Viel saftige Unterhaltungskunst ist aus christlichen Kontexten schon geboren worden: Da Vinci, Michelangelo, Raffael, «Quo Vadis», «Der Exorzist», «Die Dornenvögel», «Conclave» ... Aus katholischen Kontexten, um genau zu sein. Bunte, opulente Erzählungen mit viel Lust an der Sünde in all ihren Entfaltungsmöglichkeiten. Und an ihrer Bestrafung.
Ganz anders sehen dies christliche Streaming-Anbieter. Sie tragen Namen wie Hallmark Channel, Pure Flix oder New Faith Network und liefern saubere Inhalte für saubere Seelen. Nichts mit Gewalt – es sei denn in biblischen Zusammenhängen – oder stressiger Action. Sex geht gar nicht. Fantasy und Fluchen eh nicht. Katholische Völlerei auch nicht. Hier herrscht anständiger Protestantismus.
Hallmark gehört dem gleichnamigen Grusskarten- und Partybedarfs-Riesen, wird in den USA von 70 Millionen Haushalten abonniert (Netflix von 67 Millionen) und macht, etwas verkürzt gesagt, nichts anderes, als das ganze Jahr über Weihnachtsfilme zu produzieren, einzukaufen und zu zeigen. Sie sind dabei nicht explizit oder gar aufdringlich christlich, verkörpern aber zuverlässig christliche Werte; heterosexuelle Paarungen und Familienbildungen sind unerlässlich. Die Qualität ist immerhin Mittelklasse, der Kitschfaktor überbordend. Hallmark ist die Messlatte.
Alles andere ist schlimmer. Viel, viel schlimmer.
Betrachten wir doch einmal das brandneue christliche Streaming-Angebot für die Schweiz. Es kommt vom holländischen New Faith Network (NFN), gegründet 2017, heute aktiv in den Benelux-Staaten, aber auch in Grossbritannien, Irland, Australien, Neuseeland, Schweden, Norwegen und jetzt neu in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 150'000 Haushalte sollen den Streamer nach aktuellen Angaben bis jetzt abonniert haben. Im Logo ist ein winziger Kompass zu sehen, er soll dem Publikum wohl den richtigen Weg himmelwärts weisen.
Die Mission von NFN formuliert Chefredaktor Machiel Copier im Newsletter so: «Ein wichtiger Unterschied zu anderen Streamingdiensten wie Netflix ist, dass alle unsere Filme und Serien den christlichen Normen entsprechen. Wir prüfen alles anhand klarer Kriterien: keine Nacktheit oder Schimpfwörter zum Beispiel. So können Christ*innen wirklich entspannen und einen Film geniessen, ohne Angst zu haben, auf etwas zu stossen, das nicht mit ihrem Glauben übereinstimmt.» Geprüft werden die Inhalte unter anderem von einer Gruppe von Pfarrern.
In der Schweiz kostet NFN 19.95 Franken im Monat oder 99 Franken im Jahr, Letzteres wird beworben mit: «Sparen Sie 140 Franken». In Deutschland und Österreich bezahlt man 9.95 Euro im Monat und 59 Euro im Jahr. Macht beim aktuellen Wechselkurs 9.20 Franken im Monat und 54.75 Franken im Jahr. Aber die Schweiz hält man bekanntlich für reich und doof.
Für wie doof NFN uns hält, zeigt sich, wenn man sich das Angebot genauer anschaut: Es gibt, wie bei jedem Streamer, verschiedene Kategorien, deren Inhalte sich immer wieder überschneiden. Wählen kann man zwischen «christliche Filme», «Filme für die ganze Familie», «Christliche Kinderfilme», «Christliche Weihnachtsfilme» (gibt es auch unchristliche Weihnachtsfilme?), «Amisch Filme», «Christliche Serien», «Familienserien», «Dramaserie», «Romantische Filme», «Dramenfilme», «Christliche Dokumentarfilme» und – das Highlight – «Pferdefilme» (ganz streng genommen sollte es «Eselfilme» geben, schliesslich war Jesus nie ein Rösslibub).
In vielen Kategorien sind viele Filme in der Schweiz nicht konsumierbar. Von den Pferdefilmen können wir hier gerade mal einen von 20 sehen, von den Kinderfilmen keinen von 22, von den christlichen Serien keine von 35, den Familienserien keine von 24 und ebenfalls keine von 12 Dramaserien. Von 411 aufgelisteten Filmen und Serien sind aktuell in der Schweiz magere 82 überhaupt zugänglich. Und die Überschneidungen sind davon noch nicht abgerechnet.
Doch auch wer eine Serie schauen kann, erlebt so seine Überraschungen: Aufgelistet werden nämlich nicht eine oder mehrere Staffeln beinhaltende Titel, sondern bloss einzelne Folgen. Und was nicht passt, wird passend gemacht. «Unsere kleine Farm» etwa, die man sich tiptop auf NFN vorstellen kann, ist dann insgesamt doch zu – zu was eigentlich? Zu freizügig? Zu gewalttätig? Auf NFN geschafft hat es davon jedenfalls bloss das dreiteilige «Thanksgiving Special» (bei uns nicht zu sehen).
NFN will sich weder als protestantisch noch als katholisch definieren, einfach als christlich (alle anderen, etwa jüdische Figuren, werden als «Atheisten» beschrieben), doch da es seine Inhalte fast ausschliesslich aus den USA importiert, ist die konfessionelle Orientierung klar.
Frauen heissen nicht Maria wie bei den Katholiken, sondern häufig Grace, also Gnade oder Anmut. Wer gefallen ist (das schlimmste Vergehen ist Alkoholismus), wird nicht bestraft, sondern geläutert. Hier braucht man überhaupt keine Triggerwarnung. Nichtweisse Menschen sind willkommen, aber lieber in Nebenrollen. Queere Menschen findet man ... gar nicht? Oder wie Henk Bout, der CEO von NFN, in einem Interview formulierte: «Wir sind der Meinung, dass Diskussionen über Abtreibung und Homo-Ehe in den örtlichen Kirchen mit den Pfarrern geführt werden sollten.» Nicht auf NFN.
Und wie steht es um die Qualität des Angebots? Erfüllt es auch andere als christliche Ansprüche? Kreative? Schauspielerische gar? Gibt es da bekannte Regisseure und Regisseurinnen? Hmmm ... Nein. Halt! Doch! Erstens gibt's einen «Bob der Baumeister»-Film für Kinder (nicht in der Schweiz), zweitens immerhin eine Romanze mit Jennifer Beals. Sie heisst «My Name Is Sarah» und Beals spielt eine zurückgezogen lebende, konservative Verlagslektorin, die sich als Alkoholikerin ausgibt, weil sie bei den von einem ehemaligen Priester geleiteten AA-Treffen die grosse Liebe zu finden hofft, was sie auch tut.
Sonst glaubt man, mehrheitlich Laiendarstellern beim hölzigen, aber gewiss gottgefälligen Spiel zuzuschauen. In «I Believe» etwa versucht ein kleiner Junge, den skeptischen Erwachsenen beizubringen, dass Gott nun mal einfach Wunder vollbringt. Überhaupt werden immerzu viele vom Glauben Abgefallene diesem wieder zugeführt.
Wer sich für detailliertere Analysen der auf NFN gezeigten Filme interessiert, wird auf der Seite dove.org fündig. Da wird tabellarisch von 1 bis 5 erfasst, wie gut oder schlimm es um Glauben, Sex, Gewalt, Sprache, Drogen, Nacktheit und Integrität steht.
«I Believe» erreicht die Höchstmarke in den Kategorien Glauben und Integrität. «My Name Is Sarah» kriegt nur eine 1 in Glauben und eine nachdenkliche 2 in Sex mit der Begründung: «Küssen zwischen Charlie und Sarah mit leichtem Befummeln, bevor sie ihn aufhält, Sarah bestellt einen BH bei einem Unternehmen für sexy Dessous im Internet (die Szene zeigt eine Frau in einem Spitzen-BH auf der Website).» Tja, nicht umsonst waren die Dessous-Strecken der Versandhauskataloge früher so was wie die Playboymagazine der Provinz ...
Prototypisch für die NFN-Kultur steht der Pferdefilm «Hearts & Horses». Er wird so beworben: «Ein Mann wird in die Vaterschaft geworfen, als seine Tochter, von der er nicht wusste, dass er sie hatte, auf seiner Apfelplantage abgegeben wird. Nach 16 Jahren werden das Mädchen und ihr Vater versuchen, eine Beziehung aufzubauen. Mit Liebe und einem Pferd haben sie vielleicht eine Chance.» Und ob!
Die Regisseurin von «Hearts & Horses» heisst Ashley Hays Wright. Sie spielt auch die neue Frau des Vaters, der von seiner Tochter nichts wusste. Der Vater wird von David Owen Wright gespielt. Er ist mit der Regisseurin verheiratet. Die Tochter-Darstellerin heisst Scout Wright und ist im echten Leben die Tochter von Ashley und David. Weitere Wrights spielen mit, die Produktionsfirma nennt sich Wright Family Films und nimmt das mit den Family Values überaus ernst. Den besten Job machen die Pferde.
Bibelfest ist der Film in seinem Vertrauen auf die Familien kittende Wirkung der Pferde übrigens nicht. Denn wie heisst es da im Buch der Psalmen? «Trügerische Hilfe ist das Ross, es rettet nicht mit seiner grossen Stärke.»
Sagt ja schon alles.
Kenne diverse Organisationen, welche sich im Moment als Retter vom christlichen Abendland aufspielen, gleichzeit für Waffentragen sind, Trump und Putin anhimmeln, Moslems verachten, im Verkehr die Fussgänger als Freiwild ansehen und Frauen an den Herd zurück haben möchten.
Wäre noch interessant, wie die Familien, welche diesen Sender aboniert haben, von innen aussehen...