mehr sehen. Auf Tinder swipte ich automatisch nach links, wenn ich in der Profilbeschreibung Zitate las wie «Travel is the only thing you buy that makes you richer» oder «The world is a book and if you don’t travel, you read only one page». Und wenn ich so etwas an einer Wohnzimmerwand hängen sah, war das Date sowieso vorbei.
«Backpacken» sagte mir nichts und «Couchsurfing» kannte ich lediglich von den gelegentlichen Nächten auf dem Sofa von Freunden, wenn ich wieder einmal den Nachtbus verpasst hatte.
Ich ging weg. Das erste Mal vor zwei Jahren in die USA. Für fünf Monate. Und was soll ich sagen ...? Das hat mein Leben verändert. Ich habe mich neu verliebt – in das Leben. Es hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ach, shit.
«Bei mir ist es anders, ich werde nicht so» – redete ich mir immer ein. Jetzt hängt in meinem Wohnzimmer eine grosse California-Flagge. Ich bin zu meinem eigenen Klischee geworden. Und jetzt kommt es noch schlimmer: Ich gehe nach Australien. Wenn man Klischee im Wörterbuch nachschlägt, ist da ein Bild von mir. Wie ich am Grand Canyon meine Beine baumeln lasse.
Diesmal möchte ich nicht als Klischee zurückkehren. «Ich werde mich bessern!», sage ich wie ein Student am Sonntagmorgen, der sich schwört, nie wieder einen Gin Tonic anzufassen. Dabei glaube ich mir allerdings etwa nur so sehr, wie wenn ich mal wieder denke «noch eine Folge Walking Dead und dann lerne ich weiter.»
Um meinem Aufenthalt mehr Sinn zu verleihen, erteile ich mir selbst eine Mission.
Das «Schweizer-in-Australien»-Phänomen ist zu einem Klischee geworden. Ob dies seine Berechtigung hat oder es aus reinem Neid von Nicht-Reisenden entstand, möchte ich in den nächsten sechs Monaten herausfinden. Ich gehe «Down Undercover» und finde heraus, was alles noch dahinter steckt neben dem, was man aus dem Facebook-Feed des halben Freundeskreises kennt. Ich will aufdecken, wie sich all die «Evelines» da unten wirklich verhalten.
Getarnt als Austauschstudent zieht ein kleiner (1.88 cm) Junge (26 J) los, wie damals Kevin allein in New York, um Antworten auf Fragen zu finden, von denen sich die meisten selbst erst unterwegs stellen werden – über meine Abenteuer berichte ich dann wöchentlich auf mint. Wie ein richtiger Journalist! Jeden Freitag! Lest also immer schön mit, gell. Und wenn wir schon beim Thema sind: