15 Grafiken, die zeigen, wie sich der Stadt-Land-Graben in der Schweiz vergrössert
Die Schweiz driftet immer weiter auseinander: Über ein Drittel der Bevölkerung empfindet die Differenzen zwischen Stadt und Land als ernsthafte Belastungsprobe für unser Land. Das zeigt der neue Stadt-Land-Monitor 2025 der Agrargenossenschaft Fenaco und des Forschungsinstituts Sotomo, der auf einer repräsentativen Befragung von über 3400 Personen basiert.
Die Studie zeichnet ein eindrückliches Bild: Während die Lebensqualität im Alltag vieler Menschen steigt, wachsen das politische Misstrauen und die kulturelle Distanz zwischen Stadt und Land so stark an wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Besonders bemerkenswert: Immer mehr Menschen fühlen sich der Landbevölkerung zugehörig – selbst jene, deren Gemeinden objektiv immer urbaner werden.
Stadt-Land-Spannungsfeld
Politisch ist die Schweiz so gespalten wie selten zuvor. Der dritte Stadt-Land-Monitor nach 2021 und 2023 zeigt, dass sechs der zehn Abstimmungen mit den grössten Grossstadt-Land-Differenzen seit 1980 in den letzten fünf Jahren stattfanden. Vorlagen zu Klima, Landwirtschaft und Wohnraum polarisierten dabei besonders. Beim CO2-Gesetz, der Biodiversitätsinitiative oder der Trinkwasserinitiative lagen die Differenzen zwischen Grossstädten und Land bei über 30 Prozentpunkten.
Unsere Vorher-nachher-Grafik der politischen Landkarte macht klar: Die grossen Städte bewegten sich in den letzten 35 Jahren immer weiter Richtung progressiv-liberal, während das Land im rechts-konservativen Quadranten verharrt. Die Agglomeration liegt – politisch wie mental – irgendwo dazwischen, kippt aber zunehmend in Richtung des «ländlichen Pols».
Deutschsprachige Gemeinden im politischen Raum 1990 und 2025
Der Monitor zeigt auch, dass viele Schweizerinnen und Schweizer den Gegensatz zwischen Stadt und Land als echte Belastungsprobe empfinden: Mittlerweile sind es 35 Prozent, das sind fast doppelt so viele wie 2023. Besonders in den Städten wächst die Sorge um den nationalen Zusammenhalt.
Kein Wunder: Denn die Studie zeigt auch, dass sich die grossen Städte in immer mehr Abstimmungen in der Minderheit wiederfinden. Seit 2020 wurden sie bei 35 Prozent der Vorlagen von der Landbevölkerung überstimmt. Die ländlichen Regionen hingegen nur bei 14 Prozent – allerdings mit steigender Tendenz.
Damit wächst ein Gefühl der politischen Ohnmacht bei städtischen Wählerinnen und Wählern, während gleichzeitig auf dem Land der Eindruck einer «urbanen Dominanz» fortbesteht. Diese subjektiven Wahrnehmungen prallen derzeit frontal aufeinander.
«Wenn beide Seiten sich immer weniger berücksichtigt fühlen, ist das eine Gefahr für den inneren Zusammenhalt der Schweiz», analysiert Michael Hermann, Geschäftsführer von Sotomo. Michael Feitknecht, Vorsitzender Geschäftsleitung der fenaco, betont: «Umso wichtiger ist es, dass wir den Dialog pflegen, die Pole im persönlichen Gespräch überwinden und gemeinsam Kompromisse und Lösungen finden. Dieses Zusammenspiel zwischen Bevölkerung, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist eine Stärke der Schweiz.»
Wer das Sagen hat
Obwohl die grösseren Städte politisch zunehmend überstimmt werden, glauben viele Schweizerinnen und Schweizer, dass die Städte «das Sagen haben». 58 Prozent sind dieser Meinung – so viele wie noch nie. Vor allem die Landbevölkerung sieht eine städtische Dominanz bei Medien, gesellschaftlichen Trends und der Wirtschaft.
Die Dominanz der Stadt wird auf dem Land am stärksten wahrgenommen. Hier sagen mittlerweile mehr als zwei Drittel, dass in der Schweiz die Stadt das Sagen hat. Bei den Bewohnenden der grösseren Städte sind dagegen nur 39 Prozent dieser Ansicht. Noch weniger sind hier jedoch der Meinung, dass vor allem das Land das Sagen hat (31 Prozent). Dies zeigt, dass die grossstädtische Bevölkerung insgesamt eher von einem Gleichgewicht des Einflusses ausgeht.
Gleichzeitig fühlen sich beide Seiten weniger gehört – ein zentraler Befund des Monitors. Auf dem Land sagen nur noch 16 Prozent, ihre Anliegen fänden bei Städterinnen und Städtern genügend Beachtung (2021 waren es 30 Prozent). Auch in den Städten ist der Wert gesunken.
Das Misstrauen wächst also gegenseitig. Und: Es betrifft nicht nur die «andere Seite», sondern auch Institutionen wie Politik, Medien und Unternehmen. Besonders in der Agglomeration und in kleineren Städten ist das Gefühl der Entfremdung deutlich gestiegen.
Wohngemeinde im Wandel
Eine weitere überraschende Erkenntnis der Studie ist, dass die Schweizerinnen und Schweizer trotz steigender finanzieller Belastung grundsätzlich zufrieden mit ihrer Wohnsituation sind. Die Lebensqualität wird von 86 Prozent als gut bewertet, und fast die Hälfte sieht eine Verbesserung in den letzten zehn Jahren.
Je stärker eine Gemeinde gewachsen ist, desto positiver wird ihre Entwicklung beurteilt. In Orten mit überdurchschnittlichem Wachstum (10 bis 14 Prozent in zehn Jahren) finden 52 Prozent, die Lebensqualität habe sich verbessert. Besonders negativ sehen Menschen die Entwicklung dort, wo die Bevölkerung schrumpft: In diesen Gemeinden brechen Versorgung und soziales Umfeld sichtbar ein.
Zwischen Stadt und Land zeigen sich klare Unterschiede: In Städten wird das Kultur-, Gastro- und ÖV-Angebot überdurchschnittlich positiv bewertet, einzig das Wohnungsangebot fällt massiv ab (nur 27 Prozent finden es gut). Auf dem Land schneiden Natur und Erreichbarkeit sehr gut ab, während Gastro, Kultur und Nahversorgung deutlich schlechter bewertet werden.
Gleichzeitig beobachten 59 Prozent eine Verstädterung ihrer Wohngemeinde. Dennoch nimmt die subjektive Identifikation mit dem Wohnen auf dem Land zu: 36 Prozent sehen sich als Landbewohnerinnen und Landbewohner – deutlich mehr, als es gemäss BFS-Definition tatsächlich sind. Die Landsehnsucht wächst also, selbst in urbanisierten Räumen.
Wahrnehmung des Bevölkerungswachstums
Beim Thema Bevölkerungswachstum zeigt sich die grösste Diskrepanz zwischen persönlicher Erfahrung und nationaler Einschätzung. Lokal fällt die Bewertung noch relativ freundlich aus: 39 Prozent sehen positive Auswirkungen des Wachstums in der eigenen Gemeinde. National kippt das Bild komplett: Nur noch 23 Prozent finden, das Bevölkerungswachstum habe der Schweiz gutgetan.
Vor allem die Landbevölkerung reagiert skeptisch: 78 Prozent beurteilen das Wachstum der letzten zehn Jahre negativ – obwohl sie das lokale Wachstum in ihrer eigenen Gemeinde am häufigsten positiv einschätzen. Offensichtlich geht es weniger um konkrete Erfahrungen, sondern um abstrakte Ängste: Identitätsverlust, Verdichtung, «10-Millionen-Schweiz».
Passend dazu halten die Befragten eine Bevölkerung von 8,3 Millionen für ideal – also weniger als heute. Gleichzeitig erwarten sie realistisch, dass die Schweiz bis 2050 auf 10,8 Millionen wächst.
Auffallend: In den grösseren Städten zeigt sich bei den Wünschen zur optimalen Bevölkerung eine stärkere Polarisierung der Präferenzen als auf dem Land, in der Agglomeration oder in kleineren Städten. Hier wünschen sich besonders viele eine Schweiz mit 7 Millionen oder weniger Menschen, aber auch überdurchschnittlich viele eine Schweiz mit 10 Millionen oder mehr.
Einerseits wird das Bevölkerungswachstum in den grossen Städten also besonders oft mit negativen Auswirkungen verbunden, andererseits bewerten Grossstädterinnen und Grossstädter eine wachsende Schweiz noch am ehesten als positiv.
Die vier in dieser Studie verwendeten Raumtypen orientieren sich an der BFS-Typologie «Raum mit städtischem Charakter, 2012». Der Raumtyp «Grosse Stadt» entspricht den Gemeinden des BFS-Typs «Agglomeration Hauptkern» mit mindestens 50‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Zum Raumtyp «Kleine Stadt» zählen die «Agglomeration Hauptkern»-Gemeinden mit weniger als 50‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die anderen Agglomerationsgemeinden sowie die isolierten Kerngemeinden zählen zum Typ «Umland/Agglomeration». Der Typ «Land» umfasst die restlichen Gemeinden.
