Wird der Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz verboten oder nicht? Dies ist eine der heissen Fragen, die das Stimmvolk am 21. Mai beantworten muss, wenn es über die erste Etappe der Energiestrategie 2050 abstimmt.
Für die SVP schien die Sache klar: Es werde nach der Abschaltung der bestehenden Atomkraftwerke «nur eine Lösung geben», um die Stromversorgung sicherzustellen, sagte Parteipräsident Albert Rösti letzten Herbst im Nationalrat:
Auch andere Gegner der Energiestrategie machten sich im Zuge der Atomausstiegs-Debatte für neue Kraftwerke stark. Die Schweizer Bevölkerung wolle nicht aus der Atomenergie aussteigen, konstatierte etwa FDP-Vizepräsident Christian Wasserfallen, nachdem die Ausstiegsinitiative der Grünen, die eine rasche Abschaltung der bestehenden Werke verlangte, Ende November mit gut 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt worden war.
Wasserfallen hatte in der Kommission vergebens versucht, das AKW-Verbot im Energiegesetz so abzuändern, dass es nur die bis dahin bereits eingereichen – und inzwischen wieder zurückgezogenen – Gesuche betrifft. Neue Projekte sollten nach seinem Willen weiter möglich sein. Als Fan neuer Kernkraftwerke outete sich auch SVP-Nationalrat Christian Imark: «Damit es keine Stromlücke gibt, braucht es in der Schweiz früher oder später neue AKW», so der Solothurner.
Im Abstimmungskampf zum Energiegesetz ist von diesen Stimmen aber plötzlich nichts mehr zu hören. Von 20 Minuten auf die Möglichkeit angesprochen, bei einem Nein zum Energiegesetz neue AKW zu bauen, gaben sich sowohl Wasserfallen als auch Imark wortkarg: Um diese Frage gehe es in der bevorstehenden Abstimmung nicht.
Bastien Girod, Nationalrat der Grünen, ist überzeugt, dass sich die Gegner der Energiestrategie aus strategischen Gründen darüber ausschweigen. «Sie wissen, dass der Atomausstieg mehrheitsfähig ist.» Die SVP werde im Falle einer Ablehnung der Energiestrategie allerdings versuchen, neue AKW «herbeizusubventionieren», ist sich der Zürcher sicher.
«Blödsinn», erwidert SVP-Chef Albert Rösti. Aktuell gehe «niemand davon aus, dass in der Schweiz wieder ein AKW gebaut wird – auch die SVP nicht». Seine Aussagen zu Reaktoren der vierten Generation habe er gemacht, noch bevor die Betreiber ihre Gesuche für neue AKW zurückgezogen haben.
Am 21. Mai gehe es aus Sicht des Gegenkomitees primär um die Kostenfrage und nicht um die Frage der Technologie, so Rösti weiter. Darum werde letzteres auch nicht speziell thematisiert. Klar sei für die SVP jedoch, dass die neuen erneuerbaren Energien und die Wasserkraft maximal zwei kleine AKW ersetzen könnten. «Für den Rest müssen wir eine Lösung suchen, damit keine Lücke entsteht.» Und hier sei es nicht am Staat, zu sagen, welches dafür die richtige Technologie ist.
Für Christian Wasserfallen (FDP) besteht die Herausforderung primär darin, den Markt so auszugestalten, dass sich Investitionen in neue Kraftwerke wieder lohnen – ob es sich nun um Wasserkraft, Gas oder neue AKW handelt. Dies sei mit der Energiestrategie von Doris Leuthard nicht möglich, ist er überzeugt.
Ein AKW-Verbot im Gesetz ist aus seiner Sicht unnötig, weil Rahmenbewilligungen für den Bau neuer Atomkraftwerke ohnehin dem Referendum unterstünden. «Die Schweizer Bevölkerung könnte also sowieso darüber abstimmen, falls das Thema Anno Tubak wieder aktuell würde.»
Die bestehenden AKW dürfen laut Energiestrategie noch so lange laufen, wie die Atomaufsichtsbehörde des Bundes sie als sicher einstuft. Bereits klar ist, dass das Werk Mühleberg 2019 vom Netz geht. Neben des Bauverbots für neue AKW sieht das revidierte Energiegesetz verschiedene Instrumente vor, um erneuerbare Energien wie Wasser, Sonne, Wind, Geothermie und Biomasse zu fördern. Zudem soll der Energieverbrauch bis 2035 um 43 Prozent gesenkt werden.
* In einer ersten Fassung des Artikels hiess es, das AKW-Verbot werde in der Verfassung verankert. Das ist falsch. Das Verbot ist im revidierten Energiegesetz vorgesehen. (09.05.17, 14:20)