Jasmy und Rushana wurden ausgeschafft – jetzt sprechen die Behörden
Vor rund zwei Wochen wurde das Leben der Schwestern Jasmy (11) und Rushana (14) auf den Kopf gestellt: Die beiden Mädchen wurden auf dem Schulweg in Reinach AG von Polizisten angehalten und noch am selben Tag ausgeschafft – nach Sri Lanka. Ihre Mutter hatte im Vorfeld einen negativen Asylentscheid bekommen und war dennoch nicht in ihr Heimatland zurückgereist.
Der Fall wirft Fragen auf. Und watson hat nachgefragt.
Der negative Asylentscheid
Die Behörden sind aufgrund des Persönlichkeitsschutzes äusserst zurückhaltend, was den spezifischen Fall von Jasmy, Rushana und deren Mutter betrifft.
So viel ist aber bekannt: Der Ausschaffung der Kinder und ihrer Mutter ging ein rechtskräftiger Entscheid vom Staatssekretariat für Migration (SEM) voraus, der vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde. Dies bekräftigt Reto Kormann, stellvertretender Leiter Stabsbereich Information und Kommunikation des SEM, gegenüber watson. Grundsätzlich wird ein Asylentscheid in der Schweiz immer vom SEM getroffen – also auf Bundesebene.
Der Kanton, in dem die betroffenen Personen untergebracht sind, muss dann den Entscheid des Bundes umsetzen. Die kantonalen Migrationsbehörden haben also je nach Situation die Aufgabe, die Asylsuchenden wegzuweisen, ihnen Asyl zu gewähren oder sie vorläufig aufzunehmen. Da der Asylentscheid im Falle von Jasmy, Rushana und deren Mutter negativ ausfiel, musste der Kanton Aargau für ihre Wegweisung sorgen – denn dort war die Familie untergebracht.
Allerdings weigerte sich die Mutter mehrfach, zusammen mit ihren Kindern die Schweiz zu verlassen. Deshalb wurde eine sogenannte begleitete Rückführung mit polizeilicher Begleitung eingeleitet, wie Annette Kielholz, stellvertretende Leiterin Kommunikation des Departements Volkswirtschaft und Inneres vom Kanton Aargau, erklärt. Dazu habe das aargauische Amt für Migration und Integration die Kantonspolizei Aargau beauftragt, die Rückführung zu organisieren. Kielholz betont:
Sie widerspricht damit Medienberichten, dass das Migrationsamt des Kantons entschieden habe, dass die Mutter der beiden Schwestern nicht in der Schweiz bleiben darf.
Sobald die Rückführung beschlossen wurde, ging es dann schnell. Annette Kielholz bestätigt, dass die beiden Mädchen tatsächlich auf dem Weg von ihrem Wohnort zur Schule von der Polizei angehalten wurden. Wie Maya Godarzi, die ehemalige Lehrerin von Jasmy, der «Aargauer Zeitung» sagt, wurden die beiden dann zur Asylunterkunft gebracht, wo die Familie lebte. Dort hatten die Mädchen kurz Zeit, ihre Taschen zu packen, ehe es weiter zum Flughafen ging. Noch am selben Abend waren sie unterwegs in Richtung Sri Lanka.
Das alte und neue Leben der Familie
In den letzten Tagen berichteten aargauische Regionalmedien ausführlich, was über die Lebensumstände der Familie bekannt ist. Dort erzählten Schulkameraden, Lehrpersonen sowie der Schulleiter, wie aufwühlend die Wegweisung war – und wie stark sich das Leben von Jasmy und Rushana in kürzester Zeit verändert hat.
In ihrer Schule galten die beiden Mädchen als gut integriert. Hanspeter Draeyer, ihr Schulleiter, sagt gegenüber der «Aargauer Zeitung», sie hätten «praktisch perfekt Deutsch» gesprochen. Er bestätigt auch, dass Jasmy von der drohenden Rückführung wusste. Sie habe eines Tages plötzlich im Unterricht zu weinen begonnen. «Wir haben dann erfahren, dass das Mädchen Angst vor einer drohenden Ausschaffung hatte», sagte Draeyer zu Tele M1. In der Folge habe sich die Schule dafür eingesetzt, dass die Familie in der Schweiz bleiben darf – erfolglos.
Auch bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern waren die beiden Mädchen beliebt. Dass Jasmy und Rushana von einem Tag auf den anderen nicht mehr kommen durften, setzt auch ihnen zu. «Tränen sind geflossen. Es war sehr traurig», so ein Junge gegenüber Tele M1. Er habe es selber kaum glauben können.
Mittlerweile lebt die Familie in Negombo – einer Ortschaft nördlich von Sri Lankas Hauptstadt Colombo. In einem Gespräch mit der «Aargauer Zeitung» offenbarten die beiden Mädchen, dass sie besonders die Schule und die Kolleginnen vermissten. Zudem würden sie die Sprache vor Ort, Singhalesisch, zu schlecht beherrschen, um ihre Berufswünsche gezielt zu verfolgen – die da wären Lehrerin und Ärztin.
Hier liegt Negombo:
Schulleiter Draeyer zweifelt zwar nicht daran, dass die beiden Mädchen die Sprache bald erlernen werden, trotzdem hat er ein langfristiges Spendenprojekt initiiert. Damit soll den beiden Kindern vor Ort der Besuch einer englischsprachigen Schule ermöglicht werden. «Ich wünsche mir, dass sie auch in Sri Lanka Fuss fassen können und den Ehrgeiz und die Selbstdisziplin beibehalten können, die sie hier immer gezeigt haben», sagt der Schulleiter der «Aargauer Zeitung».
Das Kindeswohl
Das Schicksal der elfjährigen Jasmy und ihrer 14-jährigen Schwester Rushana wirft die Frage auf, ob bei Wegweisungsentscheiden in der Schweiz das Kindeswohl zu wenig beachtet wird.
Kormann vom SEM widerspricht dem. Er betont, dass im Falle einer Wegweisung das Kindeswohl immer geachtet werde. Dabei folge man den Richtlinien des Artikels 3 der Kinderrechtskonvention. Darin ist festgehalten, dass das Wohl des Kindes bei jeder Massnahme, die das Kind betrifft, «vorrangig zu berücksichtigen» sei. Jede Wegweisung, bei der Kinder involviert sind, so Kormann weiter, werde dann nach der aktuellen Rechtsprechung anhand verschiedener Kriterien beurteilt:
So werde sichergestellt, dass eine Wegweisung für ein Kind zumutbar sei. Wie diese Kriterien im Fall der beiden Schwestern bewertet wurden, darf Kormann aus Persönlichkeits- und Datenschutzgründen nicht erläutern.
Auch der Kanton Aargau, der mit der Wegweisung und danach mit der Ausschaffung der Familie betraut war, erklärt gegenüber watson, dass das Kindeswohl immer geachtet werde. So habe das kantonale Migrationsamt nach dem Entscheid des Bundes «zahlreiche Gespräche» mit der Familie geführt und sie unter anderem auf die Möglichkeit der Rückkehrhilfe hingewiesen. Zudem habe der Familie «ein grosszügig angelegter Zeitraum» zur Verfügung gestanden, die Schweiz zu verlassen. Genauere Aussagen dürften aus Datenschutzgründen nicht getätigt werden.
Da sich die Familie weigerte, die Schweiz zu verlassen, stellt sich wieder die Frage nach dem Kindeswohl. Kielholz vom Kanton Aargau sagt dazu:
Im Falle von Jasmy und Rushana seien nicht nur speziell dafür ausgebildete Polizistinnen und Polizisten, sondern auch eine medizinische Betreuungsperson anwesend gewesen, als die Mädchen auf dem Schulweg angehalten wurden. Ebenfalls dabei war eine Mitarbeiterin der nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), sie beobachtet die Rückführung und prüft, ob der Polizeieinsatz menschen- und grundrechtskonform ist und das Kindeswohl ausreichend berücksichtigt wird.
Warum die Mädchen gerade auf dem Schulweg abgepasst wurden, kann der Kanton aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weiter erläutern. Bei «20 Minuten» nimmt der auf Migration- und Asylrecht spezialisierte Rechtsanwalt Daniel Hoffmann dazu Stellung und beurteilt zumindest diesen Punkt als «äusserst fragwürdig». Denn: «Mitschülerinnen oder Mitschüler hätten Zeugen dieses für die Mädchen erniedrigenden Erlebnisses werden können.» Zumal die Mutter nicht wissen konnte, dass den Kindern an genau diesem Tag drohte, möglicherweise vor ihren Mitschülerinnen von der Polizei eingesammelt zu werden. Kielholz sagt dazu:
Der Fall von Jasmy, Rushana und der Mutter der beiden Kinder heizt die Debatte um die Wegweisung und Ausschaffung von Minderjährigen und die Frage nach dem Kindeswohl einmal mehr an. Und einmal mehr setzten sich Lehrpersonen und Mitschüler für ihre «gut integrierten» Gspändli ein.
Allerdings sind begleitete Rückführungen nach geltendem Recht mit dem Kindeswohl vereinbar – und nach diesem wurde die Ausschaffung von Jasmy und Rushana abgewägt, wie das SEM und der Kanton Aargau sagen. Und auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe, ein Dachverband für Organisationen, die sich um Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz kümmern, fordert in einem Positionspapier kein generelles Wegweisungs- oder Ausschaffungsverbot für Minderjährige.
Ob das geltende Recht in diesem Fall auch menschlich nachvollziehbar war, muss jeder für sich beurteilen.
