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Corona: Alarm in den Kantonen, doch der Bundesrat lässt sich Zeit

Deux infirmiers preparent une salle pour un patient dans le Service des Urgences de l'HFR Fribourg-Hopital cantonal apres des travaux de renovation le vendredi 3 decembre 2021 a Fribourg. (KEYSTO ...
In den Freiburger Spitälern werden zusätzliche Betten für Covid-Patienten benötigt.Bild: keystone
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Immer mehr Kantone sind am Anschlag – der Bundesrat hat keine Eile

Die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen nimmt laufend zu. Die Kantone schalten in den Krisenmodus, dennoch will der Bundesrat erst am Freitag über neue Massnahmen entscheiden.
13.12.2021, 16:5714.12.2021, 15:42
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Die Corona-Pandemie sorgt immer wieder für bizarre Momente. Noch am letzten Freitag gaben sich Bundespräsident Guy Parmelin und Gesundheitsminister Alain Berset vor den Medien ausgesprochen besorgt. Am Montag folgte ein erneuter Auftritt von Berset zusammen mit Lukas Engelberger, dem «obersten» Gesundheitsdirektor des Landes.

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Dieses Mal aber bemühten sich beide krampfhaft, ein wenig Normalität zu vermitteln. Beim Austausch des Bundesrats mit der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) am Montagmorgen habe es sich um einen «regulären Termin» gehandelt, betonte Engelberger: «Es gibt keinen Zusammenhang mit der laufenden Konsultation.»

Bundesrat Alain Berset, rechts, und Regierungsrat Lukas Engelberger, Praesident der Konferenz der kantonalen.Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) diskutieren am Ende einer Medienkonferenz ue ...
Lukas Engelberger und Alain Berset konferierten am Montag, ohne etwas zu beschliessen.Bild: keystone

Wer davon ausging, das «Gipfeltreffen» werde zu einer Beschleunigung oder gar einem vorgezogenen Entscheid über die Vorschläge des Bundesrats vom Freitag – eine umfassende 2G-Regel oder einen Teil-Lockdown – führen, sah sich getäuscht. Die Kantone erhalten weiterhin Zeit bis Dienstag, um ihre Stellungnahmen einzureichen.

Zu 81 Prozent ausgelastet

Der Bundesrat wiederum will erst an seiner nächsten regulären Sitzung entscheiden, welche Massnahmen er umsetzen will. «Es gibt keine Notwendigkeit, dass wir uns vor Freitag treffen», sagte Alain Berset. Dabei konnten weder er noch Lukas Engelberger ignorieren, dass sich die Lage über das Wochenende vor allem in den Spitälern weiter zugespitzt hat.

Zwar ist die Belegung insgesamt geringer als in der zweiten Welle vor einem Jahr, als es noch keine Impfung gab. Aber das betrifft vor allem die «regulären» Hospitalisierungen. Auf den Intensivpflegestationen (IPS), wo überwiegend ungeimpfte Covid-Patienten mit einem hohen Betreuungsbedarf landen, ist die Lage erheblich angespannter.

Die Intensivstationen seien «zu 81 Prozent ausgelastet», sagte Berset. Tendenz weiter steigend. In dieser Woche werde man die Zahl von 300 Covid-Intensivpatienten erreichen, räumte Engelberger ein. Bis Weihnachten könnten es 400 sein, warnte die Taskforce des Bundes letzte Woche.

Triage bereits Realität

Bundesrat Berset ermahnte die Kantone, wo nötig strengere Schutzmassnahmen zu erlassen als der Bund. Er rannte damit offene Türen ein, wie diverse Beschlüsse und Verlautbarungen der letzten Tage zeigen.

  • Die Ostschweizer Kantone gehörten lange zu den Bremsern. Vor zwei Wochen aber beschlossen Thurgau, St. Gallen und beide Appenzell eine erweiterte Maskenpflicht. Letzte Woche führte der Thurgau sie auch für 2G-Anlässe ein, was der Bundesrat erst jetzt postuliert. Begründung war die «sehr angespannte» Lage in den Spitälern.
  • Bern beschloss um drei Tage vorgezogene Weihnachtsferien an den Schulen. Ausserdem werden die IPS-Betten neu zentral koordiniert. Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) betonte, pro Intensivpflegeplatz, der für einen Covid-19-Fall bereitgestellt werde, müssten mindestens 10 bis 15 andere schwere Fälle warten.
  • In den Spitälern der Zentralschweiz ist die Triage auf den Intensivstationen bereits Realität, wie die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren am Freitag mitteilten. Immer mehr Intensivbetten seien belegt und immer weniger Gesundheitspersonal stehe zur Verfügung.
  • Besonders gravierend ist die Lage in der Westschweiz. Freiburg hat zusätzliche Betten für Covid-Patienten freigemacht und versucht, pensionierte Pflegefachkräfte zur Rückkehr zu motivieren. Gleichzeitig werden Wahl-Eingriffe verschoben. Bei einer weiteren Zunahme der Spitaleinweisungen drohe die Schliessung von Operationstrakten, hiess es.
  • In Neuenburg wird dies bereits vollzogen. Am Montag wurden im kantonalen Spitalnetz zwei Operationssäle geschlossen, die für nicht dringliche Eingriffe vorgesehen sind. Der Kanton rief am Samstag die Alarmstufe Rot aus. Auch Waadt erhöhte die Alarmstufe. Der Kanton kann die Spitäler verpflichten, auf nicht dringende Operationen zu verzichten.

Es brennt in der Schweiz an allen Ecken und Enden. Das hat sogar die SVP realisiert. Der frühere Parteipräsident Albert Rösti warb in der SRF-«Arena» vom Freitag mit einem flammenden Appell für das Impfen. Er hatte am selben Tag das Berner Inselspital besucht, wo ein Drittel der Intensivstation geschlossen ist – wegen fehlendem Personal.

Mehr Tempo beim Boostern

Die Ungeimpften sind die Hauptursache für die derzeitige Misere in den Schweizer Spitälern. Doch auch bei den Booster-Impfungen steht die Schweiz schlecht da. Das Tempo bei den Auffrischimpfungen müsse erhöht werden, sagte Alain Berset am Montag. Dennoch werden viele Menschen in diesem Land bis zum Januar auf einen Termin warten müssen.

A child receives a dose of the Sinopharm COVID-19 vaccine during a vaccination campaign targeting children between the ages 5 -11, in La Paz, Bolivia, Thursday, Dec. 9, 2021. (AP Photo/Juan Karita)
Selbst in Bolivien (Bild) werden Kinder schon jetzt geimpft. Bei uns ist dies erst ab Januar der Fall.Bild: keystone

Die britische Regierung legt unter dem Druck der immer dominanteren und sich rasant ausbreitenden Omikron-Variante ein ganz anderes Tempo vor. Sie will die erwachsene Bevölkerung bis Ende Jahr boostern, was rund einer Million Impfdosen pro Tag entspricht. Auch die neue deutsche Regierung will bei den Drittimpfungen Gas geben.

«Dringlicher Handlungsbedarf»

Die Deutschen werden diese Woche zudem mit der Impfung der fünf- bis elfjährigen Kinder beginnen. In der Schweiz soll dies «spätestens» Anfang Januar der Fall sein. Man ist nach den bisherigen Erfahrungen geneigt, daraus ein «frühestens» zu machen. Dabei tobt sich das Virus an den Schulen aus. Viele Kinder infizieren auf diese Weise ihre Eltern.

Von «Normalität» kann in der Schweiz auch wegen Omikron weit und breit keine Rede sein, wie auch Lukas Engelberger einräumen musste. «Die Kantone sehen einen dringlichen Handlungsbedarf», sagte der baselstädtische Gesundheitsdirektor. Der Bundesrat aber will erst am Freitag entscheiden.

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189 Kommentare
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stadtzuercher
13.12.2021 17:01registriert Dezember 2014
Naja. Die Kantone waren auch die die sich kürzlich gegen schärfere Massnahmen (bspw an den Schulen) gewehrt haben. Peinliches Schwarzpeter-herum-schiebe-Spiel.
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Jonas der doofe
13.12.2021 17:04registriert Juni 2020
Eigentlich find ichs grossartig, dass der Bundesrat nichts macht. Er hält den Kantonen einfach den Spiegel hin. Die Kantone hätten die Macht und die Möglichkeiten, schon längst striktere Massnahmen zu erlassen. Doch sie wollen nicht. Und ich hab den Eindruck, dass der Bundesrat nach all der Kritik an ihm absichtlich nichts macht. Leider auf dem Buckel des Spitalpersonals
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suiMARC
13.12.2021 17:10registriert Juli 2014
Grossbritannien impft rund um die Uhr, erlaubt den Booster schon nach drei Monaten. Alle sind mit eingebunden; Hausärzte, Apotheken, Impfzentren, … alles zentral koordiniert. Verdoppelungszeit der Omicron Fälle liegt dort bei 40 STUNDEN. Dänemark rechnet mit Worst Case von 300'000 täglichen Fällen. Das Virus macht keinen Halt vor Grenzen. Auch uns wird Omicron treffen - mit der niedrigsten Booster Quote Europas und einer erschreckend tiefen Impfgeschwindigkeit. Und der Bundesrat schaut zu. Keine Handlung. Einfach nur beobachten und überrascht tun. Wir sind verloren. Es ist zum davonlaufen.
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