Am letzten Freitag hat der Boswiler Gemeinderat entschieden, Gemeindeschreiber Daniel Wicki freizustellen, nachdem er erst am vorangegangenen Dienstag an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt war. Mitte Dezember hatte ihn der Gemeinderat wegen eines laufenden Verfahrens nach Rassismusvorwürfen auf unbestimmte Zeit beurlaubt. Am Mittwoch nun sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Fiona Strebel, auf Anfrage, dass die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten dabei sei, «diverse Abklärungen zu treffen und dann gestützt auf diese Abklärungen über das weitere Vorgehen entscheiden wird».
Details zu den Abklärungen durch die Staatsanwaltschaft nennt Strebel nicht. Die Frage steht im Raum: Hat sich Wicki des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht, in dem er mehrere Einbürgerungsgesuche verschleppt und Unterlagen nicht an den Kanton weitergeleitet hat?
Der Aarauer Rechtsanwalt André Kuhn schätzt für die AZ die Situation ein. «Soweit von aussen erkennbar, liegt in diesem Fall kein Amtsmissbrauch vor», sagt er. Ein solcher liege laut Strafgesetz vor, wenn jemand sich selber oder jemand anderem einen unrechtmässigen Vorteil verschafft oder wenn jemand sein Amt missbraucht, um einem anderen einen Nachteil zu verschaffen. «Das hat Daniel Wicki meines Erachtens nicht getan», so Kuhn, ein Amtsmissbrauch setze generell eine Handlung voraus und nicht bloss eine Unterlassung. Nach jetzigem Kenntnisstand habe sich Daniel Wicki aber weder aktiv einen Vorteil verschafft noch jemand anderem aktiv einen rechtlichen Nachteil. Für die einbürgerungswilligen Personen, deren Gesuche verschleppt worden waren, sei durch Wickis Nichtstun durchaus zwar ein Nachteil entstanden, «dieser Nachteil ist, soweit erkennbar, jedoch ein faktischer Nachteil und kein rechtlicher. Die Rechtsposition der Einbürgerungskandidaten wird durch die längere Bearbeitungszeit nicht verändert», so Kuhn. «Nicht alles, was jemandem zum Vorwurf gemacht werden kann, ist auch strafbar», fasst er zusammen.
Ein Instrument hätten die Geschädigten dennoch. «Den Behörden ist man nicht schutzlos ausgeliefert», sagt der Rechtsanwalt. Sie könnten eine Rechtsverzögerungsbeschwerde einreichen um zu erwirken, dass ihr Anliegen innert angemessener Frist erledigt wird. «Das kann jeder und jede machen, die wegen Verzögerungen durch die Behörden unverhältnismässig lange auf die Weiterbearbeitung ihres Falles warten müssen», so Kuhn.
Auch in der Sendung «Talk Täglich» wird über den Fall Boswil diskutiert. Renate Gautschy, die Präsidentin der Gemeindeammänner-Vereinigung, stellt klar: «Der Gemeinderat hätte genauer hinschauen müssen.» Einbürgerungen seien ein sensibles Thema. «Jede Gemeinde braucht ein internes Kontrollsystem und klare Prozesse, die regeln wie es nach dem Ja der Gemeindeversammlung weitergeht.» Das könne so aussehen, dass der Gemeindeschreiber dem Gemeinderat regelmässig rapportiere, wo sich die Dossiers gerade befinden.
Dass der Gemeinderat nicht gemerkt habe, dass sich Wicki auf Facebook abfällig über Flüchtlinge äusserte, kann Gautschy aber nachvollziehen: «Es ist unmöglich, alles zu überprüfen, was Angestellte posten.» Gabriela Suter, Präsidentin der SP Aargau, fordert von den Gemeinden Richtlinien, was ihre Angestellten auf sozialen Plattformen tun dürfen und was nicht. «Bereits kleinere Firmen haben Guidelines, die das regeln.» Eine Aufgabe für die Gemeindeammänner-Vereinigung? Gautschy zeigt sich offen: «Das werden wir gerne aufnehmen.»
Der ganze Talk Täglich zum Fall Boswil: