Wer viel mit dem Auto fährt, der kennt es aus eigener Erfahrung: Jahr für Jahr steht man länger im Stau. Dass dies nicht nur auf einem subjektiven Gefühl beruht, belegen Zahlen des Bundesamts für Statistik. 2005 standen die Autos noch während ungefähr 11'000 Stunden auf Nationalstrassen im Stau, im vergangenen Jahr waren es bereits über 25'000 Stunden. Anders ausgedrückt: 2017 standen die Autos für eine Zeitspanne von drei Jahren still.
Und es ist keine Besserung in Sicht. Bis 2040 erwartet der Bund ein Verkehrswachstum von 20 Prozent. Bei dieser Zahl drängt sich die Frage auf: Wie weiter?
Der neueste Lösungsvorschlag kommt von Astra-Direktor Jürg Röhtlisberger. Im Interview mit der «NZZ am Sonntag» erzählt er, dass der Bund sich überlege, die A1 im Limmattal doppelstöckig zu führen. «So könnte etwa der Verkehr nach Zürich unten geführt werden und jener nach Bern oben. Oder die Lastwagen unten und die Personenwagen oben.»
Verkehrssoziologe Timo Ohnmacht von der Hochschule Luzern hat für den Vorschlag wenig Sympathien. Er kann nicht verstehen, warum der Bund jetzt vom Ausbau der Infrastruktur spricht. Denn: «Wer Strassen baut, wird Verkehr ernten», zitiert Ohnmacht eine Verkehrsplaner-Weisheit. Schlauer wäre es aus seiner Sicht, die Kapazität der bereits bestehenden Infrastruktur besser zu nutzen. So wie es das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) in seiner Langzeit-Planung eigentlich festhält.
Für watson beurteilt Verkehrsexperte Timo Ohnmacht das Potenzial von 7 Alternativlösungen.
Kaum ein Vorschlag ist in der Bevölkerung so unbeliebt wie jener des Mobility Pricing. 64 Prozent hielten in einer Umfrage von Tamedia nichts von der Idee, dass Verkehrsteilnehmer, die zu Stosszeiten die Strassen benutzen, mehr zahlen sollen.
Die Unbeliebtheit dieses Modells hält den Bundesrat nicht davon ab, mit der Einführung zu liebäugeln. Derzeit wird mit Rechnungsmodellen getestet, wie sich ein Mobility Pricing auf den Verkehr auswirken würde.
In einigen Ländern ist Mobility-Pricing bereits nicht mehr wegzudenken. So in Schweden: Die Städte Stockholm und Göteborg haben die sogenannte Staugebühr bereits vor einigen Jahren eingeführt. Mit Erfolg: Der Stau hat seit der Einführung der Gebühr abgenommen, wie eine Studie zeigt.
Für Timo Ohnmacht steht ausser Frage, dass Mobility Pricing auch in der Schweiz einen positiven Effekt hätte. Denn: «Wenn es teurer wird, zu Stosszeiten auf der Autobahn zu fahren, werden sich viele überlegen, ob sie nicht doch auf Randzeiten ausweichen können.»
Auf der Autobahn sind wir uns gewohnt, dass der Tacho bis zu 120 km/h anzeigen darf. Doch das könnte bald der Vergangenheit angehören. Das Bundesamt für Strassenverkehr hat im Juli angekündigt, dass künftig Tempo 80 vermehrt zum Zug kommen könnte. Der Grund: Die positiven Resultate aus den Untersuchungen auf dem Autobahnabschnitt zwischen Thun und Muri bei Bern.
Hat es auf der dortigen A6 viel Verkehr, so wird die Höchstgeschwindigkeit schrittweise von 120 auf 80 km/h reduziert. Diese Massnahme führt zu flüssigerem Verkehr, wie die bisherigen Messungen zeigen. Seit dem Beginn des Tests kam es statt zu Staus nur noch zu stockendem oder zähflüssigem Verkehr. Zudem haben die Autos insgesamt weniger lang für die Durchfahrt. Von Muri nach Thun Nord sparen sie durchschnittlich 26 Sekunden im Vergleich zu vorher ein. In der Gegenrichtung sind es 11 Sekunden.
«Je geringer die Geschwindigkeit, desto geringer der Abstand zum vorderen Auto und desto mehr Kapazität hat die Strasse», sagt Ohnmacht. Das Tempo noch weiter zu reduzieren, lohne sich aber kaum. «Wenn die Automobilisten nur noch 60 km/h auf der Autobahn fahren dürften, würde ihnen nur langweilig und damit würde die Unfallgefahr steigen.»
Ausgereifte Technik kann vieles besser als der Mensch. Dazu wird in Zukunft auch das Autofahren gehören.
Astra-Chef Röthlisberger findet automatisiertes Fahren interessant, vor allem aus Sicherheitsüberlegungen, wie er in der «NZZ am Sonntag» sagt: «Die Fahrassistenz reduziert Fehler. Und weniger Unfälle heisst wiederum weniger Stau.»
Bereits heute sind Fahrzeuge im Einsatz, denen man bei stockendem Verkehr das Fahren überlassen kann. Sie halten automatisch den Abstand zum vorderen Auto. Noch immer muss der Fahrer aber jederzeit bereit sein einzugreifen, falls es nötig wird.
«Solche Assistenz-Systeme können die Kapazität einer Strasse massiv erhöhen», sagt Experte Ohnmacht. Vor allem wenn sie noch ausgereifter werden. «Autofahrer empfiehlt man üblicherweise, die Hälfte des Tachos als Abstand zum vorderen Auto zu haben.» Sprich 60 Meter bei 120 km/h. «Bei Fahrassistenten könnte sich dieser Abstand in Zukunft auf 20 Meter reduzieren und somit hätten ein Drittel mehr Fahrzeuge auf dem Streckenabschnitt Platz.»
Die Idee ist einfach, die Wirkung stark. Wenn bei starken Verkehrsaufkommen der Pannenstreifen als weitere Spur freigegeben würde, hätte eine zweispurige Autobahn auf einmal um einen Drittel mehr Kapazität.
Der Bund überlegt sich, ob er in Zukunft zumindest die Pannenstreifen im Bereich von Ein- und Ausfahrten frei gibt.
Ohnmacht hält die Freigabe des Pannenstreifens für gefährlich, und gibt darum nur 2,5 Punkte. «Zwar würde die Freigabe zu flüssigerem Verkehr führen, doch auf Kosten der Sicherheit.» So hätten es Ambulanz und Polizei schwieriger zu Unfallfahrzeugen zu gelangen und im Falle einer Panne könnte man sein Auto nicht mehr einfach auf dem Pannenstreifen abstellen.
Was absurd klingt, gibt es in Kanada und den USA bereits. Ein Streifen nur für Fahrzeuge, in denen drei oder mehr Personen sitzen. Die sogenannte High-occupancy vehicle lane soll dazu anregen, Fahrgemeinschaften zu bilden. Denn in einem Auto sitzen in der Schweiz im Schnitt 1,6 Personen. Bei Pendler gar nur 1,1 Personen.
Für den Verkehrsexperten hat die Idee vor allem dann Potenzial, wenn man sie mit der Pannenstreifen-Idee verbindet. Sprich: Jene Fahrzeuge mit drei oder mehr Insassen dürfen bei Stau oder stockendem Verkehr den Pannenstreifen nutzen. Es gebe aber Potenzial zum Missbrauch, sagt Ohnmacht. «In den USA werden teilweise Gummipuppen ins Auto gesetzt oder Obdachlose zum Mitfahren motiviert.»
Dieser Vorschlag hat SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger nach Bundesbern getragen. Ihr Vorstoss fordert, dass der Bundesrat die Voraussetzungen für mehr Gratisparkplätze an Autobahnauffahrten schafft. «Damit soll eine bessere Grundlage für Fahrgemeinschaften gebildet werden» und der Strassenverkehr somit entlastet werden. Der Bundesrat empfiehlt den Räten, den Vorstoss abzulehnen. Die Entlastungswirkung sei zu gering.
Etwas positiver als der Bundesrat steht Ohnmacht diesem Vorstoss gegenüber. Doch auch er macht mit der Note 5 nicht das ganz grosse Potenzial aus. «Diese Parkplätze könnten aber tatsächlich einige Autofahrer zu Fahrgemeinschaften ab der Autobahneinfahrt motivieren», sagt Ohnmacht. Er verweist auf Deutschland, wo es solche Parkplätze bereits gibt.
Ein attraktiver öffentlicher Verkehr soll die Pendler von der Strasse auf die Bahn locken und damit die Autobahnen entlasten.
Dreistöckige oder längere Züge, einen engmaschigeren Fahrplan. Ohnmacht ist überzeugt – wird noch mehr Geld in den ÖV investiert, kann die Strasse entlastet werden. Doch auch hier droht ein Teufelskreis. Ohnmacht: «Investitionen in den ÖV führen zu mehr Passagieren und somit muss wiederum in den Ausbau investiert werden.»