Am kommenden Donnerstag hätte Sabrina* das ausverkaufte Konzert des deutschen Rappers Nimo in Zürich besucht. Die 13-jährige Schülerin aus Spreitenbach AG hatte zwei Tickets für die Show ihres Idols gekauft. Der 21-jährige Musiker gilt derzeit als bedeutendster Newcomer der deutschen Rapszene. Mit seinen Videos erreicht er ein Millionenpublikum und mit seinen Songs die Top 10 der Charts in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Am 28. August nahm sich Sabrina das Leben. Es gibt Hinweise, dass Cybermobbing dabei eine Rolle spielte.
Eine 15-Jährige aus Dietikon outete sich in einer Videonachricht als Täterin und drohte einem nächsten Mobbingopfer: «Du wirst genauso sterben wie Sabrina.»
Die Jugendanwaltschaft hat wegen der Drohung ein Strafverfahren eröffnet, wie die «Schweiz am Wochenende» berichtete. Es ist der erste öffentlich thematisierte Fall von Cybermobbing in der Schweiz mit mutmasslich tödlichen Folgen.
Sabrinas Freundinnen kontaktierten Nimo nach dem Suizid und erzählten ihm die Geschichte. Sie berührte ihn besonders, weil er in seinem Umfeld einen ähnlichen Fall erlebt hatte. Auf Instagram postete er darauf ein Bild, das nur aus einer schwarzen Fläche besteht, und schrieb dazu: «Ruhe in Frieden Sabrina.» Der Eintrag wurde 46'000-mal geliked und 1600-mal kommentiert. In den meisten Kommentaren drückten Jugendliche ihre Anteilnahme aus. Einige fanden sogar den Mut, ihre Sorgen zu teilen.
Ein Mädchen berichtete, wie sie ebenfalls schon an Suizid gedacht hatte: «Ich werde gemobbt seit der 4.Klasse und ganz ehrlich, ich hatte solche Gedanken mehrmals, aber ich hatte immer Schiss.» Zum Glück hätten ihr Kollegen geholfen. Es war der 1569. Kommentar.
Viele Beiträge zuvor waren weniger reflektiert. Jemand schrieb: «Cyber-Mobbing für kurze Zeit ist weniger schlimm als über ein Jahr Mobbing in Real Life.» Ein anderer meinte: «Traurig, dass man erst Aufmerksamkeit bekommt, wenn man tot ist.» Und ein Dritter kommentierte: «Das passiert täglich in anderen Ländern und keinen interessiert’s.» Man sehe nur, was in Deutschland oder Nachbarländern geschehe, aber fast niemand kümmere sich um Pakistan oder Syrien.
Unter den Hunderten Teenagern lösten die Wortmeldungen Streit aus mit nicht zitierfähigen Beschimpfungen. Die Online-Debatte, die eigentlich zu einer Sensibilisierung der Gefahren des Internets führen sollte, wurde selber zur Hassplattform.
Einige Jugendliche riefen zu Vernunft auf: «Überlegt euch mal, wegen so Shit wie Snapchat konnte sie erst gemobbt werden. Bringt lieber Blumen an ihr Grab in Spreitenbach.» Und eine junge Frau, die Sabrina seit der Kindheit kannte, fügte an: «Es tut weh, dass Leute im Städtchen, an der Schule und sogar auf Social Media darüber reden. Süss, dass euch die Geschichte berührt. Echt.» Aber statt oberflächliche Kommentare abzugeben, solle man aus der Geschichte lernen und das eigene Leben anders leben.
Rapper Nimo, der mit bürgerlichem Namen Nima Yaghobi heisst, liess der Debatte auf seiner Seite freien Lauf und postete keinen Kommentar.
Stattdessen handelte er im realen Leben. Mitten in der Nacht wählte er die Nummer, die er von Sabrinas Freundinnen erhalten hatte. Er rief ihre Mutter an und kündigte seinen Besuch an der Beerdigung an, doch er hatte eine Sorge. Er fürchtete, er könnte der Verstorbenen die Show stehlen und eine Hysterie auf dem Friedhof auslösen. So einigte er sich mit der Trauerfamilie, dass er mit ihr als Letzter die Kirche betreten und nach dem Besuch des Grabs sogleich wieder gehen werde. Hunderte Jugendliche kamen. Sie waren ganz in Weiss gekleidet, wie es sich die Familie in der Todesanzeige gewünscht hatte. Nur die Trauerfamilie und der Rapper erschienen in Schwarz.
Der Star blieb stets an der Seite der Mutter. So wagte es niemand, ein Foto von ihm zu machen. Die Hysterie blieb aus. Nur einige wenige Jugendliche rannten ihm nach, als er im Auto verschwand.