Taylor Swift kommt, und – boom! – eine Stadt steht Kopf. Etwa so stellt man sich den Effekt, den die Sängerin mit ihrer Welttournee auf die Stationen hat, vor. Ein Zwischenhalt in Sydney im Rahmen meiner Nachtschicht für watson hat gezeigt: Es ist genau so, wie man sich das vorstellt. Und doch irgendwie anders.
Fünf Dinge, die Europa – und damit auch Zürich – ab dem Frühsommer erwarten. Dann nämlich macht Taylor Swift zum ersten Mal auf ihrer «The Eras Tour» Halt auf dem Alten Kontinent. Im Letzigrund tritt Swift am 9. und 10. Juli auf.
«It's me, hi, I'm the problem, it's me» – so lautet der Refrain eines der grössten Taylor-Swift-Hits («Antihero»). Es war auch die Antwort auf meine Frage: Wieso ist Übernachten in Sydney eigentlich so verdammt teuer?
Das Problem ist Taylor Swift: Exakt während meiner Woche in Sydney gibt der grösste Popstar der heutigen Zeit vier (!) Konzerte. Für die erste Wochenhälfte musste darum die letzte Option, die es noch gab, herhalten: ein Flughafenhotelzimmer.
Logisch, irgendwo müssen ja die viermal über 80'000 Swifties, die jeden Abend ins Accor Stadium in Sydney strömen, auch übernachten. Aber nicht nur das: Sie werden auch essen, shoppen, den ÖV benutzen. In Aussicht darauf löste Taylor Swift in Australien, wo man diesbezüglich erst seit Kurzem wieder aufatmet, regelrecht wiederkehrende Inflationsängste aus. Im Bundesstaat New South Wales wird erwartet, dass Taylor Swift durch ihre Anwesenheit in Sydney etwa 136 Millionen australische Dollar (ca. 79 Millionen Schweizer Franken) an Mehreinnahmen generiert haben wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass Taylor Swift die offiziellen Inflationszahlen beeinflusst.
Der Taylor-Swift-Inflationseffekt werde allerdings in den meisten Fällen überschätzt, sagen immer mehr Analysten. Swifties würden ihr Geld, das sie in diesen Tagen ausgeben, einfach woanders vorher sparen. Und: Die 136 Millionen Dollar seien in etwa gleich viel, wie das Australian-Open-Tennisturnier in Melbourne jedes Jahr generiere, schrieb dazu eine Finanzanalystin – also kein Grund zur Sorge.
In Zürich dürfte die Inflation nicht das grösste Problem sein. Es ist eh schon alles teuer. Der Platz und die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten im vergleichsweise kleinen Zürich hingegen schon. Gemäss Medienberichten erlebt die 5,3-Millionen-Metropole Sydney gerade Rekordzahlen in der Hotellerie, ganze Hotels sind komplett ausgebucht. Und bei Airbnb sollen Buchungen von Unterkünften gecancelt worden sein – die später zu einem viel höheren Preis wieder aufgeschaltet wurden. Insgesamt waren die Airbnb-Preise bis zu 16-mal höher als normalerweise.
Ob im Flugzeug, in der S-Bahn, im Birkenstock-Laden, in der Hotel-Lobby oder auf der Strasse: Taylor-Swift-Fans sind überall. Sie sind gut erkennbar am Swift-Hoodie oder -Shirt und sie strömen aus ganz Australien, aber auch Asien, insbesondere Indonesien, nach Sydney. Und aus dem «benachbarten» Neuseeland, wo Monate im Voraus für diese Woche bereits Extraflüge organisiert wurden.
Die Flugbegleiterinnen auf unserem Flug vom neuseeländischen Christchurch nach Sydney waren denn auch ganz verzückt, als sie die Swifties in den hintersten Reihen entdeckt hatten; es gab Polaroid-Fotos und viele gute Wünsche.
Swifties – die Mitglieder der wohl grössten und stärksten Fangemeinde eines Popstars sind offenbar fast schon so berühmt wie ihr Idol selber.
Aber nicht nur das. Auch vor Taylor Swifts Songs gibt es kein Entkommen, sie werden überall gespielt: im Flugzeug, am Flughafen, im Birkenstock-Laden, aus den Handys in der S-Bahn, in der Hotel-Lobby. Kein Witz.
Die 34-Jährige ist bekannt dafür, sich bisweilen so «normal wie möglich» verhalten zu wollen. Dazu gehört auch, dass sie mit ihrer Freundin und dem Vor-Act ihrer Konzerte, Sabrina Carpenter, zum Italiener essen geht. Ohne Voranmeldung, natürlich. Dass dies – wie vor ein paar Tagen in Sydney geschehen – den Laden vollkommen sprengt und Heerscharen von Swifties anzieht – geschenkt.
Auch Swift's Boyfriend, NFL-Superstar Travis Kelce, kam für zwei Tage nach Sydney. Die beiden gingen, wie ein normales Paar eben, in den zentral gelegenen Zoo. Das einzig Spezielle (neben der Tatsache, dass in dieser Zeit wohl niemand sonst in den Zoo durfte) war, dass Swift zweimal dort war. Das veranlasste die hiesigen Medien gleich zu einer langen Erörterung (oder: «investigation») rund um die Frage: Wieso geht der Superstar gleich zweimal in den gleichen Zoo – und dann erst in den nur zweitbesten in Sydney???
Gut möglich also, dass Taylor Swift sehr gerne Tiere mag und sich einfach öfters in Zoos entspannt – und dass sie im Juli auch den Zoo Zürich «mieten» wird. Oder in einer Beiz diniert an der Limmat oder im Niederdorf. Mit einer Horde Swifties im Schlepptau.
Nun gehört zu einem Augenschein eigentlich auch das Herzstück, ein Konzertbesuch. Aber an Tickets von Taylor Swift heranzukommen, konnte man vergessen. Die offiziellen Ticketpreise waren zwar nicht astronomisch – die Tickets kosteten hier zwischen 80 und ein paar Hundert Dollar (etwa 50 Franken aufwärts). Eine andere Frage ist hingegen die der Beschaffung und die Strapazen, die Swift-Fans bekanntlich auf sich nahmen, um schon nur in die Nähe eines Tickets zu kommen.
Ein Besuch des Konzertareals liegt hingegen gut drin. Und es stellt sich heraus: Bei Taylor-Swift-Konzerten ist vor dem Stadion fast so gut wie im Stadion.
Rund um das Accor Stadium ausserhalb von Sydney hat sich nämlich eine Art eigenes Festival gebildet. Junge Menschen – viele Mädchen, aber auch überraschend viele Jungs – stehen hinter einem Absperrband wie vor einer Bühne und singen lauthals mit. Eltern mit ihren Kindern und sogar ältere Paare sitzen am Boden, einige mit Picknick-Decke, andere mit Camping-Stühlen, und lauschen dem Konzert. (Sehen tut man selbstverständlich nichts.)
Australische Medien sprechen in den Tagen darauf von mehreren Tausend Menschen, die sich an jedem Konzertabend vor dem Stadion versammeln.
Viele tragen Glitzer und in Anlehnung an Swifts Country-Vergangenheit Cowboy-Stiefel und -Hüte, einige haben die Taschen mit Taylor-Swift-Fanartikeln gefüllt, und wirklich alle singen mit. Nicht nur das, sie kennen jeden der Songs Wort für Wort auswendig. Die Swifties liegen sich in den Armen, tauschen Freundschaftsbändeli aus (ein Swifties-Ritual) und schreien «Fuck the Patriarchy!», wenn es Taylor Swift im Stadion vormacht. Und wenn der Popstar singt: «he knelt to the ground and pulled out a ring», fallen Gruppen von Mädchen buchstäblich auf die Knie. Wird ein neues Lied angestimmt, gibt es meist ein Gekreische, und immer wieder fragen sich die Menschen: Hat sie die «Surprise Songs» schon gespielt?
44 Lieder gibt Taylor Swift innerhalb von fast dreieinhalb Stunden (!) zum Besten, in zehn verschiedenen Outfits, welche ihre zehn Alben – oder «Ären» – repräsentieren sollen. Hinzu kommen jeweils die zwei «Surprise Songs», ein akustisches Set, bei dem Swift selber Klavier oder Gitarre spielt.
Die meisten Menschen vor dem Stadion konnten keine Tickets ergattern. Andere hatten hingegen schlicht noch nicht genug, sie sind erkennbar am leuchtenden Bändeli, das Konzertgängerinnen erhalten und das Teil der Swift-Choreo ist. So wie Felicity und ihre Tochter aus Canberra: Sie seien am Tag zuvor am Konzert gewesen, erzählt sie. Aber ihre Tochter wollte heute wiederkommen. Und wie war das Konzert? «Everything I wished for and more», sagt Felicity und muss sich gleich darauf entschuldigen – ihr Lieblingslied wird angestimmt.
Es ist eine spezielle Stimmung, in die Sydney dieser Tage getaucht wird. Als Nicht-Fan ist es schwer nachvollziehbar, wie ein einziger Mensch einen so gigantischen Einfluss auf Millionen weltweit haben kann. (Die Frage nach dem Warum würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, dazu nur so viel: Dieser neuseeländische Journalist hat es versucht.)
Und gleichzeitig muss man feststellen: Es ist eine wunderbare Stimmung, die entsteht, wenn Frauen und Mädchen für ein paar Tage eine Stadt übernehmen. Egal, wen und wo man fragt, in Sydney ist man sich einig: Die Menschen sind so lieb zueinander. Alle sind happy, zufrieden und gehen rücksichtsvoll miteinander um.
Auf dem Gelände vor dem Accor Stadium geht die Geschichte eines Lokführers in Melbourne, wo Taylor Swift zuvor die drei grössten Auftritte ihrer Karriere hatte, herum. Der Mann fuhr die Fans vom Stadion zurück in die Stadt und soll die Zugfahrt seines Lebens gehabt haben, so gerührt sei er von der einmaligen Stimmung gewesen.
Das ist angesichts der schieren Masse an Menschen, die aufeinandertreffen, nicht selbstverständlich. Und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie anders die Stimmung wäre, wenn das hier zum Beispiel ein Fussballmatch wäre. Ansteckend, auf jeden Fall. Aber schon nur der Alkoholkonsum hätte definitiv nicht zur Folge, dass sich alle bedingungslos lieb haben.
Apropos: Alkohol ist hier Fehlanzeige, es herrscht striktes Alkoholverbot vor dem Stadion. Das härteste, was man kriegt, ist eine Cola-Zero. Aber selbst abgesehen davon erhält man den Eindruck, dass Alkohol auch dann kaum konsumiert würde, wenn er erlaubt wäre. Und etwas beschämt stellt man sich als Mensch der Generation Y, aufgewachsen mit Besäufnissen an Festivals, die Frage: Wie zur Hölle kann man sich fast vier Stunden, oder gar ganze Tage, so freudetaumelnd-enthusiastisch die Seele aus dem Leib singen – völlig nüchtern?
Und doch, inmitten der Mädchen, Frauen, Jungs, Eltern und Kleinkinder, die singen und tanzen, wird man plötzlich angesteckt mit einem wohligen Gefühl. Denn hier ist alles gut, die gesamte Menschheit, so scheint es, hat sich lieb, und die Welt ist in Ordnung und eine einzige Bühne für violette und rosarote Träume. Es fliessen buchstäblich die Tränen vor lauter Glückseligkeit, und völlig fremde Leute liegen sich in den Armen. Irgendwie komisch, irgendwie schön.
Also, Zürich, du musst keine Angst vor dem Taylor-Swift-Wahnsinn haben. Du kannst dich freuen.