Für einmal hat der Ausdruck «Schlussspurt» seine Berechtigung. Von den drei Vorlagen, über die am Sonntag abgestimmt wird, scheint nur eine unbestritten zu sein: Der Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF). Er wird von den rotgrünen Parteien und Umweltorganisationen bekämpft, dennoch wäre alles andere als ein Ja eine grosse Überraschung.
Bei den anderen Vorlagen ist alles offen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Am heftigsten wird über die Unternehmenssteuerreform USR III gestritten. Die Umfragen lassen einen Nein-Trend erkennen. Die Befürworter sind nervös. Bereits gibt es Schuldzuweisungen an die Adresse der Ja-Kampagne. Sie sei zu spät angerollt, habe zu wenig auf glaubwürdige Köpfe gesetzt und argumentativ nicht überzeugt, monieren Kritiker im «Tages-Anzeiger».
Geführt wurde sie vom Gewerbeverband (SGV), gemeinsam mit Economiesuisse. Der Lead lag bei den Gewerblern, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sahen, mit polemischen bis unwahren Argumenten auf Stimmenfang zu gehen. So rückten sie in der Gewerbezeitung, die in alle Haushalte verteilt wurde, drei SP-Ständeräte in die Nähe der Befürworter, obwohl sie die USR III in Wirklichkeit ablehnen. Für eine Fotomontage in der Westschweizer Ausgabe wurde der SGV sogar gerichtlich gerügt.
Die kantonalen Finanzdirektoren mischten sich ebenfalls in die Endphase des Abstimmungskampfs ein – ein ungewöhnlicher Vorgang. Sie gaben sogar das Versprechen ab, die Steuern für Privatpersonen nicht zu erhöhen. Zuletzt allerdings hüllten sie sich in Schweigen. «Die letzten Umfragewerte sahen schlecht aus für die Befürworter. Vielleicht will jetzt keiner mehr was falsch machen», sagte der Politologe Thomas Milic gegenüber watson.
Stimmbeteiligung vor #abst17 in #Baselstadt explodiert kurz vor dem Abstimmungssonntag förmlich. #BS #CHvote pic.twitter.com/oJ7dNPlUAb
— gfs.bern (@gfsbern) February 9, 2017
Ein Ja liegt immer noch drin, nicht zuletzt weil die Schweiz unter internationalem Druck steht. Interessant ist die Entwicklung der Stimmbeteiligung. In Basel-Stadt ist sie kurz vor der Abstimmung regelrecht explodiert, wie das Insitut GFS Bern auf Twitter mitteilt. Der Halbkanton ist von der Reform besonders stark betroffen, weil viele Unternehmen von den nunmehr verpönten Steuerprivilegien profitieren. Es bleibt definitiv spannend.
Das gilt auch für den Bundesbeschluss über die erleichterte Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation. Hier gehen die Umfragen von Tamedia und SRG von einem Ja des Stimmvolks aus, und dennoch könnte die Vorlage scheitern, denn sie benötigt das Ständemehr. Diese Hürde ist alles andere als einfach zu nehmen. 1994 wurde über eine ähnliche Vorlage abgestimmt. Sie brachte es auf 52,8 Prozent Ja und wurde mit 13 gegen 11 Standesstimmen dennoch abgelehnt.
Die konservativen Kleinkantone sind dabei nicht das grösste Problem. Das Institut GFS Bern, das die SRG-Trendumfrage durchführt, hat sechs «Swing States» ausgemacht, die über das Schicksal der erleichterten Einbürgerung entscheiden dürften: Wallis, Graubünden, Luzern, Zug, Solothurn und Basel-Landschaft. Nur einer dieser Kantone darf Nein stimmen, damit es reicht. Wichtig ist auch das Volksmehr. Ab 56 Prozent Ja spielen die Stände laut GFS in der Regel keine Rolle mehr.
Einen Vergleichswert liefert die Abstimmung über den UNO-Beitritt von 2002. Damals sagten 54,6 Prozent Ja, was für das Ständemehr gereicht hat. In dieser Grössenordnung könnte auch die Abstimmung vom Sonntag ausgehen.
Die letzte SRG-Trendumfrage hat zwar einen scheinbar klaren Ja-Anteil von 66 Prozent ergeben. In der Tamedia-Umfrage sind es mit 55 Prozent jedoch deutlich weniger. Dabei handelt es sich um eine anonyme Online-Umfrage. Bei Ausländerthemen sind diese häufig näher beim realen Stimmverhalten als die telefonischen Befragungen des GFS.