Die Corona-Pandemie sorgt immer wieder für bizarre Momente. Noch am letzten Freitag gaben sich Bundespräsident Guy Parmelin und Gesundheitsminister Alain Berset vor den Medien ausgesprochen besorgt. Am Montag folgte ein erneuter Auftritt von Berset zusammen mit Lukas Engelberger, dem «obersten» Gesundheitsdirektor des Landes.
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Dieses Mal aber bemühten sich beide krampfhaft, ein wenig Normalität zu vermitteln. Beim Austausch des Bundesrats mit der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) am Montagmorgen habe es sich um einen «regulären Termin» gehandelt, betonte Engelberger: «Es gibt keinen Zusammenhang mit der laufenden Konsultation.»
Wer davon ausging, das «Gipfeltreffen» werde zu einer Beschleunigung oder gar einem vorgezogenen Entscheid über die Vorschläge des Bundesrats vom Freitag – eine umfassende 2G-Regel oder einen Teil-Lockdown – führen, sah sich getäuscht. Die Kantone erhalten weiterhin Zeit bis Dienstag, um ihre Stellungnahmen einzureichen.
Der Bundesrat wiederum will erst an seiner nächsten regulären Sitzung entscheiden, welche Massnahmen er umsetzen will. «Es gibt keine Notwendigkeit, dass wir uns vor Freitag treffen», sagte Alain Berset. Dabei konnten weder er noch Lukas Engelberger ignorieren, dass sich die Lage über das Wochenende vor allem in den Spitälern weiter zugespitzt hat.
Zwar ist die Belegung insgesamt geringer als in der zweiten Welle vor einem Jahr, als es noch keine Impfung gab. Aber das betrifft vor allem die «regulären» Hospitalisierungen. Auf den Intensivpflegestationen (IPS), wo überwiegend ungeimpfte Covid-Patienten mit einem hohen Betreuungsbedarf landen, ist die Lage erheblich angespannter.
Die Intensivstationen seien «zu 81 Prozent ausgelastet», sagte Berset. Tendenz weiter steigend. In dieser Woche werde man die Zahl von 300 Covid-Intensivpatienten erreichen, räumte Engelberger ein. Bis Weihnachten könnten es 400 sein, warnte die Taskforce des Bundes letzte Woche.
Bundesrat Berset ermahnte die Kantone, wo nötig strengere Schutzmassnahmen zu erlassen als der Bund. Er rannte damit offene Türen ein, wie diverse Beschlüsse und Verlautbarungen der letzten Tage zeigen.
Es brennt in der Schweiz an allen Ecken und Enden. Das hat sogar die SVP realisiert. Der frühere Parteipräsident Albert Rösti warb in der SRF-«Arena» vom Freitag mit einem flammenden Appell für das Impfen. Er hatte am selben Tag das Berner Inselspital besucht, wo ein Drittel der Intensivstation geschlossen ist – wegen fehlendem Personal.
Die Ungeimpften sind die Hauptursache für die derzeitige Misere in den Schweizer Spitälern. Doch auch bei den Booster-Impfungen steht die Schweiz schlecht da. Das Tempo bei den Auffrischimpfungen müsse erhöht werden, sagte Alain Berset am Montag. Dennoch werden viele Menschen in diesem Land bis zum Januar auf einen Termin warten müssen.
Die britische Regierung legt unter dem Druck der immer dominanteren und sich rasant ausbreitenden Omikron-Variante ein ganz anderes Tempo vor. Sie will die erwachsene Bevölkerung bis Ende Jahr boostern, was rund einer Million Impfdosen pro Tag entspricht. Auch die neue deutsche Regierung will bei den Drittimpfungen Gas geben.
Die Deutschen werden diese Woche zudem mit der Impfung der fünf- bis elfjährigen Kinder beginnen. In der Schweiz soll dies «spätestens» Anfang Januar der Fall sein. Man ist nach den bisherigen Erfahrungen geneigt, daraus ein «frühestens» zu machen. Dabei tobt sich das Virus an den Schulen aus. Viele Kinder infizieren auf diese Weise ihre Eltern.
Von «Normalität» kann in der Schweiz auch wegen Omikron weit und breit keine Rede sein, wie auch Lukas Engelberger einräumen musste. «Die Kantone sehen einen dringlichen Handlungsbedarf», sagte der baselstädtische Gesundheitsdirektor. Der Bundesrat aber will erst am Freitag entscheiden.