Es sind mit die grössten Fragen der Menschheit: Wer hat ein Recht darauf, ein Kind zu kriegen? Wer eignet sich? Ist verantwortungsbewusst genug? Kann dem Kind Liebe, Sicherheit, Werte und vielleicht noch einen Mindestkomfort bieten? Wer ist überhaupt fähig, ein Kind auf die Welt vorzubereiten, in der es in Zukunft leben könnte? Ist es überhaupt noch verantwortbar, ein Kind in diese Welt zu setzen? Je länger man diese Fragen betrachtet, desto schwieriger werden die Antworten. Desto weniger Brüt- und Brutwillige bestünden eine Eignungsprüfung. Würden durch die Raster jener Bewertung fallen, die im Human-Relations-Bereich «Assessment» heisst.
Es sind Fragen, die sich die französische Regisseurin Fleur Fortuné gestellt hat, als sie jahrelang vergeblich versuchte, schwanger zu werden. Irgendwann wurden die Antworten zu düster. Und Fleur Fortuné, die lange Videoclips für Tricky, Drake, Skrillex oder Lykke Li und Werbespots für Chanel und Armani gedreht hatte, wusste, dass sie einem äusserst verstörenden Thema auf der Spur war. Als ihr das Drehbuch zu «The Assessment» angeboten wurde, schlug sie sofort ein: Hier war ein Science-Fiction-Plot mit all ihren Fragen und Ängsten.
Man kann von «The Assessment» nun leider wirklich fast nichts erzählen, ohne eine wahre Kettenreaktion an Spoilern auszulösen, derart dicht ist alles in sich verwoben und derart viel Spannung würde man damit vorab zerstören. Aber wenigstens dies:
Wir sind in einer Zukunft, die unserer nicht allzu weit vorausliegt. Die Welt ist in zwei Sphären gespalten, eine privilegierte und eine unprivilegierte, ist eine grosse Wüste. Eine winzige Elite lebt nach der grossen Klimakatastrophe in einem abgeschotteten Gebiet, bewohnt wunderschöne Häuser, in denen es an nichts mangelt, die anderen leben ausserhalb in bitterer Armut.
Zur Elite gehören Mia (Elizabeth Olsen) und Aarayan (Himesh Patel), ein ideales Paar in einem Haus, das einem Mondrian-Gemälde nachempfunden ist. Er entwickelt virtuelle Organismen auf der Schwelle zur Realität, fast lebensechte Haustiere und Babys, sie züchtet in einem Gewächshaus Pflanzen, die eigentlich bereits ausgestorben sind. Und die beiden wollen Eltern werden.
Dafür werden sie sieben Tage lang einem Assessment unterzogen. Testerin Virginia (Alicia Vikander) nistet sich dafür in ihrem Haus und dem hintersten, intimsten Winkel ihres Lebens ein, es gibt nichts, was sie nicht einer Prüfung unterzieht. Und allmählich verwandelt sie sich, changiert zwischen der erwachsenen Frau, die sie ist, und dem Kind, das die beiden gerne hätten.
Die Filmkomponistin Emilie Levianaise Farrouch hat einen Soundtrack geschrieben, der klingt wie eine gespenstische Liturgie, sie ist sich das mit den Gespenster-Beziehungen schliesslich gewöhnt, sie hat bereits die Filmmusik für «All of Us Stragers» komponiert.
Zusammen mit der vulkanisch kargen und klaren Landschaftskulisse, mit den Räumen und ästhetischen Visionen, die ganz klar aus Fleur Fortunés Arbeiten für Musikvideoclips stammen, entsteht so etwas Ungewöhnliches, Unheimliches, Unerwartetes. Bis in die letzte Einstellung hinein lauern Überraschungen und keine davon ist gut. Olsen, Patel und Vikander sind grossartig in diesem dystopischen Kammerspiel, diesem nuancierten Psychotrip, sind wie eine Milliarde von feinen, gelegentlich Hoffnung machenden, aber grundsätzlich grausamen Farben in einer entfärbten Welt.
Es fühlt sich beim Zuschauen ein wenig an, als würde man lebendig zu Grabe getragen und möchte sich dagegen gar nicht erst wehren. Weil man so was wie diesen Film noch nie gesehen hat.
PS: Fleur Fortuné hat sich die schweren Fragen irgendwann nicht mehr gestellt und sich in der Arbeit an ihrem Film verloren. Und mittendrin ihre erste Tochter geboren.
«The Assessment» läuft ab dem 10. April im Kino.
Michael Faraday, Sohn eines Schmieds, wuchs in extremer Armut auf
Gregor Mendel, Sohn armer Bauern
Carl Friedrich Gauß, kam aus sehr armen Verhältnissen
Nikola Tesla, geboren in einer armen Familie
Johannes Kepler, aus einer mittellosen Familie, sein Vater war Söldner
Marie Curie, geboren in einfachen Verhältnissen
Richard Feynman, arbeitete sich aus einer einfachen, nicht-akademischen Familie hoch
Barbara McClintock, keine wohlhabende Familie
Die Welt würde noch dümmer...
Eine einfache und pauschalisierende Antwort:
Definitiv nicht alle, die auch Kinder haben und weniger als die, die denken fähig zu sein.