Neil Gaiman zählt zu den erfolgreichsten Autoren, seine Werke werden als Vorlage für Filme, Serien und Theaterstücke verwendet. Darunter etwa «Good Omens», «American Gods», «The Sandman», «Stardust», «The Ocean at the End of the Lane» und «Coraline». 2015 wurde Gaiman in die Science Fiction and Fantasy Hall of Fame aufgenommen.
Doch sein Erfolg könnte ein jähes Ende haben: Vergangenen Sommer sind mehrere Frauen an die Öffentlichkeit und beschuldigten Gaiman seine Machtposition ausgenutzt und sie sexuell genötigt zu haben. Nun folgen weitere Anschuldigungen mutmasslicher Opfer.
In einer Titelstory des «Vulture»-Magazins, der Popkultur-Rubrik des «New York Magazine», wurden nun insgesamt acht Interviews von Frauen publiziert, die Gaiman schwere Vorwürfe machen. Eine davon hat nach eigenen Aussagen eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnet.
Diese Frau soll von Februar 2022 an in Neuseeland als Babysitterin für Gaiman gearbeitet haben. Sie behauptet, von ihm in Anwesenheit seines Kindes in einem Hotelzimmer bedrängt worden zu sein. Zudem habe Gaiman sich bereits an ihrem ersten Arbeitstag ihr gegenüber übergriffig verhalten, sei unaufgefordert zu ihr in eine Badewanne gestiegen und habe «sexuelle Handlungen vorgenommen».
In dem Artikel des «Vulture»-Magazins wird auch von sexuellen Handlungen berichtet, die teils einvernehmlich in einem BDSM-Kontext geschehen seien. In diesem Rahmen soll Gaiman jedoch ebenfalls Grenzen und das Wort «Nein» ignoriert haben. Das Medium überprüfte in seinen Recherchen Kurznachrichten und E-Mails der Frauen und von Gaiman selbst.
Die ersten Anschuldigungen gegen den Autor waren im Juli 2024 im Rahmen eines vierteiligen Podcasts von Tortoise Media aufgekommen. Gaimans Vertreter hatten die Vorwürfe gegen ihn auf Nachfrage des US-Mediums zurückgewiesen. Dass «sexuelle Erniedrigung, Fesselung, Dominanz, Sadismus und Masochismus vielleicht nicht jedermanns Geschmack sind, aber zwischen einwilligenden Erwachsenen ist BDSM legal», heisst es in der Stellungnahme.
Nach den neusten Vorwürfen erklärt Gaiman, er habe sich «niemals auf nicht einvernehmliche sexuelle Aktivitäten mit jemandem eingelassen. Niemals»
Der 64-Jährige sagt in einem Blogbeitrag mit dem Titel «Breaking The Silence», er habe die Anschuldigungen mit «Entsetzen und Bestürzung» gelesen. Er schreibt:
Er fährt fort, dass er immer versucht habe, ein privater Mensch zu sein, und die sozialen Medien der falsche Ort seien, um über wichtige persönliche Angelegenheiten zu sprechen. «Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich das Gefühl habe, dass ich etwas sagen sollte.»
Und weiter:
Der britische Autor sagt, er habe Textnachrichten aus der Zeit der angeblichen Vorfälle gelesen und sei der Meinung, dass es sich um «zwei Menschen handelte, die eine völlig einvernehmliche sexuelle Beziehung führten»:
Er räumt ein, dass er «unvorsichtig mit den Herzen und Gefühlen der Menschen» umgegangen sei und «so viel besser hätte machen können», sagte aber, dass er «nicht akzeptiere, dass es einen Missbrauch gab».
Die Vorwürfe betreffen mehrere Film- und Serienprojekte von Gaiman. So wird die dritte Staffel von «Good Omens» mit David Tennant und Michael Sheen nun lediglich aus einer 90-minütigen Folge bestehen, an der Gaiman nicht mehr beteiligt ist.
Disney hat die Produktion der Verfilmung eines anderen Gaiman-Titels, «The Graveyard Book», pausiert, während Netflix die Serie «Dead Boy Detectives» eingestellt hat, obwohl bei Letzterem nicht klar ist, ob dies mit den Vorwürfen zusammenhängt.
Die zweite Staffel von «The Sandman» soll jedoch noch in diesem Jahr auf Netflix erscheinen, ebenso wie die Serienadaption von «Anansi Boys» auf Prime Video.
Gaimans Werke sind beliebt unter Fantasy-Fans – dementsprechend gross ist auch die Entrüstung. In der «Fandom» ist klar: Den Frauen wird geglaubt, kein wenn und aber.
Auch wenn der Autor sagt, er werde sein «Bestes tun, um das Vertrauen meiner Leser zu verdienen», scheint dies bereits zu spät zu sein.
Online teilen Menschen ihre Enttäuschung. Gaiman hat jahrzehntelang Welten und Figuren kreiert, die für viele ein Zufluchtsort waren. Nach den aktuellen Ereignissen waren Vergleiche zu J. K. Rowling nicht weit.
Besonders enttäuschend ist für viele, dass Gaiman immer als sehr einfühlsam und progressiv rübergekommen ist. So war er eine der ersten Autoren, der bereits vor Jahrzehnten ganz selbstverständlich queere Charaktere in seinen Geschichten einbaute und sich nicht an schädlichen Stereotypen bediente.
Manche Leserinnen und Leser entscheiden sich nun dazu, ihre Gaiman-Bücher ins Brocki zu bringen.
Auch einzelne Bücherläden ziehen mit. Ein Bücherladen in den USA kündigt an, dass sie das Geld, das sie mit den restlichen Gaiman-Büchern verdienen, an eine feministische Organisation spenden werden.
Gaiman schreibt in seiner Stellungnahme, dass er Verantwortung für seine Fehler übernehmen wird – wie dies aussehen wird, ist allerdings nicht klar.
Im Januar 2023 wurde ein Polizeibericht erstellt, in dem Gaiman eines sexuellen Übergriffs beschuldigt wurde, aber die Ermittlungen wurden schliesslich eingestellt.
Ob die neuen Anschuldigungen rechtliche Folgen haben werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.
Läuft ein Prozess?
Nein?
Also nicht relevant.