Placebo statt Abnehmspritze – wieso das funktioniert
Pillen ohne Wirkstoff, Operationen, die gar nicht durchgeführt werden, Behandlungsgeräte, die ausgeschaltet sind – und doch werden Patientinnen und Patienten geheilt. Dass Scheinbehandlungen funktionieren, ist gut belegt, etwa bei Schmerzen, Allergien oder psychischen Erkrankungen. Sie aktivieren die Selbstheilungskräfte des Körpers, indem die positive Erwartungshaltung eine Kaskade im Gehirn auslöst, was unter anderem die Ausschüttung bestimmter Hormone ankurbeln kann. Weniger bekannt ist aber, dass Placebos auch beim Essen wirken.
Eine verblüffende Studie hierzu veröffentlichte die amerikanische Psychologin Alia Crum, Leiterin des Stanford Mind and Body Lab, vor einigen Jahren. Sie liess knapp 50 Personen zweimal denselben Milchshake trinken, einmal unter dem Vorwand, es handelte sich um eine kalorienreiche «Genuss»-Version, einmal um eine kalorienarme «Light»-Variante. Währenddessen wurde das appetitregulierende Hormon Ghrelin gemessen, im Volksmund auch Hungerhormon genannt.
Ergebnis: Bei der vermeintlichen Kalorienbombe sank der Ghrelinspiegel deutlich stärker und die Teilnehmenden fühlten sich deutlich satter als beim anderen Shake, obwohl beide Getränke identisch waren. Crums Schlussfolgerung: Beim Sättigungsgefühl zählt nicht nur der Magen, sondern auch der Kopf.
Mehr Kalorienverbrennen dank Placebo
Eine weitere Studie von Crum und ihrer Kollegin Ellen Langer kam ebenfalls zu überraschenden Ergebnissen. Die beiden wollten wissen, ob der blosse Glaube daran, während einer Tätigkeit besonders viele Kalorien zu verbrennen, den Körper tatsächlich beeinflusst. Dafür rekrutierten sie Reinigungskräfte in sieben Hotels. In vier Hotels erhielten die Frauen Informationen darüber, wie viele Kalorien sie etwa beim Badputzen verbrauchen, ergänzt durch ein Plakat mit den gesundheitlichen Vorteilen ihrer Arbeit. In den anderen drei Hotels unterblieb diese Aufklärung.
In den folgenden vier Wochen nahmen die Frauen in den informierten Hotels im Schnitt ein Kilo ab. Ihr Körperfettanteil sank, ebenso der Blutdruck. Und das, obwohl sich an ihrem Alltag objektiv nichts verändert hatte. Sie machten also gleich viel Sport wie vorher und assen dasselbe wie zuvor. Die Reinigungskräfte in den anderen Hotels nahmen weder ab, noch änderten sich ihre Blutwerte. Offenbar kann man also tatsächlich allein durch Täuschung des Geistes die Pfunde purzeln lassen.
Die klinische Psychologin Anne Schienle von der Universität Graz beschäftigt sich seit langer Zeit mit Placebos. Sie sagt:
Um dieses Dilemma zu umgehen, wurde in den vergangenen Jahren ein neues Konzept erprobt: dasjenige von offenen Placebos, bei denen offen kommuniziert wird, dass es sich um wirkstofffreie Präparate handelt.
Weniger Lust auf ungesundes Essen
Schienle untersucht in einem Forschungsprojekt, ob es übergewichtigen Kindern und Jugendlichen mit einem solchen offenen Placebo gelingt, ihren Appetit besser zu regulieren. Dafür bekamen sie einen Mundspray mit lediglich blau gefärbtem Wasser drin, den sie sich selbst verabreichten. Ihnen wurde gesagt, dass das Spray keinerlei Wirkstoff enthält. Gleichzeitig wurden sie aber über die wissenschaftlich erwiesene Wirkung von Placebos aufgeklärt. Diese Aufklärung verstärkt nachweislich den Effekt. Eine Kontrollgruppe erhielt kein Spray. Danach wurden den jungen Leuten Bilder von leckeren Lebensmitteln gezeigt – Cookies, Donuts, Brownies, aber auch Trauben, Bananen und Erdbeeren.
Ergebnis: Die Kinder aus der Placebo-Gruppe berichteten von weniger «Gluscht», den sie bei den hochkalorischen Süssigkeiten verspürten. Bei den Jugendlichen hingegen zeigte sich kein Effekt. «Man weiss, dass Kinder grundsätzlich besser auf Placebos ansprechen», erklärt Schienle. Nicht, weil sie es nicht «tscheggen» würden, sondern weil sie oft einen offeneren und neugierigeren Geist hätten.
Doch lässt sich diese Selbstauskunft der Kinder auch auf alltägliche Essens- und Naschsituationen übertragen? Schienle ist optimistisch. Ein Kollege an ihrem Institut führte eine sogenannte Buffet-Studie mit Studierenden durch: Nachdem eine Gruppe von Teilnehmenden ein offenes Placebo erhalten hatte, wurde ihr sowie einer Kontrollgruppe eine Auswahl von gesunden und ungesunden Speisen auf einem Tisch präsentiert. Währenddessen erfasste eine Eye-Tracking-Brille die Blickbewegungen, dann wurde geschaut, zu welchen Lebensmitteln sie griffen. Auch hier zeigte sich: Das offene Placebo schien die Lust auf süsse Speisen zu mindern. Eine solche Studie plant Schienle nun auch mit Kindern und Jugendlichen.
Ein Abnehmexperiment mit offenen Placebos führte kürzlich auch eine Forschungsgruppe aus Berlin um den Neuropsychologen Michael Schaefer durch: In einer vierwöchigen Studie teilten sie 57 übergewichtige Personen in zwei Gruppen ein. Beide Gruppen sollten Sport treiben und sich kalorienärmer ernähren, während die eine Gruppe zusätzlich zweimal täglich eine als Placebo deklarierte Pille erhielt. Resultat: Die Placebo-Gruppe nahm im Durchschnitt mehr Gewicht ab als die Vergleichsgruppe (2,2 kg gegenüber 1,3 kg). Zudem berichteten sie über weniger Hungergefühle.
Abnehmen ohne Nebenwirkung
Bisherige Ergebnisse zeigen jedoch auch: Placeboeffekte wirken individuell sehr unterschiedlich. «Bei manchen funktioniert das, bei anderen nicht», sagt Schienle. Deshalb untersucht ihr Team auch Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale, die das beeinflussen können. Eine Erkenntnis: Menschen mit einer positiven Haltung gegenüber komplementärmedizinischen Verfahren scheinen empfänglicher für Placebos zu sein.
Ein Anwendungsfeld von offenen Placebos sieht Schienle ausserdem darin, die Dosis von Medikamenten wie Appetitzüglern schrittweise zu reduzieren. Die Präparate wirken zwar zuverlässig und lassen die Pfunde purzeln, doch nach dem Absetzen kehrt das Gewicht meist zurück. Gäbe man stattdessen zusätzlich ein Placebo, liesse sich dieser Jojo-Effekt womöglich etwas abmildern. «Das wäre ja ideal», so Schienle: «Wir hätten etwas ohne Nebenwirkungen, aber immer noch mit spürbarer Wirkung.»
