Der Bundesrat ist zu beneiden. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung vertrauen ihm in der Corona-Krise, zeigen aktuelle Umfragen von Link und Tamedia. Das dürfte in erster Linie daran liegen, dass die Schweiz von katastrophalen Zuständen wie in Italien und Spanien verschont geblieben ist. Man darf dem Bund attestieren, dass er in der Sache (fast) alles richtig gemacht hat.
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Eindrücklich ist auch, dass die Zustimmung quer durch das gesamte Parteienspektrum verläuft. Die Versuche der SVP, das «Volk» gegen den Bundesrat aufzuwiegeln, stossen nicht einmal bei der eigenen Basis auf Gegenliebe. Welch wohltuender Kontrast zu den USA, wo selbst eine solche existentielle Krise die tiefe ideologische Spaltung der Gesellschaft nicht überwinden kann.
Doch auch bei uns besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in der Bevölkerung schwindet. Denn der Bundesrat und seine Chefbeamten haben sich zuletzt einige Schnitzer geleistet, vor allem in der Kommunikation. Sie sind bereits bei den ersten Schritten zur Lockerung des Corona-Lockdowns ins Stolpern geraten, und das in mehrfacher Hinsicht.
Mit Beginn der Lockerungen am 27. April werden «die Sortimentsbeschränkungen in Lebensmittelläden aufgehoben», heisst es in der Mitteilung des Bundesrats vom letzten Donnerstag. Einkaufsläden und Märkte hingegen sollen erst in der zweiten Etappe ab 11. Mai wieder öffnen, so der Bundesrat.
Der Shitstorm liess nicht auf sich warten. Es sei «völlig inakzeptabel», den grossen Händlern alle Freiheit zu geben und den KMU-Handel geschlossen zu halten, teilte der Gewerbeverband mit. Selbst linke Politiker haben kein Verständnis dafür, dass die Migros ab 27. April Schuhe verkaufen darf, das direkt nebenan liegende Schuhgeschäft aber weitere zwei Wochen warten muss.
Noch härter ist dieser Zustand für Kleiderläden, denn nun beginnen die Leute, sich mit Sommermode einzudecken. Gleichzeitig haben kleine Läden, die nicht schliessen mussten (Apotheken, Bäckereien), bewiesen, dass sie die Kundschaft schützen können. Während man zwischen den Regalen der Supermärkte das eine oder andere «Nahtoderlebnis» haben kann.
Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) versuchte am Freitag, die Scharte auszuwetzen. Es gehe um Lockerungen «in einzelnen Bereichen», die nun geklärt werden müssten. Damit stiftete er noch mehr Verwirrung. Der Bundesrat tut gut daran, in seiner nächsten Sitzung am Mittwoch für Klarheit zu sorgen und die «Diskriminierung» der kleinen Läden zu beseitigen.
Die Gastrobranche hoffte ebenfalls auf eine Lockerung – und wurde enttäuscht. In der Mitteilung des Bundesrats ist sie nicht einmal erwähnt. Das liegt zum einen an ihrer Vielfalt. Eine Gartenbeiz lässt sich einfacher öffnen als eine Kellerbar. Zudem hat sie sich selbst geschadet, etwa als der Bundesrat am 13. März ein Verbot für die Bewirtung von mehr als 50 Personen erliess.
Tags darauf zeigte sich, dass viele Restaurants sich nicht daran hielten. Das habe «überhaupt nicht funktioniert», sagte Daniel Koch am Freitag. Mit anderen Worten: Der Bund traut den Beizern nicht. Das vom Verband Gastrosuisse vorgelegte Schutzkonzept halten Bundesvertreter und Politiker ebenfalls für mangelhaft. Den Vogel abgeschossen aber hat Verbandspräsident Casimir Platzer.
Mit einem Mail an die fünf bürgerlichen Vertreter im Bundesrat versuchte er laut den Tamedia-Zeitungen, den Öffnungsplan von Gesundheitsminister Alain Berset zu torpedieren. Dabei gibt es lobbymässig kaum etwas Dümmeres, als in einer Krisensituation einen Keil zwischen die Bundesräte treiben zu wollen. Dennoch sollte zumindest ein Signal an die Branche erfolgen.
Ein solches wünschen sich auch weitere Bereiche. Die Open-Air-Veranstalter werden im Planungsstau stecken gelassen, obwohl eigentlich klar ist, dass die Saison 2020 gelaufen ist. Breiten- und Spitzensportler wissen nicht, wann sie wieder aktiv sein dürfen. Gleiches gilt für Kinos, Theater oder Konzerte, während andere Länder zumindest einen Zeithorizont skizzieren.
Ein Dauerbrenner ist das Thema Schutzmasken. Auch in dieser Hinsicht hat sich der Bund nicht mit Ruhm bedeckt. So behauptete Daniel Koch, Masken würden kaum etwas bringen. Gesunden Menschen riet er sogar davon ab. Dabei steht im aktuellen Pandemieplan des Bundes, dass Hygienemasken gesunde Personen «bis zu einem gewissen Grad vor einer Ansteckung schützen».
Die SVP bezichtigte das BAG der «Notlüge». Das Bundesamt wolle nur davon ablenken, dass nicht genügend Schutzmasken vorhanden seien. Völlig unberechtigt war dieser Vorwurf wohl nicht, denn ausgerechnet jetzt, wo sich bei der Beschaffung eine Entspannung abzeichnet, will der Bund als Teil einer neuen Werbekampagne auch eine Anleitung zum Maskentragen veröffentlichen.
Zum A und O einer guten Kommunikation gehört, dass man keine Verwirrung stiftet, wenn es um Kinder geht. Genau das hat Daniel Koch letzte Woche geschafft. «Kinder erkranken nicht und infizieren sich auch nicht. Sie sind wirklich keine Überträger des Virus», sagte er an der Medienkonferenz des Bundesrats am letzten Donnerstag. Experten waren konsterniert.
Tatsächlich gibt es verschiedene Beispiele von Kindern, die an Covid-19 erkranken können, auch wenn solche Fälle selten sind und in der Regel milde verlaufen. Koch musste am Freitag einräumen, dass es infizierte Kinder gibt und sie ihre Grosseltern anstecken könnten. Viele Eltern werden sich deshalb fragen, ob sie ihre Kinder am 11. Mai wieder in die Schule schicken sollen.
Solche Kommunikationspannen sind nicht einfach ein Ärgernis. In einer Pandemie können sie lebensbedrohlich werden. So könnten jene Stimmen Auftrieb erhalten, die gefährdete Personen «isolieren» wollen, damit das «normale» Leben wieder anlaufen kann. Oder einfach eine sofortige Öffnung der gesamten Wirtschaft fordern, unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregeln.
In der Realität würde dieses vermeintlich verlockende Konzept zu einer unkontrollierten und vor allem unkontrollierbaren Entwicklung führen, die fast sicher in die berüchtigte zweite Welle ausarten dürfte. Gleichzeitig beginnt die Disziplin in der Bevölkerung nachzulassen. Vor allem junge Menschen sind Lockdown-müde und wollen ihr Leben mit Ausgang und Amüsement zurück.
Erste illegale «Corona-Partys» hat die Polizei bereits auffliegen lassen, und die warme Jahreszeit mit den langen lauen Abenden hat gerade erst begonnen. Wenn der Bund das enorme Vertrauen in der Bevölkerung nicht aufs Spiel setzen will, muss er kommunikativ einen Zacken zulegen. Sonst werden seine Durchhalteparolen bei immer mehr Menschen auf taube Ohren treffen.
Nei, definitiv nöd.
Die Disziplin die ist mit erodiert weil der BR nicht perfekt kommuniziert, sondern weil wir eben die sind die wir sind und ein Teil sich heute schon Freiheiten nimmt, die nie kommuniziert wurden.
Kleinläden anhand der Beispiele von Apotheken zu beurteilen ist reiner Populismus, noch nie hab eich eine Apotheke mit einem Kleinladen verglichen und das tun wohl viele andere auch nicht.
Es ist nicht einfach, aber man kann es einfach reden.