Ursprünglich war alles ganz einfach: Ausländische Lebensmittel müssten dieselben Standards erfüllen wie jene aus der Schweiz, verlangten die Grünen, als sie ihre Fair-Food-Initiative 2014 lancierten. So war es im Argumentarium der Initianten nachzulesen, so wurde es x-fach in Zeitungsartikeln und Interviews transportiert.
Die Baselbieterin Maya Graf, die an vorderster Front für das Anliegen kämpft, gab 2015 etwa in der «Basellandschaftlichen Zeitung» zu Protokoll:
Nun steht die Abstimmung über die Initiative bevor – und es ist alles etwas komplizierter geworden. Denn: Die Schweiz kann nicht ohne weiteres verhindern, dass Billig-Poulets aus ausländischer Quälhaltung oder pestizidbelastete Tomaten ins Land gelangen. Ein Importverbot würde die Handelsabkommen der Schweiz mit der Europäischen Union (EU) und der Welthandelsorganisation (WTO) verletzen.
«Wegen Öko-Food drohen Probleme mit der EU», titelte der «Tages-Anzeiger» im Juli. Und verwies auf die Botschaft des Bundesrats, in der es heisst: Würde die Initiative wortgetreu umgesetzt, könnte dies zur Kündigung des Agrarabkommens mit der EU führen.
Dies wollen die Grünen allerdings nicht riskieren. «Das Handelsrecht ist kompliziert, wir haben dazugelernt», liess sich Maya Graf im Artikel zitieren. Schon in der Parlamentsdebatte machten die Initianten deutlich, dass sie sich eine Umsetzung im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen wünschen.
Wie eine solche Umsetzung aussehen könnte, skizzierte Elisabeth Bürgi Bonanomi, Expertin für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bern, letztes Jahr in einer Studie. Demnach könnten nachhaltige Lebensmittel beim Import bevorzugt werden, indem sie mit tieferen Zöllen belegt werden als nicht-nachhaltige Produkte.
Urs Scheuss, stellvertretender Generalsekretär der Grünen Schweiz, betont: «Die Fair-Food-Initiative ist keine Verbotsinitiative. Wir wollen nicht schlechte Lebensmittel verbieten, sondern gute fördern.» Der Initiativtext sehe dafür mehrere Instrumente vor:
Auf Zulassungsvorschriften, wie sie der Initiativtext ebenfalls vorsieht, müsse aus Rücksicht auf die internationalen Handelsvereinbarungen hingegen verzichtet werden, bekräftigt Scheuss. Denkbar seien wenige Ausnahmen, etwa bei «völlig inakzeptablen Fällen von Tierquälerei».
Das Gesetz sehe bereits heute die Möglichkeit vor, gewisse Lebensmittel zu verbieten, wenn ihre Produktionsweise im krassen Widerspruch steht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Scheuss denkt dabei etwa an Stopfleber («foie gras») oder Hormonfleisch.
Der Wirtschaftsverband Economiesuisse, der die Fair-Food-Initiative an vorderster Front bekämpft, schlachtet den Rückzieher der Grünen genüsslich aus. «Die Initianten der Fair-Food-Initiative buchstabieren zurück, weil sie von der Tragweite und den Folgen ihrer Initiative selber schockiert scheinen», schreibt Chefökonom Rudolf Minsch in einem Kommentar zur Initiative. Er erinnert daran, massgebend für die Beurteilung einer Volksinitiative sei der Verfassungstext, «nicht Verlautbarungen der Urheberschaft».
Die Sprecherin des zuständigen Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Kathrin Naegeli, hielt auf Anfrage von watson ebenfalls fest: «So, wie der Initiativtext lautet, müsste der Import von Lebensmitteln, die nicht den Schweizer Vorschriften entsprechen, grundsätzlich verboten werden.»
Auch sie weist jedoch auf die Möglichkeit hin, eine Lösung zu suchen, die «mit dem WTO-Recht eher konform wäre», wie zum Beispiel strengere Deklarationsvorschriften. «Welcher Weg schliesslich gewählt wird, hängt vom Willen des Parlamentes ab.»
Im Inland sollen nachhaltige Lebensmittel nach dem Willen der Fair-Food-Initianten ebenfalls gefördert werden. Dem steht gemäss der Studie von Bürgi Bonanomi nichts im Weg. So könnten etwa die Direktzahlungen für Bauern noch stärker auf ökologische und soziale Ziele hin ausgerichtet werden, schreibt die Forscherin.