Wie der Aargau, so die Schweiz. Lange galt der zusammengewürfelte Mittellandkanton als eine Art politisches Abbild des gesamten Landes. Das war einmal. Der Aargau stimmt heute in der Regel rechts vom nationalen Durchschnitt, nicht nur bei emotionalen Themen wie Einbürgerungen und Asylpolitik. Was auch daran liegt, dass der Kanton kein «echtes» urbanes Zentrum besitzt.
Der Rechtsdrall äusserte sich auch im Aufstieg der kantonalen SVP. Sie belegt heute 7 der 16 Aargauer Sitze im Nationalrat, also fast die Hälfte. Im Oktober hat sie eine reelle Chance, den 2011 verlorenen Sitz im Ständerat zurückzuerobern. Den Höhepunkt erreichte die SVP Aargau im Herbst 2016, als sie einen zweiten Sitz in der fünfköpfigen Kantonsregierung errang.
Dieser Triumph mit der zuvor fast unbekannten Quereinsteigerin Franziska Roth aber hat sich längst als Pyrrhussieg entpuppt. Heute wünschen sich manche SVPler ihre Regierungsrätin wohl am liebsten ins Pfefferland. Damit nicht genug: Auch mit der Berner Delegation gibt es Probleme, allen voran mit Langzeit-Nationalrat Luzi Stamm, der für seine Partei zur Belastung geworden ist.
Franziska Roth war vor ihrer Wahl Präsidentin des Bezirksgerichts Brugg. Sie galt als Verlegenheitskandidatin, doch als die grüne Gesundheitsdirektorin Susanne Hochuli nach acht Amtsjahren eher überraschend zurücktrat, rückte sie in die Favoritenrolle auf und wurde mit Hilfe der FDP gewählt, trotz geringem Bekanntheitsgrad und fehlender politischer Erfahrung.
Quereinsteiger in einem hohen politischen Amt – das kann gut gehen. Im Fall von Franziska Roth ging es nicht gut. Ihre Amtsführung war von Anfang an in der Kritik, vor allem ihr wenig kommunikativer Führungsstil. Ranghohe Mitarbeiter gaben sich die Klinke in die Hand. Unglücklich war auch ihr Umgang mit dem Grossen Rat, dem Aargauer Kantonsparlament.
In einem Interview mit Tele M1 zog sie über die Parlamentarier her, die intrigant und nicht der Sache verpflichtet seien sowie unnütze und unsinnige Vorstösse einreichen würden. Mit dem zweiten Punkt liegt Roth keineswegs falsch. Viele parlamentarische Vorstösse dienen primär der Selbstprofilierung. Nur sollte man das als Regierungsmitglied nicht allzu deutlich aussprechen.
In der Grossratssitzung vom 5. März kam es zum Eklat. Die Fraktionen von FDP, CVP und Grünen warfen der Gesundheits- und Sozialdirektorin in einer gemeinsamen Erklärung mangelnden Respekt, mangelhafte Kommunikation und kein Bemühen um eine gute Zusammenarbeit vor. Wirklich bemerkenswert aber war die Reaktion von Roths Partei.
SVP-Fraktionschef Jean-Pierre Gallati äusserte gegenüber der «Aargauer Zeitung» Verständnis für den Rundumschlag der anderen Parteien. Es handle sich um «berechtigte und nachvollziehbare Kritik». Das war heftig, denn die SVP legt viel Wert auf Geschlossenheit, besonders bei Angriffen von aussen. Nun liess die Grossratsfraktion ihre Regierungsrätin faktisch im Regen stehen.
Seither kam es zu einer weiteren Eskalation. Der Gesamtregierungsrat gab letzte Woche eine unabhängige, externe Analyse von Roths Departement in Auftrag. Am Montag legte die SVP nach. Parteipräsident und Nationalrat Thomas Burgherr stellte Franziska Roth ein Ultimatum: Wenn sich bis zu den Sommerferien ihre Amtsführung im Departement Gesundheit und Soziales nicht massiv verbessere, werde die Partei sie zum Rücktritt auffordern.
In der «Aargauer Zeitung» feuerte die angeschossene Gesundheitsdirektorin zurück: Roth räumte Fehler ein, betonte aber auch, ein Rücktritt stehe für sie «ausser Frage». Die Behauptung, ihr Departement stehe kurz vor dem Kollaps, sei «ganz einfach dummes Zeug». Damit war es offenkundig: Zwischen der SVP und Franziska Roth ist eine ganze Geschirrfabrik zerschlagen.
Der Knatsch mit der Regierungsrätin ist nur eine Baustelle der Aargauer SVP. Die zweite betrifft die Abordnung im Nationalrat. Sie ist tendenziell überaltert. Die Partei hat deshalb die Hürde erhöht: Wer 63 Jahre alt oder 16 Jahre im Amt ist, braucht für eine erneute Nomination eine Zweidrittelmehrheit im Kantonalvorstand und am Parteitag. Das betrifft vier der sieben bisherigen Nationalräte.
Ulrich Giezendanner, Sylvia Flückiger und Maximilian Reimann verzichteten von sich aus, wobei sich der 76-jährige Reimann, der seit 1987 als National- und zwischenzeitlich als Ständerat in Bern politisiert, ein Hintertürchen offen lässt. Er liebäugelt mit einer Kandidatur auf einer Seniorenliste. Das Projekt befinde sich «auf der Zielgeraden», sagte er Ende Januar der «Aargauer Zeitung».
Schwieriger gestaltet sich die Angelegenheit bei Luzi Stamm. Der 66-jährige Badener war 1991 in den Nationalrat gewählt worden, damals noch für die FDP. Die SVP wolle ihn «aus Rücksicht auf seine Gesundheit» nicht mehr nominieren, hiess es vor einem Jahr etwas kryptisch. Stamm war in Bern schon länger durch erratisches Verhalten aufgefallen. Seine wirre Rede als Alterspräsident zu Beginn der neuen Legislatur im Dezember 2015 sorgte überwiegend für Kopfschütteln.
In der laufenden Frühjahrssession kam es zur Eskalation. Stamm kaufte in Bern auf der Strasse ein Gramm Kokain für 45 Franken. Mit der Aktion habe er die Politik aufrütteln wollen, behauptet er. Ausserdem enthüllte der Anwalt, dass er in der Wintersession mit einer Million Euro Falschgeld in einem Koffer im Bundeshaus unterwegs war. Die Blüten gehörten einem Klienten.
Die SVP Aargau zog darauf die Notbremse und verordnete Luzi Stamm eine Auszeit. Sie erinnerte in ihrer Mitteilung daran, dass sie den Gesundheitszustand von Stamm «seit längerer Zeit mit wachsender Sorge» verfolge. Der Nationalrat selbst wies im «Sonntagsblick» Spekulationen über seine Gesundheit zurück und attackierte seine Partei: «Ich weiss jetzt, wer meine Todfeinde sind.»
Ob Luzi Stamm noch einmal nach Bern zurückkehren wird, ist genauso fraglich wie eine erneute Kandidatur oder gar Bestätigung von Franziska Roth bei den kantonalen Wahlen 2020. Die Probleme der Aargauer Kantonalpartei reflektieren die Krise der SVP Schweiz. Sie verdeutlichen vor allem, wie schwer sich die Partei nach wie vor damit tut, qualifiziertes Personal zu rekrutieren.
Die Schlappe bei den Wahlen in Appenzell Ausserrhoden am Sonntag wurde von der Kantonalpartei ebenfalls mit diesem Personalnotstand begründet. In der Waadt verzichtete der SVP-Kandidat nach seiner klaren Niederlage im ersten Wahlgang auf eine Teilnahme in der zweiten Runde. Neues Ungemach droht am nächsten Sonntag in Zürich und eine Woche später in Baselland, wo die SVP ebenfalls einen zweiten Sitz in der Regierung erobern will.
Vorbildlicher Humanist, sozial sehr stark engagiert, fortschrittlich, sympatisch
äähhmmm, oups. Habe ihn wohl verwechselt. Einfach das Gegenteil von vorher, DAS ist Glarner.